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Die US-Demokraten nach TrumpNormal verliert

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Viele in den USA und auf der Welt wünschen sich nach vier Jahren Trump eine Rückkehr zur „Normalität“. Das wäre ein Rezept zum Scheitern.

Normalität unter Joe Biden? Hier mit Kamala Haris und dem nominierten National Security Team Foto: Joshua Roberts/reuters

R obert Reich, der ehemalige Arbeitsminister der Regierung Bill Clintons, schrieb kürzlich im britischen Guardian, so verlockend es sei, in Bezug auf das Coronavirus und auf Donald Trump auf die baldige Rückkehr zur Normalität zu hoffen, so gefährlich sei das auch. Denn es sei ja gerade diese Normalität gewesen, die beide hervorgebracht habe. Ein wichtiger Gedanke.

Es ist nicht verwerflich, nach vier Jahren der permanenten Lügen, des Rassismus, der psycho-politischen Vergiftung des Alltags und der politischen Diskursmöglichkeiten direkt aus dem Weißen Haus „Normalität“, ja sogar die von Joe Biden verkörperte Langweiligkeit, als große Verheißung zu empfinden. Aber wer glaubt, Normalität könnte etwas heilen, erklärt wider besseres Wissen Trump zum historischen Betriebsunfall.

Im Jahr 2016 hätte Trump vermutlich gegen so ziemlich alle demokratischen Kandidat*innen verloren, nur nicht gegen Hillary Clinton – den Inbegriff einer vom Washingtoner Politestablishment geführten „Normalität“. 2020, gegen Joe „Normalität“ Biden, legte Trump noch einmal Millionen Stimmen zu.

Das Personaltableau, das Biden derzeit nach und nach der Öffentlichkeit präsentiert, hat genau diesen Background: So divers es in Hautfarbe, Geschlecht und persönlichem Hintergrund ist, so wenig innovativ sind doch die politischen Ideen, für die sie alle stehen. Da versammeln sich viele Jahrzehnte Washington. Man kann das Erfahrung nennen, und als Gegenmodell zu Trumps geballter Inkompetenz überzeugt das auch. Als Verheißung für eine Wähler*innenschaft, die lange vor Trump ihr Vertrauen in die Politik verloren hat, aber eher nicht. Nicht nur, um den progressiven Flügel in der eigenen Partei ruhig zu halten, muss Bidens Präsidentschaft so viel mehr sein als „normal“.

In Bidens Personaltableau versammeln sich viele Jahrzehnte Washington. Eine Verheißung ist das nicht

Allerdings wird es extrem schwierig, überhaupt irgendetwas Bedeutsames durchzusetzen, was über die reine Rücknahme etlicher von Trumps Präsidialanordnungen hinausgeht. Denn um überhaupt wieder regieren zu können, stehen umfassende Reparaturarbeiten dessen ins Haus, was Trump in den letzten vier Jahren zerstört hat. Da geht es um die Funktionsfähigkeit von Regierungsbehörden, deren Expertise und institutionelle Beharrungsfähigkeit dem Autokraten Trump so sehr im Weg standen, dass er ihnen die Finanzierung vorenthielt, Stellen nicht mehr besetzte, Leute an die Spitze berief, die ihren eigenen Laden von oben in die Handlungsunfähigkeit schubsten. Die Umweltbehörde EPA ist dabei nur das herausragendste Beispiel. Wiederaufbauarbeit ist notwendig – aber sie ist auch langweilig.

Überparteiliche Zusammenarbeit im Kongress ist ein Traum der Vergangenheit. Überhaupt nur dann, wenn die Demokrat*innen am 5. Januar in Georgia beide ausstehenden Senatsmandate gewinnen, hat Biden eine theoretische Chance, mit der knappstmöglichen Senatsmehrheit Gesetze zu verabschieden. Aber nicht einmal das gibt Gewissheit. Denn während die Republikaner*innen im Kongress schon seit rund eineinhalb Jahrzehnten wie eine Wand zusammenstehen – und sich unter Trumps Twitter-Knute fast niemand mehr traute auszuscheren –, ist das politische Spektrum der Demokrat*innen viel breiter aufgestellt. Es umfasst, auf europäische Verhältnisse übertragen, praktisch alle nicht rechtspopulistischen Strömungen, von sozial- oder christdemokratisch über liberal und grün bis links. Oder eben von Joe Biden bis Alexandria Ocasio-Cortez.

