Die Wahrheit: Die Erfindung der deutschen Küche
Nach der Zerschlagung der Cuisine française blieb den Preußen nur Hausmannskost. Ein Ereignis, das sich heute zum 150. Male jährt.
Wir schreiben das Jahr 1871. Das Königreich Preußen hat gerade den französischen Kaiser Napoleon III. ordentlich paniert und aus seinem Empire die heiße Luft wie aus einem Soufflé gelassen. Und während die Pariser Commune gerade den Ofen anwirft, um der Bourgeoisie in die Suppe zu spucken, kommt in Versailles etwas ganz anderes auf den Tisch.
Alle Menschen, die in Deutschland zur Schule gegangen sind, kennen dieses Gemälde von Anton von Werner. Oder sagen wir, fast alle. Okay, ein paar. Na gut, einige wenige. Grund genug, mal genauer auf das Bild (siehe Bild) zu schauen: Was sehen wir hier eigentlich wirklich?
Das Bild zeigt ein absurdes Ritual einer sichtlich bewaffneten Parallelgesellschaft in einer abgeschlossenen Echokammer, die noch dazu völlig verspiegelt ist. Kein Wunder, sind doch die Spiegel Ausdruck des narzisstischen Weltbildes der handelnden Personen. Die Tatsache, dass einer der Abgebildeten – ein gewisser Wilhelm (4) – sich danach sogar jahrelang als „Kaiser“ ansprechen ließ, zeigt sehr klar, wie sehr die Mitglieder dieser Blase aus lauter alten, weißen Männern den Kontakt zur Realität bereits verloren haben.
Fehlen doch hier nicht nur Frauen völlig, sondern auch Vertreter anderer marginalisierter Gruppen, wie Franzosen, Österreicher oder Dänen. Es ist nicht einmal ein Vertreter der EU oder wenigstens der OSZE auszumachen. Einzig ein gewisser Herzog Ernst (1), Schwager der englischen Königin, verströmt ein wenig internationales Flair, aber das auch nur am linken Bildrand. Sein deprimierter Gesichtsausdruck („Ich hab echt nie Glück. Mein Bruder ist mit der englischen Königin verheiratet und ich steh hier im hintersten Eck“) spricht Bände.
Der Einwand, dass es sich hier um die Abbildung eines rein nationalen Ereignisses handelt, lässt sich leicht entkräften. Glänzen doch nicht nur der bayerische und der württembergische König – so etwas gab es damals noch – durch Abwesenheit, sondern auch der sächsische. Es ist nicht zu leugnen: Hier feiert sich die militante Preußen-Bubble hart selber. Ausnahmen bilden – nach dem oben genannten Ernst – lediglich Friedrich (5), der Großherzog von Baden, dessen angespannte Körperhaltung und versteinerter Gesichtsausdruck eindeutiges Unwohlsein erkennen lassen („Und dem Nächsten, der sagt: Es gibt badische und symbadische, dem knall ich eine“) und der mit 76 Jahren wohl schon an der Schwelle zum Greis stehende bayerische Heerführer Jakob von Hartmann (7), der erst in diesem Moment zu erkennen scheint, in welchen Schlamassel er sein Heimatland da hinein manövriert hat („Wos? Ja, zefix! Und jetzt soi uns a so Saupreiß’ regier’n? Dafia hauns ma do in Minga auf d’Wiesn a Mass übern Schädl.“)
Hackordnung
Den von ihm angesprochenen preußischen Generalleutnant Leonhard von Blumenthal (8) plagen einstweilen ganz andere Probleme, wenngleich auch er um seinen Nachruf bangt („Wenn der Bismarck nur einen Schritt zur Seite macht, bin ich völlig verdeckt. Und dann wird das nichts mehr mit den vier Straßen in Berlin, die meinen Namen tragen“). Und so beginnen – wie das bei hermetisch abgeschlossenen Gemeinschaften oft zu beobachten ist – sofort die internen Machtkämpfe um Rang und Einfluss. Die sogenannte Hackordnung muss ausgehandelt werden. Und den Begriff „Hackordnung“ darf man durchaus wörtlich verstehen, wenn so viele der Beteiligten Säbel tragen.
