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Differenzen mit Freunden und FamilieDie Dämonen abschütteln

Ob astrologischer Aberglaube oder homöopathische Begeisterung: Früher konnten wir Freunden allerlei Schrullen verzeihen. Jetzt aber gehts ums Ganze.

Querdenken-Demonstration in München Anfang Dezember 2021 Foto: Imago

Z u den Dingen, an die Leute um mich herum glauben, gehört: dass ein Sternbild etwas über den Charakter aussagt; dass ein Bernsteinkettchen dem Baby beim Zahnen hilft; dass Halbedelsteine je nach Sternzeichen Glück bringen; dass Mikrowellengeräte das Essen vergiften; dass Bachblütentropfen innere Kräfte ins Gleichgewicht bringen.

Wissen Sie noch, damals, als all dies zu den Schrullen gehörte, die wir aneinander dulden oder sogar irgendwie mögen konnten – nach dem Motto: Schließlich hat hier jeder sein Päckchen zu tragen? Anderswo stehen seit vielen Jahrhunderten Männer vor Altären und erzählen, eine Jungfrau habe ein Kind geboren.

Es gibt in Berlin ein Museum für surrealistische Kunst. Die Sammlung Scharf-Gerstenberg ist nicht besonders bekannt, und um die vielen feinen Kohlezeichnungen wirklich gut zu erkennen, muss man sich manchmal so weit vorbeugen, dass der Alarm lospiept und der Wärter mahnend um die Ecke schaut. Zu sehen sind Bilder von Abgründen, Dämonen, Albträumen; das ganze Museum ist eine große Anrufung des „Es könnte alles ganz anders sein, und zwar düsterer, als du denkst“.

Wer sich die unwirklichen Kerker, die verzerrten Gesichter, die wüsten Landschaften angeschaut hat, fühlt sich vielleicht wirklich besser, wenn er danach sein Magnetarmband berührt. Andere testen lieber den Blaubeerkuchen im Museumscafé.

Die pandemische Gretchenfrage

Es hätte so alles weiterhin seine wunderbarste magische Ordnung haben können, wenn nicht die Impffrage plötzlich dazwischengekracht wäre. Die Möglichkeit, uns mit Biontech, Moderna et al. vor Covid-19 zu schützen, hat das Gewebe des Einverständnisses darüber, was Vernunft ist und wo sie hingehört, zerstört. Es ist eine Art pandemische Gretchenfrage – „Nun sag, wie hast du’s mit der Impfung?“ –, die seit Monaten auch Teile meines sozialen Umfelds durchpflügt.

Die Dialoge sind Schwerstarbeit. Dinge, die uns sonst zusammenhielten, tragen auf einmal zur Trennung bei. Das unter Freundinnen sonst geteilte Gut Feminismus etwa wird aufs Äußerste, sagen wir: strapaziert.

Gemäß der fatalen Idee, dass Medizin auch nur eine Ausformung des Patriarchats sei, lassen sich viele Frauen lieber von Menschen ohne medizinische Ausbildung etwas über ihre Gesundheit erzählen als von Menschen mit medizinischer Ausbildung. Im Ergebnis fallen dann Sätze wie: „Ich kenne meinen Körper, der braucht/verträgt keine Impfung.“

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Natürlich gibt es von dieser Selbstbehauptungsgeschichte auch die männliche beziehungsweise männlich zu lesende Variante. Sie kommt ganz ohne feministisches Erbe aus und lautet: „Ich bin der einzige Spezialist für meine Gesundheit.“ Das souveräne Ich weiß hier sowieso immer schon alles besser als der ganze Wissenschafts- und Politikbetrieb zusammen. Das Phänomen ist lagerübergreifend zu beobachten.

Nicht lange her, wäre auch dies noch unter „Hauptsache, sie werden alle glücklich damit“ gelaufen – Themenwechsel, weiter im Text beziehungsweise im Gespräch. Jetzt ist es unüberwindbar, eine Heimsuchung, ein Albtraum im sozialen Mikrokosmos. Die Diskussionen werden zu vielköpfigen Dämonen, die einen in den Schlaf verfolgen können.

Wäre es nur mit Blaubeerkuchen alles wieder aufzulösen. Oder mit Lebkuchen, den habe ich gerade vorrätig.

