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Die Wahl für Sex­arbeiter:innenFast vergessen

Nur drei der großen Parteien gehen in ihren Wahlprogrammen auf Sexarbeit ein. Dabei ist die Gruppe der möglichen Wäh­le­r:in­nen groß.

Protest von Sexarbeiterinnen im Juni 2021 vor dem Berliner Hauptbahnhof Foto: Florian Boillot

Berlin taz | Dass Sexarbeit im Wahlkampf keine Rolle spielen würde, war absehbar. Mit Sex, noch dazu mit gekauftem Sex, machen sich Kanz­ler­kan­di­da­t:in­nen in der Öffentlichkeit ungern die Finger schmutzig. Dass das Thema allerdings insgesamt nur bei drei der größeren Parteien in den Wahlprogrammen auftaucht, verwundert dann schon. Schließlich führen die verschiedenen Herangehensweisen an Rechte, verpflichtende Gesundheitsberatungen oder den Umgang mit Zwangsprostitution regelmäßig zu Unmut zwischen den Parteien.

Aber die geschätzt 200.000 bis 400.000 Sexarbeitenden hierzulande, von denen die weitaus größte Mehrheit Frauen sind, haben traditionell kaum Lobby. Und ganz offensichtlich sind sie keine Klientel, der als Wäh­le­r:in­nen­grup­pe größere Bedeutung beigemessen wird.

Während SPD, FDP und AfD das Thema ignorieren, geben die Wahlprogramme zumindest bei Union, Grünen und Linkspartei etwas her. Dabei spricht schon die Stelle, an der Sexarbeit jeweils einsortiert wird, Bände. Bei der Union versteckt sich Prostitution zwischen „Mehr Sicherheit“ und „Kein Raum für organisierte Kriminalität“. Die Grünen beschreiben ihre Vorstellungen hingegen unter dem Label „Feminismus, Queerpolitik und Geschlechtergerechtigkeit“. Das weniger stigmatisierende Wort Sexarbeit nimmt allerdings nur die Linkspartei in den Mund. Bei ihr wird Sexarbeit unter dem Stichwort „Arbeit“ verhandelt.

Union will stärker kontrollieren, Linke entstigmatisieren

Um diejenigen, die Sexarbeit als Arbeit sehen, geht es bei der Union kaum. Ihr Fokus liegt auf Zwangsprostitution und Menschenhandel. Dass beides existiere, sei inakzeptabel, schreibt die Partei, und nennt als Gegenmittel vor allem Verbote und Strafen. So solle Prostitution von Schwangeren verboten und der Straßenstrich stärker reguliert werden. Das Prostitutionsgewerbe solle „deutlich schärfer“ kontrolliert, wer sich der Zuhälterei schuldig mache, härter bestraft werden.

taz-Serie Die Wahl für…

Was wollen die eigentlich? In der Serie „Die Wahl für…“ durchforstet die taz die Wahlprogramme der Parteien für die Bundestagswahl und versucht herauszufinden, was deren Ideen für die Menschen in Deutschland bedeuten würden. Alle Texte hier.

Auch die Grünen wollen vor Zwang und Ausbeutung schützen, Prostituierten aber gleichzeitig Selbstbestimmung ermöglichen. Zum einen soll es dafür einen Aktionsplan gegen Menschenhandel geben. Opfer sollen nicht einfach abgeschoben werden. Ein dauerhaftes Bleiberecht erhöhe die Aussagebereitschaft und erleichtere die Strafverfolgung der Täter. Menschen, die in der Prostitution arbeiten, bräuchten Rechte und Schutz, auch vor Stigmatisierung und Kriminalisierung. Die Arbeitsbedingungen in der legalen Prostitution sollen sicherer und besser werden.

Die Linkspartei will Sexarbeit entstigmatisieren und Selbstorganisation sowie Beratungs- und Fortbildungsangebote fördern. Sie fordert einen Anspruch auf Sozialleistungen und sozialversicherte Beschäftigung. Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung findet sich bei der Linkspartei anders als bei Union und Grünen gar nicht erst in einem Atemzug mit der Sexarbeit. Bekämpfen will sie ihn trotzdem – und wie die Grünen auch den Betroffenen einen Aufenthaltstitel zuerkennen.