Der parteiinterne Frieden in diesem Jahr hatte nur das Ziel, Trumps Wiederwahl zu verhindern. Das hat funktioniert – es reicht aber nicht, um ab Januar Politik zu gestalten.

Entgegen seinem Instinkt, „Heilung“ durch Versöhnung anzustreben, muss Biden im Gegenteil recht brutale Führung zeigen. Dabei kann er aus der Regierungszeit Obamas lernen: Der hatte so viel Zeit damit verschwendet, auf Zusammenarbeit mit den Republikaner*innen zu hoffen, dass er etliche seiner Versprechen von „Hope & Change“ nicht oder erst sehr spät angegangen ist. Erst in den letzten Amtsjahren leitete er Veränderungen durch Präsidialdekrete ein – ein Vorgehen, das unumgänglich ist, wenn der Kongress blockiert und nicht reformfähig ist. Biden muss von Beginn an so handeln, damit ein klares Profil gewinnen, genau dafür werben und eine Mehrheit für sich gewinnen, die gestaltungswillig und nicht nur Anti-Trump ist.

Skrupel helfen nicht weiter

Nur dann auch wird es dem neuen Präsidenten gelingen, dem widerwillig und jammernd aus dem Weißen Haus scheidenden Trump die Oberhoheit über die Nachrichten zu entreißen. Niemand weiß sicher, was Trump nach dem 20. Januar tun wird – viele erwarten allerdings, dass er rund um Bidens Amtseinführung seine erneute Kandidatur für 2024 erklärt, um seinem kommunikativen Zugriff auf die republikanische Basis einen Rahmen zu geben. Regiert Biden einfach nur „normal“, überlässt er Trump die Medienbühne. Wie das ausgeht, konnte man 2016 beobachten.

Wenn „normal“ bedeutet, einen Moment des Durchschnaufens nach dem auslaugenden Dauer­irrsinn der vergangenen vier Jahre zu schaffen, dann sei das so. Wenn „normal“ aber bedeutet, dass Demokrat*innen wieder in Angst auf Trumps Truppen schauen, sich vor dem einsetzenden Trommelfeuer von rechts fürchten und weder bei Klimapolitik noch Bildungsgerechtigkeit noch Gesundheitspolitik noch Umverteilung noch der Bekämpfung des strukturellen Rassismus vorangehen, dann schaffen sie sich selbst ab. Wenn sie von den Republikaner*innen etwas lernen können, dann, dass Scheu und Skrupel nicht weiterhelfen. Verlieren die Demokrat*innen Wahlen, diskutieren sie monatelang, wann, wo und warum sie welche Wähler*innengruppen verloren haben. Wenn Republikaner*innen verlieren, sind immer andere Schuld. Ja, das ist unredlich, unehrlich und ohne Anstand. Aber erfolgreich.

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. Bluesky: @berndpickert.bsky.social In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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15 Kommentare

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  • "... in Bezug auf das Coronavirus und auf Donald Trump auf die baldige Rückkehr zur Normalität zu hoffen ..."



    Ich nehme an, dass mit dieser Normalität am ehesten die Rückkehr in alltägliche Gewohnheiten gemeint ist, nach der sich die meisten Menschen sehnen. Hinsichtlich der Pandemie also ein Alltag ohne die derzeitigen Einschränkungen und hinsichtlich Trump ein halbwegs zivilisiertes, also als normal erachtetes Gebahren eines US-Präsidenten. Anders ausgedrückt: Lieber der normale Wahnsinn als der eskalierte...