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Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
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10 Kommentare

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  • Geht es bei pandemischer Gretchen Impffrage um nichts Geringeres als die Frage, wie hälst du es mit der Fortschrittserzählung von Pharma Technologie, die jeder Zeit in der Lage scheint, Impfstoffe zu erfinden, uns vor Corona Pandemie zu schützen, dieses Narrativ gegen Anthroposophie, Globi Gläubige, Impfskeptiker, Queerbeetdenker, Verschwörungstheorien zu behaupten, statt öffentlich einzuräumen, dass es für Corona Viren bisher so wenig Impfstoffe gibt wie für HIV Viren, uns aber die BionTech/Pfizer, Moderna mRNA-Pharma Technologie aus der Krebsforschung zwar nicht Impfstoffe zu körpereigen produzierter Immunität gegen Covid 19 Viren Varianten verhilft aber unser Immunsystem durch immer neue Auffrischung, Boostern befristet stärkt, ohne die von uns ausgehende Ansteckungsgefahr ganz zu verhindern, besonders dann, wenn unser Immunsystem durch Vorerkrankungen, insbesondere Chemo-, Strahlenbehandlung von Krebs intervenierend geschwächt ist?



    Anders als bei Krebs-, HIV Behandlung, fehlt es bei Corona Behandlung bisher scheinbar an politischem Willen, Entwicklung, Erforschung von Medikamenten zu finanzieren.



    Weder von RKI Präsident Lothar Wieler, noch SPD Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hören wir Signal mitten in Corona Pandemie, staatliche Studien anzustossen, Wirkung vorhandener Medikamente zu frühzeitig ambulanter Behandlung von SARS Covid 19 Erkrankten zu erforschen, zu belegen, weil, das trotz politischem Bekenntnis zu Vorrang Pharmaindustrie gesponserten Studien für neue, profitable, bei vorhandenen wenig profitablen Medikamenten nicht geschieht. Stattdessen werden nahezu alle ambulant unbehandelten Covid 19 Krankheitsfälle Kliniken aufgelastet, was zwngsläufig zu deren Dauerüberforderung führt



    Beide schweigen zu Corona Pandemie Bekämfung durch WHO, die es bei pandemischer Lage globaler Tragweite belässt, ob neue Bundesregierung wie alte ablehnt, anders als 140 WTO Länder, darunter Indien, Südafrika, USA Patentrecht während Corona Pandemie auszusetzen

  • Hoffentlich hat Uranus nichts gegen diesen Text.

  • Ach Gottchen, wo bin ich denn hier gelandet?

    Seit Jahrzehnten nehme ich auf Empfehlung einer Kollegin meine Kügelchen, wenn z. B. eine Erkältung im Anmarsch ist, bei diesen und jenen Wehwehchen. Nehme meine homöopathische Salbe, so wie es meine Zahärztin empfohlen hat, wenn ich bestimmte Zahnprobleme hat.

    Top, und den Unterschied zu Placebos kenne ich.

    In meinem Bekanntenkreis gibt es auch Leute, die an Astrologie glauben, ziemlich fitte Leute, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen.

    Nette Leute, harmlos.

    Geimpft. So wie ich.

    Es gibt auch andere in meinem Bekanntenkreis. Die nicht geimpft sind und an Verschwörungen glauben.

    Die einen unterscheiden sich von den anderen durch die Medien, die sie benutzen.

    Die einen lesen Qualitätsjournalismus über seriöse Medien, die anderen sind in den sozialen Hetzwerken hoffnungslos verloren. Mit manchen kann ich kaum noch kommunizieren.

    »Ein demokratisches System nimmt im Ganzen Schaden, wenn die Infrastruktur der Öffentlichkeit die Aufmerksamkeit der Bürger nicht mehr auf die relevanten und entscheidungsbedürftigen Themen lenken und die Ausbildung konkurrierender öffentlicher und das heißt: qualitativ gefilterter Meinungen nicht mehr gewährleisten kann.« (Habermas).

    Nun, Anthroposophen zu verunglimpfen bringt uns auch nicht weiter.

    Steiner zu Impfungen:



    ZDF: "Er war nicht gegen Impfungen - zur damaligen Zeit ging es um die Pocken-Impfung - eingestellt und hat sich auch selber , seine Frau und alle im Haus und im Kinderhort impfen lassen.



    Aus einem Vortrag: "Da muss man eben impfen. Es bleibt nichts anderes übrig. Denn das fanatische Sichstellen gegen diese Dinge ist dasjenige, was ich, nicht aus medizinischen, aber aus allgemein anthroposophischen Gründen, ganz und gar nicht empfehlen würde."



    www.zdf.de/nachric...e-steiner-100.html



    dasgoetheanum.com/...iner-ueber-impfen/

  • Das ist mir alles gut vertraut. Aber nun werden diese FreundInnen von Rechten unterwandert, von QAnon-Irren, vom Great Reset, jedenfalls von Leuten die es nicht minder ernst meinen wie weiland die RAF oder nein: eher der IS und der globale Dschihad. Und genau da ist jetzt die Grenze. Die Radikalen waren allessamt schon immer rechthaberisch bis zur Besessenheit bis zur Skrupellosigkeit. Dass daraus kein Glück erwächst, das liegt auf der Hand. War immer so. Es ist wie beim Suff: Man hört erst auf, wenn man ganz unten angekommen ist.

