Die Wahrheit: Zehn Jahre Dauererektion

Hatten wir nicht alle einmal den großen Traum vom Ruhm? Von Rockmusik und Rebellentum? Mancher Traum war sogar ziemlich feucht.

In diesen schweren Zeiten denkt alle Welt ja gern an das, was einst möglich war: Konzerte beispielsweise. So geht mir eine Jubiläumserinnerung im Kopf herum. Genau zehn Jahre ist es her, dass ich Sänger einer Band war, die auf den Namen Priapismus hörte. Priapismus ist der medizinische Fachterminus für eine schmerzhafte Dauererektion, und genau so klangen wir auch.

Der Begriff geht auf den griechischen Gott Priapos zurück, der bei einem Techtelmechtel zwischen Liebesgöttin Aphrodite und Saufgott Dionysos entstand, also Spross der beiden hottesten Olympgestalten war. Bedauerlicherweise hatte die eifersüchtige Hera ein Problem mit dieser Kreuzung und sorgte dafür, dass Priapos mit einem monströsen Glied zur Welt kam, das ihn auf Abbildungen oft selbst überragt. Diese Figuren stellte man als Fruchtbarkeitssymbol in den Garten oder aufs Feld, weil sie als Vogelscheuche die wohl phallusphoben Vögel davon abhielten, die Ernte zu stehlen. Warum hat man damit aufgehört?

Gedichte, die ebenjenem Priapos huldigten, nennt man Priapeen. Als solche verstanden wir auch unsere schludrigen Songs mit Titeln wie „Rock ’n’ Roll Erection“. Flyer bewarben unseren Musikstil als „S(t)iffpunk“. Das Bandlogo setzte sich zusammen aus einem giftgrünen P mit einem wilden Hahnenkamm oben und einem prächtigen Hodensack unten. Entworfen hatte es unser Gitarrist, der sich schon in ganz jungen Jahren als Grafiker verdingte, mit dem Gitarrenspiel jedoch erst vor Kurzem begonnen hatte. Wir waren Teenager, falls das nach all den beschriebenen pubertären Entstehungsumständen noch nicht klar geworden ist.

Retrospektiv erscheint mir sympathisch, dass es uns offenbar nie darum ging, eine besonders gute Performance abzuliefern, sondern wir einzig um der Aufmerksamkeit Willen auf die Bühne gingen: Für unser erstes Konzert hatten wir zwar schon mal geprobt, aber so gut wie immer ohne unseren Bassisten, der sich wenige Stunden vor Konzertbeginn beim Schlagzeuger erkundigte, wie der nochmal heiße. Als selbiger Schlagzeuger vor einem späteren Auftritt an Grippe erkrankte, sagten wir nicht ab, sondern fragten vor Ort, ob jemand drummen könnte – und spielten die Show dann mit einem völlig Fremden.

Shishisten

Als Alleinstellungsmerkmal und originellen Live-Effekt verfügte unsere siebenköpfige Truppe zudem über zwei „Shishisten“ mit den Künstlernamen Fresh D & Fresh T, die nichts zur Musik beitrugen, sondern lediglich Wasserpfeife rauchten und cool aussahen. Jugendhäuser mussten wegen den beiden die Brandschutzbestimmungen ändern, taten dies sogar, und zum Dank soffen die zwei ihnen im Anschluss den Keller leer, weil sie als vollwertige Bandmitglieder freigetränkberechtigt waren.

Schade, dass all das während einer Pandemie nicht mehr möglich ist. Vielleicht aber auch besser so.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Cornelius W. M. Oettle kam in der kältesten Novembernacht des Jahres 1991 in Stuttgart zur Welt und weiß nicht, warum. Zur Überbrückung seiner Lebenszeit schreibt er als freier Autor für alle, die sich ihn leisten können. Seine Tweets aber sind und bleiben gratis.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.