Die Sondergipfel von Nato, EU und G7: Alternativlose Eskalation
Weder Putin noch der Westen haben genug Druckmittel in den Händen. Erst wenn das Kräfteverhältnis kippt, werden Verhandlungen denkbar.
E inen Krieg durch Verhandlungen zu beenden hat immer zwei Voraussetzungen. Erstens müssen beide Seiten zur Überzeugung gelangt sein, militärisch nicht gewinnen zu können. Und zweitens müssen für die Machthaber beider Seiten die politischen Kosten einer Fortführung des Krieges höher sein als die der Aufgabe politischer Maximalforderungen.
Als dritte Regel kommt hinzu, dass beide Seiten niemals öffentlich zugeben, an diesem Punkt angelangt zu sein. Deshalb behauptet Präsident Wladimir Putin, die Sanktionen des Westens seien ärgerlich, aber letztlich nicht so schlimm, und die „Spezialoperation“ laufe nach Plan – und der Westen tut so, als sei er bereit und in der Lage, die auch für die eigenen Wirtschaften schädlichen Sanktionen unendlich lange durchzuhalten und die ukrainischen Verteidigungslinien mit immer mehr Waffenlieferungen zu halten.
In Moskau scheint man zwar inzwischen begriffen zu haben, dass die ursprünglichen Vorstellungen darüber, wie leicht die ukrainische Armee auszuschalten, Selenski zu stürzen und eine Marionettenregierung einzusetzen sei, mit der Realität wenig zu tun hatten. Aber die Reaktion auf diese Erkenntnis ist nicht Verhandlungsbereitschaft – die würde Schwäche signalisieren –, sondern die immer stärkere Bombardierung der Städte, die mit der nahezu vollständigen Zerstörung Mariupols ihren ersten schrecklichen Höhepunkt erreicht hat. Wir wissen nicht, ob wir euch besiegen, aber euer Land kaputtmachen können wir ganz sicher, wir haben dabei keine Eile und können jederzeit weiter eskalieren. Das ist Moskaus Position der Stärke.
Dem haben die Regierungen des Westens, die sich am Donnerstag in Brüssel zu Sondergipfeln von Nato, G7 und Europäischer Union versammeln, nicht so viel entgegenzusetzen. Bemüht, den Krieg nicht über die Grenzen der Ukraine hinausgehen zu lassen, setzen sie sich selbst enge Grenzen der militärischen Einmischung, auch wenn die natürlich de facto durch die Lieferung von Waffen und militärischen Aufklärungsinformationen längst stattfindet. Und die Sanktionen zielen klar auf einen in Russland selbst herbeigeführten Regimewechsel – der aber derzeit wenig wahrscheinlich erscheint. Sie sind dennoch das schärfste Schwert, das der Westen anzuwenden bereit ist.
So werden die Staatschefs in Brüssel vermutlich die Sanktionen weiter verschärfen, den Druck auf Deutschland erhöhen, Energieimporte aus Russland nun endlich zu beenden, und weitere Waffenlieferungen an die Ukraine ankündigen. Die Eskalation geht also weiter – und dazu gibt es furchtbarerweise kaum eine Alternative. Um den Frieden irgendwann verhandeln zu können, muss die Zermürbung offensichtlicher werden. Was dann von der Ukraine noch übrig ist, ist allerdings fraglich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Neuwahlen
Beunruhigende Aussichten
Vermeintliches Pogrom nach Fußballspiel
Mediale Zerrbilder in Amsterdam
Berichte über vorbereitetes Ampel-Aus
SPD wirft FDP „politischen Betrug“ vor
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“
Grünen-Parteitag in Wiesbaden
Grüne wählen neue Arbeiterführer