Die SPD, in der es in den vergangenen Jahren brodelte, was Sexarbeit betrifft, tut im Wahlprogramm zwar so, als gebe es das Thema gar nicht. Allerdings hatte sich der Vorstand schon im November 2020 gezwungen gesehen, den Streit in Partei und Fraktion mit einem Positionspapier zu deckeln. Zwar taucht die Sexarbeit auf 66 Seiten Wahlprogramm also kein einziges Mal auf – die Position der Partei aber ist damit am ausführlichsten dokumentiert.

Im Positionspapier nutzt auch sie das Wort Sexarbeit, spricht sich für deren Entstigmatisierung sowie Sicherheit im Arbeits-, Sozial- und Strafrecht aus. Ein bundesweiter Runder Tisch – eine Forderung der Berufsverbände selbst – soll eingerichtet, Zwangsprostitution bekämpft, die Istanbulkonvention gegen Gewalt gegen Frauen auch in dieser Hinsicht umgesetzt werden. Ein Sexkaufverbot, um das sich der Streit innerhalb der Partei drehte, lehne man zumindest „derzeit“ ab.

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13 Kommentare

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  • Deutschland ist bekannterweise der grösste Puff Europas. Zwangsprostituierte aus Osteuropa welche der Sprache nicht mächtig sind, können keine Rechte wahrnehmen, egal welche Sie haben. Solange die Zuhälter geschützt, sind haben Sie kaum eine Chance. Wer wissen möchte, was wirklich abgeht sollte mit behandelnden Ärzten sprechen und sich die skandalös geringe Lebenserwartung ansehen. Wer gegen ein Sexkaufverbot ist, redet letztendlich der Zuhälterlobby das Wort! Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob das wirkungslos ist oder nicht. Wirken kann es erst wenn dann die Instrumente dafür entwickelt werden und der Wille dafür in der Bevölkerung da ist. Auch Mord würde nicht legalisiert nur weil man der Täter nicht habhaft werden könnte……

    • @mwinkl02:

      Sorry, aber Ihr Totschlagargument ist nicht seriös! Amnesty International und die Deustche Aidshilfe sind gegen ein Sexkaufverbot. Diese undifferenzierte Herangehensweise in nur Böse und nur Gut ist doch etwas sehr unterkomplex!

      Die Argumente von Amnesty International und Deutsche Aids-Hilfe überzeugen mich u. a. daher mehr!

      "Die Behauptung, Prostituierte könnten so vor Zwang und Menschenhandel geschützt werden, weisen die Fachleute zurück. Ganz im Gegenteil: Gerade Prostituierte in prekären und gefährlichen Lagen würden besonders geschädigt, weil sie weiter marginalisiert und sichere Arbeitsbedingungen verhindert würden. Der Zugang zu Hilfe und Beratung würde enorm erschwert.

      Die Studien sind eindeutig: Eine Kriminalisierung erhöht das Risiko der Betroffenen, Opfer von Gewalt und anderen Straftaten zu werden oder sich sexuell übertragbare Infektionen wie HIV zuzuziehen. Wer wirklich etwas für Menschen in der Sexarbeit tun will, muss ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen verbessern. Das gilt ganz besonders für Frauen mit aufenthaltsrechtlichen Problemen und ohne Krankenversicherung. Das Sexkaufverbot hingegen würde außerdem auch Verbote des Betriebs von Bordellen und Zimmervermietungen nach sich ziehen – und damit den Aufbau sicherer Arbeitsbedingungen illegalisieren.

      Dazu sagt Johanna Thie, Fachreferentin „Hilfen für Frauen“ der Diakonie Deutschland - Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e. V.: „Die aufflammende Diskussion erfüllt uns mit tiefer Sorge. Sie geht in die völlig falsche Richtung und verkennt die Realität in Prävention und Sozialarbeit. Gerade bereits marginalisierte Gruppen wie Migrantinnen, Trans* oder Drogen konsumierende Menschen würden geschädigt. Was die Menschen in der Prostitution schützen soll, könnte ihnen am Ende zum Verhängnis werden.“

      www.aidshilfe.de/m...arnt-sexkaufverbot

      www.amnesty.ch/de/...iminalisieren-will

      • @Anna Minerva:

        Es gibt jede Menge andere Fachpersonen, die das Schwedische Modell befürworten. U.a. würden dann doch etliche dieser Zwangausübenden abgeschreckt werden und es würde auch zur Folge haben, dass die Riesenlaufhäuser mit ihren horrenden, menschenverachtenden Zimmermietpreisen keine Geschäftsgrundlage mehr hätten.

        • @resto:

          Wer sind denn diese angeblichen Fachpersonen? Haben Sie da Namen oder sind das wieder nur haltlose Behauptungen?

        • @resto:

          Von den Betroffenen selbst, den Sexworkers, gab es es meines Wissens noch nie signifikante Unterstützung für das "nordische Modell". Kein Wunder, denn eine Kriminalisierung der Kundschaft bedeutete, daß die Sexarbeit nur noch im Verborgenen stattfinden könnte. Dadurch würden Sexworkers noch stärker stigmatisiert werden und hätten noch weniger Schutz. Das Thema wird hier recht gut zusammengefaßt:

          prostitutescollect...g-no-nordic-model/

          Dort werden nur die negativen Folgen des Modells anhand von Norwegen, Frankreich und Irland genannt. Eine sehr ausführliche Beschreibung der Situation in Schweden findet sich hier:

          www.nswp.org/sites...gineering_2012.pdf

          • @Toto Barig:

            Wenn viele der Betroffenen Zwangs- und Druckprostituierte sowie Armutsprostituierte mit kaum Deutschkenntnissen sind, können Sie nicht erwarten, dass diese sich politisch irgendwie engagieren.

            • @resto:

              Zwangsprostitution ist bereits verboten:

              Deutschland



              Rechtslage seit 2016



              Systematik

              Zwangsprostitution wird seit 15. Oktober 2016 nach § 232a StGB n. F. im Zusammenhang mit Menschenhandel (§ 232 StGB), zumeist in Form des Frauenhandels bestraft.[20] In Erweiterung des allgemeinen Gültigkeitsbereiches des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) wird gem. § 6 Nr. 4 in Verbindung mit §§ 232a, 232 StGB Zwangsprostitution auch dann verfolgt, wenn die Tat im Ausland begangen wurde.

              In den Fällen der § 232 und § 232a Abs. 1 bis 5 StGB kann das Gericht gem. § 233b StGB Führungsaufsicht anordnen.

              Taterträge aus der Zwangsprostitution unterliegen bei gewerbs- oder bandenmäßiger Begehung der selbständigen Einziehung (§ 76a Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 Buchst. e StGB).

              Am 1. Juli 2017 ist das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft getreten, das Frauen auch vor Menschenhandel und Zwangsprostitution schützen soll.[21]

              de.wikipedia.org/w...Zwangsprostitution

  • "Aber die geschätzt 200.000 bis 400.000 Sexarbeitenden hierzulande, von denen die weitaus größte Mehrheit Frauen sind, haben traditionell kaum Lobby. "

    Sie haben keine Lobby, das stimmt. Interessant wäre es zu wissen, wie viele von ihnen das Wahlrecht haben.

  • Weder die SPD noch die Union werden kein "Sexkauf-Verbot" umsetzen, da sich das auch in Schweden (oder Frankreich) als sinnlos und kontraproduktiv erwiesen hat. Niedrig schweflige Beratung und besseren Schutz, das ist alles, was man hier noch tun kann. Die gewerberechtliche Regulierung (gegen Dumping-Preise) ist in den letzten Legislaturperioden auch an der SPD gescheitert. Runde Tische gab es; eine Wiederholung wird zu nichts führen.

    • @Monika Frommel :

      Es stimmt zwar, daß sich das Sexkaufverbot in Schweden und Frankreich als sinnlos und kontraproduktiv erwiesen hat.

      Aber warum soll das ein Grund für SPD (und eventuell CDU) sein, es nicht trotzdem einzuführen? Hauptsache, man kann sich als Saubermacherparteien profilieren, ggf. auch auf Kosten der Sexworkers.

  • Wie kommt die Autorin denn auf bis zu 400.000 Sexarbeiterinnen? Der verlinkte Text trifft dazu keine Aussage. Ich möchte diese Zahl auch für etwas derb übertrieben halten...

  • Ist Ihnen bewusst, dass die meisten Sexarbeiterinnem keine deutschen Frauen sind und somit auch nicht wählen können? Eine lobby haben die sowieso kaum. Im Gegenteil wird deren Ausbeutung verharmlost - auch hier.

  • Ich vermute die Einstellung der FDP ist hier auch eher liberal, also gegen Verbote der Sexarbeit und für staatlichen Schutz gegen Zwangsprostitution etc.



    Schade, daß man dort nicht den Mut hatte auch dazu zu stehen, vermutlich hatte man Angst es würde der FDP falsch ausgelegt.