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Die WahrheitSammelwahn im Ösi-Billa

Suchtgefahr in Österreich: Es geht um Möhren, Eintagsfliegen und Enten beim Gründeln. Was eine Supermarktkette so alles anrichten kann. Ja, servus!

D er Sammelwahn ist im schönsten unserer Nachbarländer ausgebrochen. Wie jedes Jahr hat Billa, eine der größten österreichischen Supermarktketten, ein Stickeralbum herausgebracht. 2024 war der Wald das Objekt der Begierde, heuer ist es die „Magische Wasserwelt“. Darin begleitet man die Rotzgöre Billi auf ihrer Reise rund um Tümpel und Flüsse in der Alpenrepublik. Für jeden Einkauf gibts ein Sammelpäckchen mit fünf Stickern gratis dazu, insgesamt passen 180 ins Album. Darunter sind limitierte wie der berüchtigte Seerosenzünsler und Ottersticker mit Pelzüberzug. Sofort habe ich mir das Stickeralbum gekauft und die ersten Motive reingeflantscht. Und was für ein Glück: Da ziehe ich doch die glitzernde, superseltene „Eintagsfliege“ gleich im ersten Päckchen.

Nach ein paar Tagen reicht mir ein Päckchen pro Einkauf aber nicht mehr aus. Zum Glück ist da die Renate, eine Billa-Mitarbeiterin, die gleich weiß, was ich brauche. Als Vorwand kaufe ich kurz vor Ladenschluss mehrere Möhren, wobei mir Renate ganze 20 Päckchen „unter der Ladentheke“ zusteckt. So wächst mein Stickeralbum beständig. Nur das letzte Motiv, die elende „Köcherfliegen-Larve“, fehlt. Seitdem herrschen bei mir zu Hause unerträgliche Zustände: Mehr Möhren passen einfach nicht ins Gemüsefach.

In ganz Wien grassiert er, der Billa-Sammelwahn. Juweliere verkaufen keinen Schmuck mehr, sondern nur noch Billa-Karten. In ihren Panzerglasvitrinen stehen nicht Golduhren, sondern das megaseltene „Enten-beim-Gründeln“-Motiv. Auf „Willhaben“, dem Ösi-Pendant zum deutschen Anbieter Kleinanzeigen, bieten Userinnen und User dafür sogar ihre Kleinwagen und ihre Großmütter zum Tausch an.

Ich brauche Renates Hilfe, um die fehlenden Sticker zu besorgen. Weil sie noch einen „ordentlichen Batzen“ zu Hause habe, will mir die Kassiererin die Karten schenken. Ich bin dann wieder in die Filiale gegangen. Als sich die Schiebetür öffnet, kommt mir ein Wasserschwall entgegen. Irgendein Wahnsinniger hat den Billa in ein Sumpfgebiet verwandelt: Erdkröten quaken und Otter planschen durch die Billa-Pampa. Die restliche Kundschaft watet durch den Schlick, als würde sie das jeden Tag tun.

Renate kommt mir auf einem Floß entgegen

„Das sind die gewohnt“, sagt Renate, die mir auf einem Floß entgegenkommt. In Österreich ist es wohl so, dass jedes Jahr, wenn die heiße Stickerphase endet, ein Thementag im Billa stattfindet. Letztes Jahr sollen zu „Wir erforschen den Wald“ sogar mehrere Bäume in der Gemüseabteilung gepflanzt worden sein. „Schade“, sagt Renate, dass ich nicht schon früher dabei gewesen sei, etwa bei der „Entdeckungsreise Österreich“.

Damals soll es sogar einen Selfie-Stand mit Ex-Kanzler Basti Kurz gegeben haben. Renate zwinkert mir zu und gibt mir einen hellblauen Umschlag mit der Aufschrift: „Viel Spaß mit den Stickern, Deine Damen vom Billa:-) “. Ob sich darin wirklich nur die Tiermotive befinden?

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Denis Giessler
Chef vom Dienst, Social-Media und die Wahrheit
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