So ist im Bildvordergrund zu sehen, wie ein gewisser Generalfeldmarschall Moltke (10) aggressiv um die Benennung extraterrestrischer Unebenheiten nach seiner Person verlangt („Also wenn der Blumenthal so viele Straßen kriegt, dann möchte ich zumindest einen Mondkrater“). Das klingt heute undenkbar, aber der Mann hat seinen Willen bekommen.
Seltsam abwesend erscheint dagegen sein Kollege Albrecht von Roon (6), dessen Mimik sich entweder als Ausdruck einer aufkommenden Übelkeit deuten lässt – zu deren möglichem Grund wir gleich kommen – oder eines inneren Konflikts („Moment mal … Ich bin hier, aber ich war da doch gar nicht dabei“).
Was passiert hier eigentlich?
Was uns – endlich, endlich! – zur Kernfrage des Bildes bringt: Was passiert hier eigentlich? Was ist der Anlass für den Tumult in diesem Spiegelkabinett der Waffennarren? What’s the trouble in the bubble?
Es ist so: Der Oberkellner in der Bildmitte (9) hat die undankbare Aufgabe, den aufgebrachten Milizionären mitzuteilen, dass sie aufgrund ihres aggressiven Verhaltens im Ausland in den letzten sechs Jahren keinerlei Lebensmittellieferungen aus den soeben verheerten Gebieten erwarten dürften, wodurch sich das Speisen- und Getränkeangebot auf Produktionen aus dem heimischen Markt beschränkt. Im Klartext: Statt Champagner und Bœuf bourguignon gibt es nur mehr Grünkohl und Pinkel, Bratwurst und Graubrot.
Sicher tragen manche die Nachricht mit Fassung (12), anderen bleibt dagegen der Mund vor Entsetzen offen stehen (11). Doch die Vertreter der jüngeren Generation zeigen Initiative. So beschließt der Sohn des sogenannten Kaisers, Friedrich (3), heimlich die Gründung eines veganen Restaurants („Schnell irgendwo in Berlin eröffnen, weil mein Hairstyle wird frühestens in 150 Jahren wieder hip“), sein unbekannter Antagonist (13) auf der gegenüberliegenden Seite des Bildes dagegen macht die kulinarische Not zur Tugend („Dann wird eben jetzt nur noch gegrillt!“). Und findet damit auch sofort Anhänger (14, 15: „Ja, geil, lasst uns Fleisch in Kohle verwandeln!“).
Kulinarische Folgen
Die schweigende Mehrheit allerdings, allegorisch vorne links in Lackstiefeln ins Bild gesetzt, übt sich bereits in gedanklicher Emigration („Wenn das so ist, dann geh ich entweder zur Fremdenlegion oder werde Sozialist“). Und sogar der sogenannte Kaiser hat einen Moment der ungewohnten Klarheit („Na, dann hoffe ich, dass in spätestens 47 Jahren der ganze Zinnober vorbei ist“). Ein Wunsch, der, wie wir heute wissen, in Erfüllung gehen sollte.
Um die kulinarischen Folgen abzufedern, schuf die deutsche Ingenieurskunst späterhin den Toast Hawaii und die Currywurst, für deren Zutaten (Ananas, Currypulver) allerdings Kolonien errichtet werden mussten. So gelangten auch Zimt, Kokos und Gewürznelken für die expandierende Lebkuchenproduktion ins Land, wodurch der nachfolgende Küchenchef, Wilhelm II., einen derartigen Heißhunger auf exquisite internationale Geschmäcker entwickelte, dass die heiße Schlacht am kalten Buffet („1. Weltkrieg“) nicht mehr zu vermeiden war.
Und so schreibt die Küche bis heute Geschichte. Und wird dies noch weiter tun. Bis zum jüngsten Gericht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin