Die Wahrheit: Die Völkerfreunde sind wieder da!
Im Osten herrschen ab sofort wieder solide Verhältnisse. Putin hat Sachsen und Thüringen von grünen Männchen annektieren lassen. Brandenburg wartet.
Wir brauchen eine diplomatische Lösung im Ukraine-Krieg“, fordert der Brandenburger SPD-Ministerpräsident auf seiner Wahlkampfveranstaltung, doch dann wendet sich Dietmar Woidke unsicher an die maskierten Männer. Zahlreiche Uniformierte ohne Hoheitsabzeichen haben sich unter die Wähler auf dem Marktplatz der Oderstadt Schwedt gemischt. „Diplomatie? Das wird man ja noch sagen dürfen?“, fragt der Politiker. Ein Herr mit Maschinengewehr nickt, Woidke atmet auf.
Der Wahlkampfendspurt in Brandenburg steht im Zeichen der Ukraine-Politik des Bundes, die gerade im Osten auf Widerstand stößt – neuerdings sogar auf bewaffneten.
„Wie hältst du es mit Russland?“ war schon zur Gretchenfrage der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen geworden – doch scheint dort die Frage entschieden, seit Putins Regierungspartei „Einiges Russland“ in beiden Ländern ein kaum abzulehnendes Koalitionsangebot gemacht hat.
„Unabhängige Stimmenauszählungen haben ergeben, dass Thüringer und Sachsen zu 99 Prozent für einen Anschluss an Moskau gestimmt haben“, erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow auf einer selten gewordenen Pressekonferenz. „AfD und BSW sind zwar lupenreine Kremlparteien, aber wir sind das Original“, rechtfertigte er die neue russische Westerweiterung. „Wir respektieren bloß die Ergebnisse des Referendums.“
„Herzlich Willkommen, Saksoniya und Tyuringiya!“, begrüßte Präsident Putin kurz darauf in deutscher Zunge die beiden neuen Oblaste. Zuvor hatte er im Staatsfernsehen eines seiner prächtigen Dekrete präsentiert, die er nach Art Iwan des Schrecklichen mit Oppositionellenblut auf der Haut seiner Feinde zu unterschreiben pflegt: Ab sofort, also unverzüglich, gelten die beiden östlichen Bundesländer als westliche Bundesländer der russischen Föderation.
Möglich gemacht hat den Anschluss eine juristische Lücke, die sich an den Verfassungsgerichten Sachsens und Thüringens aufgetan hat: Bei der letzten Sitzung waren sämtliche Richter aus dem Fenster gestürzt und mussten durch eilig ausgeschnittene Pappkameraden ersetzt werden.
Moskaus bester Mann aus einem Kellerlabor unter dem Kreml
„Ein bedauerlicher Unfall“, erklärte der russische Verhandlungsführer. In einem verplombten Zug hatte Moskau seinen besten Mann in den Westen geschickt – einen Tschekisten mit eingefrorenen Gesichtszügen, die dem des Präsidenten aus dem Botox-Gesicht geschnitten scheinen. Angeblich werden die Putin-Doubles in einem Kellerlabor unter dem Kreml täglich frisch aus Fußnägeln des Originals geklont. Immerhin konnte das Eingreifen des Apparatschiks eine Regierungsbeteiligung der AfD final verhindern. Allerdings wird auch keine andere politische Kraft an der Einparteien-Koalition beteiligt.
„Vielleicht haben wir uns zu weit aus dem Fenster gelehnt, als wir von einem Wahlsieg der CDU gesprochen haben“, gab Thüringens Spitzenkandidat Mario Voigt zu, nachdem er angeschlagen aus dem Verhandlungskeller der wiedereröffneten Erfurter Stasizentrale wankte.
