Differenzen mit Freunden und Familie: Die Dämonen abschütteln
Ob astrologischer Aberglaube oder homöopathische Begeisterung: Früher konnten wir Freunden allerlei Schrullen verzeihen. Jetzt aber gehts ums Ganze.
Z u den Dingen, an die Leute um mich herum glauben, gehört: dass ein Sternbild etwas über den Charakter aussagt; dass ein Bernsteinkettchen dem Baby beim Zahnen hilft; dass Halbedelsteine je nach Sternzeichen Glück bringen; dass Mikrowellengeräte das Essen vergiften; dass Bachblütentropfen innere Kräfte ins Gleichgewicht bringen.
Wissen Sie noch, damals, als all dies zu den Schrullen gehörte, die wir aneinander dulden oder sogar irgendwie mögen konnten – nach dem Motto: Schließlich hat hier jeder sein Päckchen zu tragen? Anderswo stehen seit vielen Jahrhunderten Männer vor Altären und erzählen, eine Jungfrau habe ein Kind geboren.
Es gibt in Berlin ein Museum für surrealistische Kunst. Die Sammlung Scharf-Gerstenberg ist nicht besonders bekannt, und um die vielen feinen Kohlezeichnungen wirklich gut zu erkennen, muss man sich manchmal so weit vorbeugen, dass der Alarm lospiept und der Wärter mahnend um die Ecke schaut. Zu sehen sind Bilder von Abgründen, Dämonen, Albträumen; das ganze Museum ist eine große Anrufung des „Es könnte alles ganz anders sein, und zwar düsterer, als du denkst“.
Wer sich die unwirklichen Kerker, die verzerrten Gesichter, die wüsten Landschaften angeschaut hat, fühlt sich vielleicht wirklich besser, wenn er danach sein Magnetarmband berührt. Andere testen lieber den Blaubeerkuchen im Museumscafé.
Die pandemische Gretchenfrage
Es hätte so alles weiterhin seine wunderbarste magische Ordnung haben können, wenn nicht die Impffrage plötzlich dazwischengekracht wäre. Die Möglichkeit, uns mit Biontech, Moderna et al. vor Covid-19 zu schützen, hat das Gewebe des Einverständnisses darüber, was Vernunft ist und wo sie hingehört, zerstört. Es ist eine Art pandemische Gretchenfrage – „Nun sag, wie hast du’s mit der Impfung?“ –, die seit Monaten auch Teile meines sozialen Umfelds durchpflügt.
Die Dialoge sind Schwerstarbeit. Dinge, die uns sonst zusammenhielten, tragen auf einmal zur Trennung bei. Das unter Freundinnen sonst geteilte Gut Feminismus etwa wird aufs Äußerste, sagen wir: strapaziert.
Gemäß der fatalen Idee, dass Medizin auch nur eine Ausformung des Patriarchats sei, lassen sich viele Frauen lieber von Menschen ohne medizinische Ausbildung etwas über ihre Gesundheit erzählen als von Menschen mit medizinischer Ausbildung. Im Ergebnis fallen dann Sätze wie: „Ich kenne meinen Körper, der braucht/verträgt keine Impfung.“
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Natürlich gibt es von dieser Selbstbehauptungsgeschichte auch die männliche beziehungsweise männlich zu lesende Variante. Sie kommt ganz ohne feministisches Erbe aus und lautet: „Ich bin der einzige Spezialist für meine Gesundheit.“ Das souveräne Ich weiß hier sowieso immer schon alles besser als der ganze Wissenschafts- und Politikbetrieb zusammen. Das Phänomen ist lagerübergreifend zu beobachten.
Nicht lange her, wäre auch dies noch unter „Hauptsache, sie werden alle glücklich damit“ gelaufen – Themenwechsel, weiter im Text beziehungsweise im Gespräch. Jetzt ist es unüberwindbar, eine Heimsuchung, ein Albtraum im sozialen Mikrokosmos. Die Diskussionen werden zu vielköpfigen Dämonen, die einen in den Schlaf verfolgen können.
Wäre es nur mit Blaubeerkuchen alles wieder aufzulösen. Oder mit Lebkuchen, den habe ich gerade vorrätig.
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