Die Wahrheit: Rote Fahne als rotes Tuch

Die irische Regierung lässt recht selektiv die Jahrhundertfeiern des Landes zelebrieren. Es soll ja niemand auf dumme, gar politische Gedanken kommen.

Es ist das Jahr der Jahrhundertfeiern in Irland. 1922 zogen die britischen Besatzer ab, der irische Freistaat wurde gegründet, das allgemeine Wahlrecht wurde eingeführt, und der Bürgerkrieg brach aus. Die irische Regierung gedenkfeiert gerne. Bei einer Sache hält sie sich aber bedeckt, denn das Thema ist auch 100 Jahre später noch aktuell.

Damals besetzten in Dublin Arbeitslose den Rotunda-Konzertsaal, nach dem das benachbarte älteste Entbindungskrankenhaus der Welt benannt ist. Die Arbeitslosen, von denen es allein in der Stadt rund 12.500 gab, hatten den Saal ganz offiziell gemietet, weigerten sich aber dann, nach Hause zu gehen.

Oberbefehlshaber war Liam O’Flaherty, Mitbegründer der Kommunistischen Partei, der später einer der berühmtesten Schriftsteller Irlands wurde. Die Besetzer protestierten mit ihrer Aktion gegen „die Apathie der Herrschenden“, sagte er. Boland’s Bakery, die während des Osteraufstands 1916 von den Rebellen besetzt worden war, stiftete vorsichtshalber 500 Brotlaibe. Ein Reporter der Irish Times, der im Konzertsaal war, berichtete, dass die Besetzer militärisch straff organisiert waren, sich abends aber mit Tanz, Gesang und Alkohol vergnügten.

Rotes Tuch für die Kirche

Als O’Flaherty jedoch eine rote Fahne auf dem Gebäude hisste, war der Spaß vorbei. Die rote Fahne war ein rotes Tuch für die katholische Kirche. „Catholic Action“, eine reaktionäre europaweite Organisation, die sich dem Kampf gegen den Kommunismus verschrieben hatte und nach dem Zweiten Weltkrieg in den christlich-demokratischen Parteien aufging, wollte den Rotunda-Saal stürmen, aber die Tür hielt stand.

Ein junger Mann versuchte, die rote Fahne herunterzureißen, fiel aber vom Dach und kam ins Krankenhaus. Ein zweiter Versuch war erfolgreicher, doch kaum war die Fahne entfernt, hissten die Besetzer eine neue. Als sie mehrere Schüsse abfeuerten, kam es zur Konfrontation mit der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), die mit der Polizei zusammenarbeitete. O’Flaherty weigerte sich jedoch, den Räumungsbefehl der IRA zu akzeptieren.

Nach vier Tagen schritt die Kommunistische Partei ein. Roddy Connolly, der Sohn des Rebellenführers James Connolly, der nach dem Osteraufstand hingerichtet worden war, befahl O’Flaherty, mit seinen Leuten abzuziehen. Man wollte es sich nicht mit der IRA verscherzen. Connolly behauptete, O’Flaherty und seine Genossen hätten die Arbeitslosenbewegung durch ihre „überhastete und kindische Aktion“ zerstört. Zur Strafe wurden sie nach Cork geschickt, um dort die Partei aufzubauen.

Die Konzertsaalbesetzung war nicht die einzige Aktion der Kommunisten. Es gab zeitweise über 100 Räterepubliken in Irland. Das feiert die Regierung in diesem Jahr natürlich nicht. Die heutigen Obdach- und Arbeitslosen könnten ja sonst auf eigentümliche Ideen kommen.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.