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer hat es nicht so weit kommen lassen. In Bärenfellmütze und Kossoworotka-Hemd zeigt er demonstrativ jene Russlandnähe, die er zuvor gern mündlich zum Ausdruck gebracht hat. Stolz verweist der frisch geschmierte Oligarch, der für seine Regimenähe mit dem Monopol auf die sächsischen Butterstollen belohnt wurde, auf die Tradition der Ost-CDU als Blockpartei. „Die Blockflöte spielt die Musik, aber sie komponiert sie nicht“, zitierte Kretschmer ein altrussisches Bojaren-Sprichwort.
Auch Thüringens AfD-Chef Höcke hat dem Moskowiter seine Männerfreundschaft durch Kotau angetragen. Das Putin-Double hat den rechtsradikalen Dorfschullehrer daraufhin zum Verweser des Festungsrayons Eichsfeld ernannt, wo er mit einer Reiterarmee Insurgenten bekämpfen und die Westgrenze gegen Barbareneinfälle aus Gayropa schützen soll. Ferner darf er endlich auch in der Öffentlichkeit seine geliebte SA-Uniform tragen und sich „Ataman von Weiß-Supremistan“ nennen. Allerdings besteht Höckes Homeland fürs völkische Völkchen nur aus einem Wäldchen im Eichsfeld und dem Wohnzimmer seines Kumpels Kubitschek in Schnellroda.
Besser hat es Putin-Fan Sahra Wagenknecht getroffen. Für langjährige Dienste um die deutsch-russischen Beziehungen auf Kosten osteuropäischer Länder wurde die Rechtslinks-Politikerin nicht nur mit dem Sankt-Georgs-Gängelband an der Rüschenbluse ausgezeichnet, sondern zur Generalsekretärin befördert. „Ich wollte schon immer Schreibarbeiten für einen Helden der Roten Armee erledigen“, erklärte Wagenknecht, die als Stenotypistin wieder einen jener traditionellen Frauenberufe ausüben darf, die unter der Gender-Terrorherrschaft der „skurrilen Minderheiten“ so gut wie verboten waren.
In der alten Bundesrepublik stößt die Rückkehr des Ostens hinter den Eisernen Vorhang vor allem auf Gleichgültigkeit oder Erleichterung. Westlichen CDU-Granden wie Norbert Röttgen oder Roderich „Fridolin“ Kiesewetter gilt der Untergang der Bonner Republik schon lang als „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. Und wenn Friedrich Merz nun Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze fordert, dürfte er vor allem die innerdeutsche im Blick haben.
Moskaus Augenmerk richtet sich nun aufs slawische Brandenburg
Bundeseremit Olaf Scholz, der sein Quartier wieder im Bonner Kanzleramt aufgeschlagen hat, reagiert auf die andauernden russischen Provokationen mit der schärfsten Waffe in seinem Arsenal, dem passiv-aggressiven Schweigen. Denn nach dem erfolgreichen Referendum in Saksoniya und Tyuringiya richtet sich Moskaus Augenmerk auf Brandenburg. Auch diese slawisch geprägte Region gehört nach Meinung des Kreml zur „russki mir“, der russischen Zivilisation, die es zusammenzuführen gilt.
„Die Ruppiner Rus war ein Vorläuferstaat Russlands“, erklären schwerbewaffnete Aktivisten japanischen Touristen in der Fontane-Stadt Neuruppin. Und in der Lausitz haben prorussische Separatisten die Volksrepublik Sorbien ausgerufen. Angeleitet werden auch sie von jenen grünen Männern, die zwischen Prignitz und Neiße mittlerweile allgegenwärtig sind.
In Schwedt, das in „Schwedtlogorsk“ umbenannt werden soll, ist inzwischen sogar ein Raketenwerfer unbekannter Herkunft auf dem Marktplatz aufgetaucht. Die Lenkwaffe wird von Uniformierten auf Dietmar Woidke gerichtet. „Wir müssen so schnell wie möglich dafür sorgen, dass Frieden in Europa herrscht“, formuliert der Ministerpräsident diplomatisch. Der maskierte Herr mit Maschinengewehr nickt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation