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Die WahrheitEine lose-lose Situation

Toleranz gegenüber Nazis können sich nur Leute leisten, die sich ihnen – kommt es hart auf hart – andienen können. Liberaler Luxus eben.

S tets, wenn Menschen kritisieren, dass Nazis mal wieder eine Plattform zur ungestörten Verbreitung ihrer Propaganda bekommen, taucht jemand aus der bürgerlichen Mitte auf und behauptet, eine Demokratie müsse auch rechtsradikales Gedankengut aushalten – und zitiert dann das angebliche liberale Ur-Credo Voltaires: „Ich missbillige, was Sie sagen, aber ich werde bis zum Tod Ihr Recht verteidigen, es zu sagen.“

Nun war Voltaire zwar ein sehr produktiver Autor, manches aus seinem Œuvre klingt vernünftig, anderes leider ekelhaft antisemitisch, aber klar ist: Das obige Zitat ist nicht von ihm. Es entstammt einer Voltaire-Biographie von 1906 der Britin Evelyn Beatrice Hall. Hall dachte sich – den französischen Aufklärer interpretierend – einen knackigen Slogan aus. So, glaubte sie, stand Voltaire zur Meinungsfreiheit.

Davon abgesehen, ist die Hall’sche Erfindung einer der dümmsten Sätze, die je geschrieben wurden. Zumindest, wenn man die Aussage auf Nazis bezieht. Um nochmal klarzustellen, was da verlangt würde, wenn man sie zu einer allgemeingültigen Maxime machte: Auch Menschen, deren Leben vom rechten Mob bedroht wird, sollen deren Anspruch auf Meinungsfreiheit verteidigen, wenn nötig sogar unter Einsatz ihres Lebens. Man könnte also entweder beim Streiten für die Nazi-Rechte draufgehen oder wird – falls die Verteidigung erfolgreich war und man überlebt – hinterher von den Rechtsradikalen umgelegt. Eine klassische Lose-lose-Situation. Man möge den in der Schusslinie stehenden Menschen, zum Beispiel mir, nachsehen, dass wir eher dazu tendieren, den Nazis ihre Propaganda zu verbieten.

Erfreulicherweise haben wir dabei sogar das Strafgesetzbuch auf unserer Seite. Paragraf 130 stellt jede Art von Volksverhetzung, das Leugnen des Holocausts und die Verherrlichung des Nationalsozialismus unter Strafe. Das StGB hält somit nichts von dem erfundenen Voltaire. Bis zu fünf Jahre Knast sind stattdessen für die erwähnten Straftaten im Angebot.

Nun sind die meisten Nazis zwar doof, selbst die angeblichen Intellektuellen unter ihnen, aber ganz doof sind sie nun auch wieder nicht. Also formulieren sie ihre Hetze oft so, dass man ihnen die fünf Jahre staatliche Kost und Logis eben gerade mal nicht zukommen lassen kann. Trotzdem wissen wir, was sie meinen. Aber bloß, weil sie sich geschickt um den Knast herumschwadronieren, müssen wir sie zur Belohnung nicht auch noch zu Talkshows einladen, mit ihnen durch den Thüringer Wald wandern, sie zu Wahlergebnissen befragen oder ihnen Platz auf der Buchmesse frei räumen.

Toleranz gegenüber Nazis können sich nur Leute leisten, die sich ihnen – wenn es hart auf hart kommt – andienen können. Dass sie dazu in der Lage sind, haben Teile des deutschen Bürgertums schon zwischen 1933 und 1945 bewiesen. Wir anderen müssen in Bezug auf den Rechtsradikalismus leider auf jeden liberalen Luxus verzichten.

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Hartmut El Kurdi
Autor, Theater-Dramaturg, Performer und Musiker. Hartmut El Kurdi schreibt Theaterstücke, Hörspiele (DLF / WDR), Prosa und für die TAZ und DIE ZEIT journalistische und satirische Texte. Für die TAZ-Wahrheit kolumniert er seit 2001. Buchveröffentlichungen (Auswahl): "Revolverhelden auf Klassenfahrt", "Der Viktualien-Araber", "Mein Leben als Teilzeit-Flaneur" (Edition Tiamat) / "Angstmän" (Carlsen) / "Als die Kohle noch verzaubert war" (Klartext-Verlag)
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10 Kommentare

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  • Gut Jungs - daß ihr schon abgeräumt habt! - anschließe mich & 💤💤💤 bis moje.

    • @Lowandorder:

      Schlaflos in Börlin!



      ;-)

  • Durch (zu seltenes) Wiederholen inzwischen gut abgehangener (Tofu-) Schinken. So lecker, weil wahr. Warum schmeckt das den Vielen so wenig?



    Zu Theobald Tiger muss sich immer auch Wiglaf Droste's "mit Nazis reden" gesellen:

    www.nd-aktuell.de/...t-nazis-reden.html

    • @rosengrob:

      Danke!!



      Et mut!! Auf jeden Fall!



      .... Ihre parteigebundene Beschränktheit macht Frau Christiansen dadurch wett, daß sie sich bei jeder sich ihr bietenden Gelegenheit an die Spitze des etwaigen Volkszorns setzt; ihr journalistisches Rückgrat kommt dem einer Salatschnecke gleich...



      ..So geht das..



      Diese einfachen, drei Worte erinnern mich an jemanden..

  • Absolument d'accord. Und noch was:

    Es gibt drei Dinge, die sich nicht vereinen lassen: Intelligenz, Anständigkeit und Nationalsozialismus. Man kann intelligent und Nazi sein. Dann ist man nicht anständig. Man kann anständig und Nazi sein. Dann ist man nicht intelligent. Und man kann anständig und intelligent sein. Dann ist man kein Nazi." - bei der Gedenkfeier zum 60. Jahrestag der Befreiung des KZ Gunskirchen, 7. Mai 2005, Gerhard Bronner (1922-2007)

    • @balaban:

      Ein nettes Bonmot, dass in den 30er Jahren wohl noch zutreffend gewesen waere, aber spätestens seit 1945 kann selbst der Duemmste nicht mehr Nazi und anständig zugleich sein!

    • @balaban:

      Unterschreibe ich ohne Bedenken.



      "Absolument d'accord" 🎩🎩🎩

      • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

        Oui - (entre nous => meiner Erinnerung nach ~ © Wolfgang Neuss - 🤫 )

        • @Lowandorder:

          Würde zu ihm passen - stimmt aber auch ohne Quellenangabe.

          Leider keine Zeit zum suchen, weil auf Arbeit...



          Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen.

  • .....müssen wir sie zur Belohnung nicht auch noch zu Talkshows einladen, mit ihnen durch den Thüringer Wald wandern, sie zu Wahlergebnissen befragen oder ihnen Platz auf der Buchmesse frei räumen..

    Rosen auf den Weg gestreut

    Ihr müßt sie lieb und nett behandeln,

    erschreckt sie nicht – sie sind so zart!

    Ihr müßt mit Palmen sie umwandeln,

    getreulich ihrer Eigenart!

    Pfeift euerm Hunde, wenn er kläfft –:

    Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft!

    Wenn sie in ihren Sälen hetzen,

    sagt: »Ja und Amen – aber gern!

    Hier habt ihr mich – schlagt mich in Fetzen!«

    Und prügeln sie, so lobt den Herrn.

    Denn Prügeln ist doch ihr Geschäft!

    Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft.

    Und schießen sie –: du lieber Himmel,

    schätzt ihr das Leben so hoch ein?

    Das ist ein Pazifisten-Fimmel!

    Wer möchte nicht gern Opfer sein?

    Nennt sie: die süßen Schnuckerchen,

    gebt ihnen Bonbons und Zuckerchen …

    Und verspürt ihr auch

    in euerm Bauch

    den Hitler-Dolch, tief, bis zum Heft –:

    Küßt die Faschisten, küßt die Faschisten,

    küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft –!

    Theobald Tiger