Diplomatievorstoß von Olaf Scholz: Es riecht nach Wahl
Der Kanzler ändert vor der Brandenburg-Wahl den Ton. Doch er hat Recht: Natürlich gehören Waffenlieferungen an die Ukraine und Diplomatie zusammen.
O laf Scholz hält es für möglich, doch „zügiger zu einem Frieden“ in der Ukraine zu kommen. Das klingt ungewohnt. Die Worte Diplomatie und Frieden kommen in Scholz’ Wortschatz ja seit Längerem kaum mehr vor. CDU-Falken wie Roderich Kiesewetter wittern schon Verrat. Die SPD wolle mal wieder die Ukraine ans Messer liefern. Verrat? Eine Wende?
Verrat – auf keinen Fall. Die recht vage Ankündigung des Kanzlers ist offenbar mit der Ukraine abgestimmt. Auch Präsident Selenskyj will, dass Russland bei der nächsten Ukraine-Konferenz dabei ist. Eine Wende ist das alles nicht.
An der vergangenen Ukraine-Konferenz in der Schweiz nahmen Vertreter von 59 Regierungen teil, China und Russland nicht. Die Konferenz war sinnvoll, um Staaten des Globalen Südens die berechtigten Forderungen der Ukraine nach dem Rückzug aller russischen Truppen und Entschädigung näherzubringen. Aber ernsthafte Deals werden nicht in dem Format Ukraine-Konferenz gemacht – sondern mit China, Russland, den USA und wenigen anderen Playern. Dass Scholz und Selenskyj Russland zur nächsten Ukraine-Konferenz einladen wollen, ist also nicht ganz so wichtig. Und: Seriöse Verhandlungen sind erst nach den US-Wahlen im November denkbar. Die Frage, ob Donald Trump oder Kamala Harris regieren werden, ist zentral. Die US-Waffenlieferungen sind für die Verteidigung der Ukraine unersetzbar.
Scholz’ neue Wortwahl ist der zaghafte Versuch, ruinierte Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Scholz hatte lange vor dem Einsatz deutscher Waffen auf russischem Gebiet gewarnt. Als die Ukraine genau dies tat, winkte die Bundesregierung das ebenso schweigend durch wie die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen. Von Scholz’ Image als kühl vorausdenkender Stratege, der besonnener handelt als Hitzköpfe wie Kiesewetter, sind nur noch Trümmerstücke übrig.
Die andere Seite des Schweigens
In zwei Wochen wird in Brandenburg gewählt. Eine Niederlage der SPD nach 34 Jahren Regierung wäre auch für Scholz ein Desaster. Die Friedensrhetorik von Wagenknecht – der Westen müsse nur wollen, schon gebe es Frieden – ist intellektuell beleidigend, aber in ihrer schlichten Suggestivität auch für Teile der SPD-Klientel attraktiv. Die Erfolge des BSW sind die andere Seite des Schweigens des Kanzlers.
Also ist Scholz’ neu erwachte Friedensrhetorik Wahltaktik? Es wirkt so. Im besseren Fall würde die Rückbesinnung folgen, dass Waffenlieferungen an die Ukraine und Diplomatie zusammengehören. Und es ist Scholz’ Job, das zu erklären. Der Platz zwischen Wagenknecht und Kiesewetter darf diskursiv nicht leer sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren