Die Wahrheit: Fick die Kultur
Die Jugendorganisation der CDU fällt mit Populismus und Spießigkeit auf – unter dem heutigen Vorsitzenden Kuban wie seinem Vorgänger Ziemiak.
blicherweise sind die Jugendorganisationen der Parteien gesellschaftlich fortschrittlicher als die durch jahrzehntelange Regierungs- und Oppositionsarbeit desillusionierten Partei-Altsäcke. Die Jugend ist frisch, will etwas verändern und glaubt auch noch daran, dass das tatsächlich geht. Eigentlich ist die Nachwuchsorganisation oft das, was die Mutter-Partei nur noch aus Traditionsgründen vorgibt zu sein: Die Jungsozialisten träumen noch von einer wirklich gerechten Gesellschaft, die Grüne Jugend stellte sich hinter die Umweltschutzaktivist*innen von Ende Gelände und fordert die Abschaffung des Verfassungsschutzes, und die Linksjugend will grundsätzlich niemanden mehr aus Deutschland abschieben …
Die Junge Union hingegen demonstriert regelmäßig, dass eine Jugendorganisation um Längen spießiger und reaktionärer sein kann als die spießige und reaktionäre Partei, als deren U-35-Team sie aufläuft.
Ein Großmeister dieser juvenilen Form des Rechtspopulismus war der inzwischen verstorbene JU-Vorsitzende Philipp Mißfelder, der 2003 forderte, alten Menschen keine künstlichen Hüftgelenke mehr zu bezahlen und 2009 die Anhebung des Hartz-IV-Satzes für Kinder als „Anschub für die Tabak- und Spirituosenindustrie“ bezeichnete.
Aber auch der aktuelle JU-Chef Tilman Kuban ist ein Meister solcher Dummbratzen-Demagogie. Bei seiner Bewerbungsrede sagte er, Ursula von der Leyen habe „mehr Kinder als die Bundeswehr einsatzfähige Flugzeuge“ und stellte klar, dass er gegen Schultoiletten für das „dritte bis 312. Geschlecht“ sei. Zudem riet er dem damaligen Juso-Vorsitzenden Kühnert, sein Studium zu beenden, dann habe er auch Geld, um eine Wohnung zu mieten. Und unter Kubans Leitung leistete sich die JU die Peinlichkeit, das Gendersternchen mit dem Judenstern gleichzusetzen: „Die Freiheit des Denkens stirbt mit dem Zwang zum Stern.“ Diese Analogie wurde dann natürlich gleich wieder – in guter AfD-Manier – dementiert: Nee, ham wa so nicht gemeint.
Der Hackentritt gegen Kühnert muss übrigens Kubans JU-Vorgänger Paul Ziemiak, der selbst kein Studium beendet hat, so getroffen haben, dass er jetzt nachträglich zu beweisen sucht, dass er Kuban in Sachen Rückwärtsgewandtheit durchaus gewachsen ist. Der inzwischen zum Generalsekretär aufgestiegene Ziemiak sagte vor ein paar Tagen, die Union wolle nicht nur Politik „für den veganen Kunststudenten“ machen.
Zunächst dachte man: „Oh, jetzt hat der Ziemiak es den veganen Kunststudenten aber ordentlich – vermutlich gar wahlentscheidend – gegeben!“ Und dann nach ein paar Minuten: Da definiert sich die CDU doch immer als „bürgerlich“ – und damit auch als Kultur- und Bildungspartei – und erklärt dann mal so nebenbei den Kunstnachwuchs dieses Landes zum Feindbild: „Fick die Kultur. Liebe Grüße – euer Paul!“
Ich wette, Tilman Kuban ist vor Neid ganz gelb, grün, schwarz oder braun geworden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?