Die Wahrheit: Rudelbums auf Balkonien
Spatzen in der Hand, Tauben auf dem Balkon: Unseren Autor trieben die Freizeitvögel in den Wahnsinn. Ein Verfallsprotokoll.
Wenn die Himbeergeiste geleert, die Vogesen zertrampelt und die Ehemänner im Rhein ertrunken sind, dann beginnt er: der Altweibersommer. Wie das Landgericht Darmstadt am 2. Februar 1989 (Az. 3 O 535/88), festgestellt hat, stellt sein Name keine Herabsetzung älterer Damen dar. Vielmehr erwischt der nie genug habende Staubsauger Tod ja, geht es dem Herbst des Lebens entgegen, die Altherren nun mal als Erste. Die Altweiber bleiben – und genießen noch stolze 30 bis 50 Jahre voll mit Canasta und Blümchen-Lattemacchiato, dank der großen Klimawandelheizung mild temperiert, das schwindende Kopflaub kunstvoll in Schlingen gewickelt.
Nun ist dieses Jahr alles anders. Der Wanderurlaub entfällt, und ich bin zumindest morphologisch gar keine alte Frau, sondern eher ein voll im Saft stehendes Teltower Rübchen, das Ihnen das erzählt. Nach einem aufregenden Sommer ist es auch für mich Zeit, Bilanz zu ziehen Was war gut? Was war schlecht? Wie habe ich mich geschlagen: vor der Welt? Und vor allem: vor Gott?
Es ist nämlich so: Als vielen im Frühling vor Schock über die täglich neuen Maximalnews nur noch langweilig war, abgeschnitten von der Auslaufstätte hautnaher Zwischenmenschlichkeit, und als, dank der knietief mit der Küchen- und Heimwerkindustrie in der männerschweißnassen Erde stehenden CDU, der Weg immerhin in die Baumärkte offen stand – da machte ich genau von dieser Möglichkeit ausgiebig Gebrauch. Fast erscheint es mir angesichts der überaus vielen, für in der Herstellung fünf Cent kostende PVC-Töpfe sowie sackschwere Tütenerde ausgegebenen Euros unglaubwürdig, dass dieses ganze Pflanze-Sonne-Erde-Ding eigentlich kostenlos funktionieren soll. Aber wenn man nur den Balkon als Acker zur Verfügung hat, gelten andere Regeln.
So topfte und pflanzte ich, was das überteuerte Zeug hielt. Wenn die Welt schon bald untergehen würde, sollte ich meine letzten Tage in der Wohnung wenigstens mit frischem Gemüse verbringen: Tomaten-, Paprika-, Chili-, ja, sogar Ingwerpflanzen schossen aus der Industrieerde, dass ich vor Photosynthese kaum geradeaus sehen konnte. Hoffnung keimte, inmitten von Zerstörung.
Harpunen am Hausdach
Dann kamen die Tauben. Ich hatte vorher schon bemerkt, wie sie mit der Geschwindigkeit von Harpunen vom Hausdach heruntergeschossen waren, auf dem sie ansonsten gurrend konspiriert hatten (skurr, brrr, nick, nack, brrattt). Aber seltsamere Dinge waren passiert. Zum Beispiel hatte eine Kundin meines Supermarktes herausgefunden, dass ebenjener zwar „Rama Cremefine“ zum Kochen verkaufe, aber nicht „Rama Cremefine“ zum Backen, und das perplex und zugleich lautstark an der Kasse geäußert. Das hatte meinen Kopf einen halben Tag lahmgelegt.
Und dann kamen die Tauben. Eines Morgens saß eine von ihnen mit gefiedertem Taubenarsch in der Tomate, die ich ob ihres prächtigen Wachstums in den teuren Riesentopf getopft hatte. Frech schaute sie mich an, wie jemand, der gerade ein Kind klauen will. Erst als ich den Griff der Balkontür erreichte, setzte sie sich in Bewegung.
Es blieb nicht dabei. Eine Stunde, eine halbe, manchmal gar nur zehn Minuten nachdem ich den Balkon verließ und zurückkehrte, fand ich fortan eine Taube oder einen Tauberich vor. Manchmal trauten sie sich sogar zu landen, während ich auf dem Balkon saß. Ihre Geräusche folgten mir bis in meine Träume (flat, flat, bumm, bumm … krass, jo!).
