Die Wahrheit: Heiße Heilige
Gegen die Gluthitze des Sommers helfen nur kühle Gedanken. Bloß nicht aufregen über die großen Aufregerthemen dieser Saison …
W ir lungerten herum, fächelten uns gegenseitig Ideen zu, wie man das bei diesen Temperaturen macht. Es ist nicht leicht, überhaupt gar nichts zu tun, also schwitzten wir einfach nur und atmeten flach.
Irgendwann hast du erklärt, warum es so irrsinnig heiß sei, weil nämlich „dieses Jahr die Dingens ausgefallen sind, die …, na?“ Affenpocken? „Nein, was die Bauern immer sagen, wenn es im Spätfrühling oder Frühsommer noch einmal so richtig arschkalt wird. Wie nennt man das?“
Ich nannte das einen klassischen Fehlschluss, und dann atmeten wir flach noch ein Weilchen weiter. Weil es nicht leicht ist, überhaupt gar nichts zu tun, erzählten wir uns im trägen Wechsel, wofür wir uns alles nicht interessieren.
Herzlich gleichgültig ist uns die Fußball-EM der Damen, um die, mutmaßlich aus progressiven Gleichberechtigungsgründen, gerade sehr viel Gewese gemacht wird. Herrenfußball interessiert uns ebenso wenig, da sind wir haltungsmäßig hoffentlich aus dem Schneider.
Uns kümmern nicht Massenschlägereien, gleich welcher ethnischen Zusammensetzung, in metropolitanen Freibädern, weil wir solche Bäder nicht besuchen und, täten wir es umständehalber doch, auf dem weitläufigen Areal gewiss ein schlägereifreies Plätzchen fänden.
Unsere Aufmerksamkeit unterläuft zuverlässig das Auf und Ab an „den Märkten“, die auf dies und das entweder empfindlich oder euphorisch reagieren, halt wie ein unter- oder überzuckerter Pubertierender, und dann werden diese Leute reicher und jene Leute ärmer, wie es eben so zugeht.
Wumpe ist uns, worüber sich ein vergleichsweise winziger Zirkel in den asozialen Netzwerken aufregt, wo Antirassisten anderen Antirassisten den Antirassismus oder Feministinnen anderen Feministinnen absprechen, Feministinnen zu sein, desgleichen Linke Linken das Linkssein.
Nicht wissen wollen wir, wie es im Milieu der sogenannten Clans zugeht und ob es das überhaupt gibt, vermutlich schon, wie es auch „Rockerbanden“ gibt, also Zuhälter und Wettbürobetreiber mit oder ohne Harley, die tun, was Kriminelle eben so tun, ohne dass uns das berührt.
Unberührt bleiben wir von Verspätungen im Zug- oder Flugverkehr, den Problemen der Zivilgesellschaft in Afghanistan, dem drohenden Coup in den USA, dem neuen Album von Lizzo, der Regierungskrise in Italien, den Waldbränden in Portugal, den Umfragewerten der SPD und dem 9-Euro-Ticket. Interessiert uns gerade wirklich nicht, sorry. Und wir sind zu müde, so zu tun, als täte es das doch.
Diese Einstellung ist kalt, das schon, aber sie erfrischt. Am Ende fällt mir doch noch ein, dass die kalten Tage im Mai die „Eisheiligen“ genannt werden. Aber du glaubst mir nicht und schlägst ersatzweise „Bofrost“ vor. Mir egal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku