Die Wahrheit: Mariupoly mit Wladi
Party bei Putin: Russlands großer Führer feiert seinen 70. Geburtstag mit jeder Menge ehrenwerter Gäste aus aller Welt.
Als Chef-Patissier in der Küchenbrigade des Kreml hat Juri Makarenko selbstverständlich in den großen Häusern Europas gelernt – das Savoy Hotel in London, das Georges V in Paris, das Hotel Sacher in Wien waren seine Stationen. Unbestritten ist er einer der ganz großen Meister seines Fachs. Mit seiner Neuinterpretation der russischen Honigtorte gewann er 2018 den Grand Prix de la Pâtisserie. Doch heute, am 7. Oktober 2022, ist er schon ein wenig aufgeregt, denn er hat etwas Außergewöhnliches kreiert: eine Geburtstagstorte zum 70. Geburtstag von Wladimir Wladimirowitsch Putin.
Was der Meister da geschaffen hat, ist ein Wunderwerk aus verschiedenen Teigschichten, Buttercreme, Sahne und Marzipan, geformt zu einer einen Meter hohen, perfekten Nachbildung der Moskauer Basiliuskathedrale. Sicherlich ist es die Krönung einer außergewöhnlichen Zuckerbäckerkarriere, wenn der Präsident der Russischen Föderation diese Torte dann persönlich anschneiden wird.
Heute wird Putin in den prunkvollen Sälen des Kreml eine handverlesene Schar von Freunden, Bewunderern und Verehrern aus aller Welt willkommen heißen, Menschen, die sich nicht von westlichen Desinformationskampagnen oder ukrainischem Säbelrasseln in ihrer Unterstützung des russischen Präsidenten haben beirren lassen. Und ist es nicht verständlich, dass angesichts der schon seit über sieben Monate währenden Spezialoperation mit all ihren entbehrungsreichen Momenten auch ein krisengestählter Staatsmann wie Putin an seinem Ehrentag einige Stunden der Erholung und Entspannung im Kreise Gleichgesinnter verbringen will?
Die Geburtstagsgäste haben weder Kosten noch Mühen gescheut, um an den Ort der Feierlichkeiten zu gelangen. Der nordkoreanische Führer Kim Jong Un reiste mit dem Sonderzug an, Syriens Präsident Baschar al-Assad wurde von einer russischen Iljuschin nach Moskau eingeflogen. Am schwierigsten erwies sich die Anreise für Gerhard Schröder. Aufgrund der Sperrung des russischen Luftraums entschied sich der Ex-Kanzler samt Ehefrau für eine so spektakuläre wie symbolträchtige Wahl des Verkehrsmittels: die beiden ließen sich in einer Spezialkapsel mittels Vakuum-Hyperunterdruck durch die fertiggestellte Nord-Stream-2-Röhre nach Russland saugen. Reichlich mitgenommen entstiegen sie in Wyborg der Kapsel, aber im stolzen Bewusstsein, die Möglichkeit einer zukünftigen Alternativnutzung der Pipeline der staunenden Weltöffentlichkeit demonstriert zu haben.
Mitbringsel aus Nordkorea
In den prächtigen Sälen des Kreml huldigen die Geladenen dem Mann, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Russlands alte Größe wiedererstehen zu lassen. Nach einer kurzen Begrüßung nimmt ein sichtlich gerührter Putin die Geschenke seiner Gäste entgegen. Nordkoreas „Oberster Führer“ Kim Jong Un präsentiert dem Kreml-Herrscher sein Mitbringsel, das er in einem Spezialwaggon seines Sonderzugs transportiert hat und das aufgrund seiner schieren Größe im Innenhof abgestellt worden ist: eine zum Konferenztisch umgebaute Interkontinentalrakete vom Typ Hwasong-16, mit der auch für Putins Verhältnisse stattlichen Länge von 26 Metern.
Baschar al-Assad würdigt Putin als einen der großen, oft missverstandenen Weltenlenker seiner Zeit, um dann tief in die Geschichte dieses besonderen Tages einzutauchen: „Sie, verehrter Wladimir, sind am 7. Oktober geboren, an einem Tag, an dem schon immer Weltgeschichte geschrieben wurde. Am 7. Oktober 1949 wurde die DDR gegründet, der erste Arbeiter-und-Bauern-Staat auf deutschem Boden, zu dem auch Sie eine besondere Beziehung hatten. Und vergessen wir nicht, dass am 7. Oktober Heinrich Himmler geboren wurde, auch er ein oft verkannter Visionär von weltpolitischer Bedeutung.“
Gerhard Schröder kann an dieser Stelle ein Hüsteln nicht ganz unterdrücken, doch will er die feierliche Stunde nicht durch kleinliche Mäkeleien entweihen. Nach seinem historischen Exkurs überreicht Assad als Geschenk einen von syrischen Knüpfern gefertigten Teppich mit kunstvoll gestalteten explosiven Motiven. „Möge dieser Bombenteppich Ihrem Heim zur Zierde und Ihren Feinden zur Mahnung gereichen!“, schließt Assad seine launige Ansprache.
Es folgt ein Zwischenspiel mit dem Balalaika-Ensemble der russischen Armee, zu dem Tänzer des Bolschoi-Theaters eine Choreografie mit dem Titel „Nowitschok“ zur Aufführung bringen. Danach ist es an Gerhard Schröder, dem Jubilar sein Geschenk zu übergeben. Schröder entschuldigt sich beim „lieben Wladimir“, dass er aufgrund der beengten Platzverhältnisse in der Nord-Stream-Kapsel nur eine kleine Aufmerksamkeit hat mitbringen können. Putin packt das Geschenk aus und studiert mit Wohlgefallen „das Spiel des Jahres 2022 – Mariupoly“. Sicherlich ein schönes Brettspiel für einen gemütlichen Spieleabend mit Sergei Lawrow.
Überwältigung durch Torte
Als alle Gäste ihre Glückwünsche und Geschenke überbracht haben, wird zu den Klängen der russischen Nationalhymne die Geburtstagstorte hereingefahren. Ein Raunen geht durch den Saal angesichts der überwältigenden Schönheit der Torten-Kathedrale. Livrierte Bedienungen servieren Krimskoje, es erklingt ein vielstimmiges „Happy Birthday, großer Wladimir“, und Putin lässt sich vom Zeremonienmeister ein riesiges Messer reichen. Ein seliges Leuchten erstrahlt in seinen Augen – so eine Torte hat er sich schon als kleiner Junge immer gewünscht.
Als er aber mit dem Messer in das Buttercreme-Gebirge fahren will, platzt das zwieblige Kuppeldach der Basilika von dem süßen Gebilde, und mit einem sardonischen Lachen kommt Meister Makarenko zum Vorschein. Im Anschlag hat er eine mit Patronen prall gefüllte Kalaschnikow, die nun die einzige Sprache von sich gibt, die von der hier versammelten „Bande“, wie der wackere Konditor die Feiergesellschaft nennt, verstanden wird: rattatattatattatatta …
Kim Jong Un wird durch ein Fenster geschleudert und stürzt auf den Raketentisch, Baschar al-Assad verendet auf seinem handgeknüpften Bombenteppich, und Wladimir Wladimirowitsch Putin haucht sein Leben so aus, wie er es gelebt hat – zwischen Blut und Sahne. Nur Gerhard Schröder überlebt, weil er seine Frau So-yeon Schröder-Kim als menschlichen Schutzschild benutzt und nicht durchsiebt wird.
Bereits kurz nach dem erfolgreichen Attentat gibt Juri Makarenko, der schnell als Nachfolger Wladimir Putins gehandelt wird, der Weltpresse ein Interview und kommentiert das Geschehen mit typisch russischer Lakonie: „Nu, was soll ich sagen, es hat geklappt. Nur schade um den schönen Kuchen!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften