Digitalfirmen und Nachhaltigkeit: „Treiber beim Energiehunger“
Digitale Technologien könnten grün sein – sind es aber oft nicht. Eine Studie zeigt, welchen Beitrag die Digitalisierung beim Klimaschutz leisten könnte.
Forscher:innen aus unterschiedlichen Fachbereichen von Nachhaltigkeit über Mobilität und Soziologie bis hin zu Informatik legen daher nun mit einer Studie ein Konzept für einen „Digitalen Neustart“ vor. „Wir sehen in der Digitalisierung zu viel Innovation als Selbstzweck und zu wenig Lösungen für Probleme“, sagt Dorothea Kleine, die als Professorin an der Universität Sheffield zur Digitalisierung forscht und eine der Neustart-Autor:innen ist, bei der Vorstellung.
Zwei Jahre an Forschung haben die Autor:innen in die Studie gesteckt, und formulieren nun eine zentrale Frage für eine digitale und nachhaltige Transformation: „Wie können digitale Technologien so gesteuert werden, dass sie Nachhaltigkeitsherausforderungen lösen und gleichzeitig neue Probleme vermeiden?“ Ziel müsse es sein, ein „menschenwürdiges Leben für alle Menschen innerhalb der planetaren Grenzen“ zu schaffen. Planetare Belastungsgrenzen, das sind etwa der Süßwasserverbrauch, das Ozonloch und die Klimakrise. Wird der Schaden in einzelnen Bereichen zu groß und irreversibel, kann das die Lebensgrundlagen der Menschheit in Gefahr bringen.
Vor allem der Lebensstil der Menschen in den industrialisierten Ländern belastet den Planeten über Gebühr – und daran hat auch die Nutzung digitaler Technologien einen Anteil. Ein Mensch in Deutschland verursacht im Schnitt gut 11 Tonnen CO2-äquivalente Emissionen im Jahr. Klimaverträglich wären 2 Tonnen. Das Öko-Institut hat vor zwei Jahren einen CO2-Fußabdruck des digitalen Lebens errechnet. Die Nutzung von Fernseher, Smartphone und Sprachassistenten ist ebenso darin wie Videostreaming, die Verwendung von Cloud-Diensten und Social Media. Und auch wenn das beim Überschlagen der eigenen Ökobilanz gerne vergessen wird: die Emissionen für die Herstellung etwa von Smartphones und Laptops. Auf 849 Kilogramm CO2 pro Person und Jahr kamen die Forscher:innen schließlich. Knapp die Hälfte davon geht alleine auf die Geräteherstellung zurück.
„Zu stark am intensiven Konsum ausgerichtet“
Aber der individuelle Verbrauch ist nur eine Sichtweise auf das Problem. „Big Tech ist der Treiber beim Energiehunger“, sagt Tilman Santarius, Professor für Sozial-ökologische Transformation und nachhaltige Digitalisierung an der TU Berlin und ebenfalls einer der Autor:innen. So habe sich etwa der Energieverbrauch von Alphabet, wozu unter anderem Google und Youtube gehören, und Meta, Mutter von Facebook und Whatsapp, in den vergangenen 5 Jahren verdreifacht – linear zum Umsatz. Die Herstellung und Nutzung digitaler Geräte und Dienste mache aktuell rund 8 bis 10 Prozent der weltweiten Stromnachfrage aus. „Die Geschäftsmodelle sind zu stark am intensiven Konsum ausgerichtet“, kritisiert Santarius. Würde die gesamte Techindustrie so handeln wie Alphabet und Meta, dann sei es nicht einmal möglich, die globale Erhitzung auf 2 Grad zu begrenzen.
„Wir müssen weg von Überkonsum und Wachstumsfixierung“, sagt Wissenschaftlerin Kleine. Denn auch wenn die Digitalisierung positive Effekte in Sachen Nachhaltigkeit haben kann – tendenziell sind sie laut den Autor:innen der Neustart-Studie seltener. Beispiel Landwirtschaft: Hier sollen digitale Anwendungen etwa dazu beitragen, gezielt und damit weniger zu düngen oder Pestizide zu nutzen. Precision Farming heißt das Schlagwort. In der Praxis werde der Pestizideinsatz aber nur geringfügig reduziert. Dass positive Effekte digitaler Technologien möglich sind, zeigt eine Studie, die das Borderstep-Institut im Februar veröffentlichte. Zum Thema Dienstreisen und Videokonferenzen prognostizieren die Autor:innen hier, dass die durch die Pandemie entstandene Verschiebung zumindest zum Teil beibehalten wird. Sie rechnen dabei mit einem Rückgang des durch Dienstreisen bedingten Verkehrs um 25 Prozent und mit 3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr weniger.