  • Ich glaube, vielen ist gar nicht klar, wie ernstzunehmend das Phänomen der Impfgegnerschaft ist.

    Tatsache ist: jeder freiwillig Ungeimpfte, der an Covid stirbt, stirbt, weil er geglaubt hat, Impfungen seien unnötig oder gar schädlich.

    Die Ideen der Impfgegner töten Menschen. Auf nichts anderes läuft es hinaus. Es geht da nicht nur um irgendetwas abstraktes wie Solidarität. Es geht um echte Menschen.

    • @Suryo:

      Nun, dem ist zuzustimmen, AUßER: Solidarität ist hier überhaupt nicht "irgendwas Abstraktes". Denn Impfungen bremsen auch die Verbreitung der jew. neuen Virusvariante, bislang bremst sogar die "alte" Impfung neue Varianten, Nicht-Impfen bremst eben nicht. Wir schonen (von lästigem bis erschreckendem Verlauf), und wir retten (vor Intensivstationstrauma und vor Tod) Menschen. Das meint hier das Wörtchen 'Solidarität'. Pieks.

  • Was ist denn astronomischer Aberglaube? Ich kenne nur astrologischen.

  • Das die Diskussionen immer noch so hitzig geführt werden, finde ich inzwischen erstaunlich. Erst gestern ging es bei mir in der Diskussion noch um Sanktionen, ja oder nein.



    Am Anfang der Pandemie waren die Ängste noch verständlich. Ein unbekannte Virus, von dem man so vieles nicht wusste, Dann Impfstoffe, die in Rekordzeit auf den Markt kamen. Auch hier ein großes Misstrauen. Nichts war bekannt, alles war neu. Covid-19, mRNA, lockdowns, und Unsicherheit in der Zukunft.



    Inzwischen wissen wir mehr über die Impfverträglichkeit, über das Risiko eines Krankenhausaufenthaltes mit schwerem Verlauf. Wir wissen, dass uns eine Impfung nicht vor einer Infektion schützt, die Symptome aber wesentlich milder ablaufen, wir wissen, dass uns die Impfung auch nicht 100% vor einem Krankenhausaufenthalt schützt und vor einem schweren Verlauf, aber die Wahrscheinlichkeit ist deutlich geringer. Wir wissen, das Covid-19 bleiben wird und dass sich jede/r irgendwann anstecken wird. Das heißt, der Prozess der gesellschaftlichen Imunisierung läuft zwangsläufig ab. Geblieben von allen Anstrengungen, die Ausbreitung klein zu halten, ist die Hoffnung durch Einschränkungen das Gesundheitssystem arbeitfähig zu halten. Verzögern und strecken ist die Devise, statt verhindern.



    Wir sitzen weiterhin im gleichen Boot und das sollte uns doch auch im Umgang miteinander wieder mehr entspannen, hoffe ich.



    Es sei denn es geht um Verschwörungen von Eliten gegen die Menschheit, die beleglos mit konstruierten Kausalketten die Gemüter erhitzen, aber da hilft auch keine Diskussion mehr weiter, da kann man nur noch versuchen mit erwartungsfreier Gelassenheit Fakten dagegen zu setzen.



    Wichtig finde ich nur, dass nicht durch eine generelle Impfpflicht weiter Öl ins Feuer gegossen wird und selektiv repressive Massnahmen nicht als Disziplinierung von Minderheiten, begleitet von einer gewissen Genugtuung, eingesetzt werden.

  • Vielleicht bin ich besonders spießig oder intolerant, aber wenn es in meinem Bekanntenkreis jemanden gegeben hätte, der Menschen mit diesem oder jenen "Sternzeichen" irgendwelche Charaktereigenschaften zugeschrieben hätte, so wäre ich genauso auf Distanz gegangen, wie bei jemandem der das in Bezug auf Hautfarbe oder den religiösen, z.B. jüdischen, Hintergrund der Großeltern einer Person gesagt hätte. Antisemitismus, Rassismus und Astrologie sind Geschwister. Astrologie ist nicht harmlos.

    Wiglaf Droste zum Thema: panblogtikum.blogs...at-nicht-alle.html

    • @Io Jap:

      "Antisemitismus, Rassismus und Astrologie sind Geschwister. Astrologie ist nicht harmlos."

      Das ist reiner Unsinn. In meinem Bekanntenkreis gibt es eine Reihe von Leuten, die an Astrologie glauben.

      Checken Sie mal mein Profil, wie viele Kommentare ich gegen Antisemitismus geschrieben habe.

      Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun.

      Weitaus mehr Sorge macht mir die klammheimliche BDS-Sympathie mancher linker kollegen.