  • Biden soll also einerseits nicht einfach die Politik der Demokraten unter Obama oder Clinton fortführen, sondern Neues probieren und eine progressive Agenda verfolgen die etwa auch die Sanders Anhänger überzeugt, andererseits aber gleichzeitig so agieren, dass der nicht gerade kleine Anteil der überzeugten MAGA-Fans (wieder) Vertrauen in demokratische Prozesse und Institutionen fassen. Anders ausgedrückt: Er soll Leuten die die Existenz einer allgemeinen Krankenversicherung für Kommunismus halten durch eine dezidiert links-progressive Politik wieder zur Teilnahme an einer konstruktiven Deliberation über Parteigrenzen hinweg bewegen?



    Das zu schaffen dürfte nahezu unmöglich sein. Die Spaltung ist da und sie verläuft schon längst nicht mehr entlang von Sachfragen bei denen es möglich wäre vernünftige Kompromisse zu finden, sondern an ideologischen Grenzen und dank Trump sogar an der Frage wie die Realität aussieht. Von Biden die Überwindung dieser so tiefgreifenden Spaltung zu erwarten ist zu viel verlangt, viel mehr wird es einen voraussichtlich jahrzehntelange Prozess brauchen an dessem Ende ein neuer gesellschaftlicher Konsens und eine neues Selbstbild der US-Amerikaner*innen steht. Biden hat lediglich die Chance dazu die ersten Weichen für diesen Prozess zu stellen.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Jetzt warten wir mal ab Gutes Verwalten überparteiliche Kooperation kann sich durchaus bezahlt machen. Wenn die Demokraten die Wirtschaft zum Laufen bringen marschieren sie bei der nächsten Wahl durch den Senat und das Haus. Trump gewann so viele Stimmenweil man ihm oder präziser den Republikanern mehr Wirtschaftliche Kompetenzen zusagte. Hier müssen die Demokraten ansetzen, Wirtschaftliche Stimuli, Stärkung der Gewerkschaften damit die Leute mehr Geld nach Haude nehmen, höhere Mindeslohn. Um Minderheiten, progressive Politik kann man sich in 4 Jahren kümmern wenn die Wirtschaft die Geldmittel dafür produziert und man dank kluger Wirtschaftspolitik Mehrheiten gewinnt.

  • "...das ist unredlich, unehrlich und ohne Anstand. Aber erfolgreich."



    Das beschreibt leider auch das Rezept der populistischen Bewegungen. Zuviele Menschen schlagen sich auf die Seite der Lügner und schwächen damit die Demokratie.

  • Eines muss man Trump lassen. Er hat vielen Schreibenden Arbeit gegeben. Jetzt aber eine völlige Kehrtwende zu erwarten, zeugt von komfortablem Realitätsverlust. Die große Kunst ist es, keinen Bruch herzustellen, sondern eine behutsame Wende. Und da scheint mir Biden gar nicht so schlecht. Etwas mathematischer ausgedrückt: Der Trumpismus geht gegen 0, - er ist noch längst nicht dort - die neue Agenda beginnt bei 0 und steigt ins Unendliche!

  • Die US-amerikanischen Institutionen sorgen von jeher dafür, dass die Politik nicht von heute auf morgen von einem Extrem ins andere fallen kann. Selbst Trump hat es nicht geschafft, Obamacare abzuschaffen. Millionen Krankenversicherte sind dafür dankbar.

    Umgekehrt wird so auch der Übergang in die Post-Trump Ära wohl eher ein sanfter. Bidensche Langeweile macht es möglich - ist aber auch alternativlos, weil es für Ansichten einer AOC schlichtweg keine Mehrheiten gibt. Biden selbst ist weder Sozialist noch Kommunist, auch wenn er im Wahlkampf als ein solcher beschimpft wurde. Er ist Amerikaner!

    Vorrang haben die dringlichsten Reparaturen, damit wenigstens ein Stück weit wieder Normalität gelebt werden kann. Schon der höfliche Tonfall und die politisch-korrekte Wortwahl des neuen Präsidenten sind eine Wohltat. Dass er sich zur Wissenschaft und zu echten Fakten bekennt - noch besser. Ein schöne Normalität.