Meiner bald durchgeführten, laienhaften Vogelkunde nach müssen es Ringeltauben gewesen sein. Das sind mit 75 Zentimetern Flügelspannweite die größten Tauben Mitteleuropas. Ihre Iris ist laut Wikipedia gelb und ihr Reviergesang geht rúhgu, gugu, gefolgt von meist vier- oder fünfmal rugúgu, gugu und einem gu.
Na toll! Nun wusste ich, was ich zum Willkommen sagen musste (irgendwas mit Ragout). Aber ich wollte sie ja loswerden! Denn eines war klar: Wenn ich im Altweibersommer nur eine Tomate essen wollte, würde das mit Tauben an Bord nichts. Nicht nur behockten sie die Tomatenpflanze wie eine heiße Quelle, sondern fingen auch an, ihre Äste mit dem Schnabel abzuschaben. Außerdem schienen sie nicht Tauben-, sondern Jugendsprache zu sprechen. Oder hörte ich schon Stimmen? Ich versuchte, adäquat zu antworten: Ey, Tauben, was geht bei euch? Seid ihr süchtig nach dem geilen Astgeruch? Ja? Mega weirde Energy. Rugúgu, gugu! Los! Ab in die Entzugsklinik mit euch. Richtig räudig, so was.
Nichts. Keine Reaktion. Es war zum Verzweifeln. Und zur Krönung fingen sie jetzt auch noch an, von überall her Äste anzuschleppen. Sie bauten ein Nest! Sie ließen sich häuslich nieder! Bald würden Raben kommen, Habichte, Blutgiraffen, es würde Krieg geben um den saftigen Taubennachwuchs, Gemetzel, die Erde würde sich vor Energie nach oben wölben und grüner Dampf durch die Straßen ziehen.
Vögel voll anwidern
Da mir bei einer ersten Taubenbekämpfungs-Googelei zu viel focus.de dabei war, fragte ich mal rum. Eine Freundin schlug vor, doch „Gewürze“ zu „streuen“, um die Vögel anzuwidern. Dazu gäbe es bestimmt Tipps, ich solle mal Ausschau halten. Zwar fand ich nichts Konkretes, aber der Vorschlag hatte Charme. Ich würzte die Erde wie ein indisches Curry. Die Tauben am nächsten Tag lächelten müde. Nice try!
Nun also doch auf das Internet vertrauen. Wo da doch immer so viel Mist drin stand? Egal. Stacheldraht empfahl man dort friedensfern, Metallspitzen, natürlich auch zu Mondpreisen. Außerdem erschien mir das dann doch wieder etwas martialisch. Und wenn sie das Metall sowieso in fünf Minuten durchhacken würden? Diesen Tauben war alles zuzutrauen. Ich versuchte es also mit der anderen Schule, der der Verwirrungstaktiker: Alufolie gaben sie an, nicht um ihren Kopf, sondern um ihre zu schützenden Pflanzen zu wickeln, Lichtspielmobiles aufzuhängen, die man übrigens auch ganz einfach aus alten CDs selber basteln könne. CDs! Toll! Dass man so ein scheinbar ausrangiertes Medium... ganz materialistisch … wiederver …
Die Tauben müssen mich für verrückt gehalten haben. In einer Reihe baumelten die nie gehörte Entspannungs-CD, Rolf Zuckowski und Händels Mineralwassermusik an einem Geschenkband um die Wette und bereiteten mir mit ihrem Flackern Kopfschmerzen. Nur den verdammten Tauben nicht!
Langsam kamen mir grundlegende Zweifel: Was, Adrian, wenn die Tauben in Wahrheit deine Freunde sind? Oder wenn wir Menschen in Wahrheit die Tauben …? Und sie uns die ganze Zeit manipu- … pugúgugu?
Grrugu-rú, pack mal deine Kackstelzen jetzt zusammen, Alta, rurugú. Du Otto, ey, ehrlich, voll peinliche Aktion, gugú.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Fortschrittsinfluencer über Zuversicht
„Es setzt sich durch, wer die bessere Geschichte hat“