Weg vom privaten Pkw
Die Neustart-Autor:innen formulieren für sechs Lebensbereiche von Wohnen über Energie bis hin zum Konsum im Detail, was sich ändern müsse. Veranschaulichen lässt sich das beispielsweise am Neustart-Programm für den Bereich Mobilität. „Die aktuellen Verkehrssysteme sind denkbar unnachhaltig“, kritisieren die Autor:innen. Sie müssten daher schleunigst reformiert werden: hin zu Bussen und Bahnen, die keine Emissionen und keine Luftverschmutzung verursachen, die ressourcenschonend sind und deren Nutzung inklusiv, erschwinglich, sicher und komfortabel ist. Im Einzelnen heiße das unter anderem: Weg vom privaten Pkw, hin zu elektrisch und mit Ökostrom betriebenen Bussen und Bahnen, Wasserstoffantrieb bei Lkws. Subventionen für nachhaltige Verkehrsmittel statt für Autos.
Dort, wo Mobilität Daten generiert, sollten Transparenz, Datensouveränität der Nutzer:innen und Open Source Standard sein. Das wäre auch für den Logistiksektor relevant, wo wenige große Unternehmen den Markt dominieren und nicht immer die nachhaltigste Lösung anbieten. Mobilitätsplattformen, etwa für Ride-Sharing oder Essenslieferungen, sollten faire Löhne zahlen, Arbeitnehmer:innenrechte respektieren und auch einen gesellschaftlichen Beitrag leisten, etwa beim Transport mobilitätseingeschränkter Personen helfen. „Wenn sie richtig konfiguriert und verwaltet werden, können Mobilitätsplattformen die ökologische und soziale Nachhaltigkeit fördern“, schlussfolgern die Autor:innen.
Diese Maßnahmen sind nur ein Ausschnitt dessen, was für den Bereich Mobilität vorgeschlagen wird. Hochgerechnet auf fünf weitere Sektoren – Industrie, Landwirtschaft, Wohnen, Energie und Konsum – ist der Aufwand für den Gesetzgeber erheblich. Das sehen auch die Neustart-Autor:innen und folgern: „Je früher die Weichen neu gestellt werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Neuausrichtung.“
Recht auf Reparatur
Politisch dürfte dabei vor allem folgendes zentrale Ziel der Studie anecken, das Santarius bei der Vorstellung folgendermaßen formuliert: „Der Zweck der Digitalisierung muss sich den Nachhaltigkeitszielen unterordnen.“ Momentan werden digitale Anwendungen von politischer Seite für zahlreiche Zwecke vorangetrieben: zur Effizienzsteigerung im Gesundheitssystem beispielsweise, zu Überwachungszwecken im Bereich Kriminalitätsbekämpfung, oder um im globalen industriellen Wettbewerb vorne mitzuspielen, etwa bei künstlicher Intelligenz. Nachhaltigkeitsziele sind vergleichsweise selten dabei. Auch an anderen Stellen werden sie nicht mitgedacht, etwa als die EU kürzlich mehrere umfangreiche Gesetzespakete zur Plattformregulierung beschloss. Bei derartigen Vorhaben, fordert Santarius, müsse Nachhaltigkeit immer ein Teil sein.
Für viele Nutzer:innen vor allem in den Industrieländern wäre dagegen ein anderes Ziel gewöhnungsbedürftig: Suffizienz. Also: Deutlich weniger Geräte verwenden, diese lange nutzen und reparieren. Die Autor:innen sprechen hier von „genügsamkeitsorientierten Lebensstilen“. Santarius gibt der Politik in diesem Zusammenhang schon mal ein erstes, ganz konkretes Ziel mit: ein Recht auf Reparatur. Das sei eine sehr kurzfristig umsetzbare Maßnahme, um signifikant Ressourcen und Energie einzusparen.
Im Koalitionsvertrag ist ein solches Recht auch schon vereinbart. Eine Anfrage der taz zum aktuellen Stand hat das Bundesumweltministerium bis Redaktionsschluss nicht beantwortet. Im letzten Entlastungspaket fand sich, entgegen der Hoffnung von Umweltschützer:innen, kein Bonus für Menschen, die ihre Elektronikgeräte reparieren lassen – ein Konzept, das etwa in Thüringen und Österreich schon praktiziert wird.
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