    Der taz-Autor analysiert treffend: "So divers es in Hautfarbe, Geschlecht und persönlichem Hintergrund ist, so wenig innovativ sind doch die politischen Ideen, für die sie alle stehen." - Quoten regeln eben doch nicht alles. Was zählt sind Ideen und Qualifikation. Die grundsätzliche Idee, zu einer Normalität der Wahrheit, des Anstands und der Diplomatie zurückzukehren, scheint mir nicht die Schlechteste.

  • Ich sach's mal so: Donald Trump verkörperte doch nur die amerikanische Normalität schlechthin. Reichlich unmanierlich, ungebildet, größenwahnsinnig, scheinheilig, treulos, unsozial und skrupellos.



    Soweit ich das sehe, will Joe Biden genau diese Normalität eben verändert sehen. Man sollte ihn in diesem Vorhaben breit unterstützen, anstatt jetzt erstmal nach einem Haar in seiner Suppe zu suchen. Das kann man doch überall und immer finden.

    • @Rainer B.:

      Wow. Diese Aussage über jedes andere Volk getroffen, würde wohl zur sofortigen Sperrung und vielleicht sogar Strafanzeige wegen Volksverhetzung führen, hätten Sie sie z.b. über Türken getroffen. Gelebter Rassismus in a nutshell.

      • @Betty Bos:

        Über ein „Volk“ steht da bei mir gar nichts, sondern etwas über die amerikanische Normalität. Bitte immer erst lesen und dann antworten.

        • @Rainer B.:

          Jo, das ist natürlich ein himmelweiter Unterschied...nicht.

          • @Betty Bos:

            Ja, das sind zwei völlig unterschiedliche Sachverhalte, die rein gar nichts miteinander zu tun haben.

    • @Rainer B.:

      ... man muss nur lange genug den Kopf schütteln! ; >

  • Ita est. Auch die Linke muessen die Beisshemmung ablegen, sonst sind sie sehr schnell wieder weg. Dass das zu Zielkonflikten fuehren kann und wird, muss in Kauf genommen werden.



    Ich habe mir die Welt auch mal anders vorgestellt...

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Obama hat es doch erklärt:

    Seine Errungenschaft - das Gesundheitsgesetz von 2010, welches informell seinen Namen trägt - hat zu einigen der schärfsten Spaltungen zwischen Demokraten und Republikanern geführt. Ungefähr drei Viertel der Demokraten befürworten das Gesetz über erschwingliche Pflege oder „Obamacare“, während 85% der Republikaner es ablehnen.

    Die Parteilichkeit, die in Obamas Jahren so offensichtlich war, ist vielleicht am bemerkenswertesten, weil sie weit über Meinungsverschiedenheiten über bestimmte Führer, Parteien oder Vorschläge hinausging. Heutzutage spalten sich mehr Probleme nach parteipolitischen Maßstäben als jemals zuvor, seit Umfragen begonnen haben, die öffentliche Meinung zu verfolgen.

    So verfolgten sich beispielsweise zwischen 1994 und 2005 die Einstellungen der Republikaner und Demokraten gegenüber Einwanderern in den USA genau. Ab etwa 2006 begannen sie jedoch zu divergieren. Und die Kluft ist seitdem nur noch größer geworden: Demokraten sagen heute mehr als doppelt so häufig wie Republikaner, dass Einwanderer das Land stärken.

    Das bedeuted: Wenn fortschrittliche Politik die Divergenz verstärkt, die letztendlich staatliche Handlungsfähigkeit einschränkt oder unmöglich macht, sind es mindestens ein Bündel von Ursachen welche zum US amerikanischen Disaster geführt haben. Allein fortschrittliche Politik zu gestalten wird nicht reichen den Konflikt oder die Divergenz/Spaltung zu überwinden.

  • Biden war eigentlich der ideale Kandidat und er wurde von den Amerikanern sicher nicht gewählt, um die Trump-Verrücktheiten gegen Experimente linker Idealisten zu ersetzen, sondern um vernünftige, maßvolle, realistische Politik zu betreiben, also "langweilige" normale Politik. Politik ist ja auch kein Show-Business, das man nach dem Unterhaltungsgrad messen sollte, Das gab es jetzt lang genug.