piwik no script img

Die Rückkehr des VokuhilasIrritierend und trotzdem da

2020 wird das Versprechen, das im Vokuhila steckt, endlich eingelöst: seine Wandlungsfähigkeit besonders für nichtbinäre und androgyne Personen.

David Bowie machte die Matte in den Siebzigern berühmt Foto: Michael Ochs Archives/getty images

M anche queeren Kämpfe bleiben für immer unsichtbar. Einer von ihnen: die Neubesetzung des Vokuhilas. Dieter Bohlen, Wolfgang Petry, Rudi Völler, sie alle haben zum schlechten Ruf der Frisur beigetragen. Vorne kurz, hinten lang – ein simples Konzept. Dabei steckt im Vokuhila viel mehr als nur ein Haarschnitt. Er ist ein Versprechen, das nun endlich eingelöst wird. Das Jahr 2020 hatte viele Hürden für uns parat, doch der Anblick jeder einzelnen she/they, they/them oder he/they mit Mullet (so auf Englisch) milderte das Leid. Ganz unabhängig vom „Tiger King“ Joe Exotic, der auf Netflix die Alpha-Matte zum Schnitt der Stunde machte.

Bereits vor seinem diesjährigen Comeback materialisierte der Vokuhila gelebte Androgynität, etwa auf den Köpfen von David Bowie, Joan Jett, George Michael und natürlich k.d. lang. Dann kamen die frühen 2000er und mit ihnen die Indie-Folk-Zwillinge Tegan and Sara. Der Vokuhila war ihnen nicht genug, sie rundeten den Dyke Signature Haircut mit einem asymmetrischen Seitenpony ab. Eine Zäsur in puncto queerer Ästhetik: Wir durchbrechen ohnehin die Geschlechterbinarität, warum sollten Symmetrien in der Frisur uns in irgendwelche Schranken weisen? Irritierend und trotzdem da, queer und trans Antifa!

Dieses ominöse, eingangs erwähnte Versprechen, was soll es sein, fragen sich alle, die den Trendhaarschnitt 2020 eher mit Hartmut Engler als Barbie Ferreira oder Kristen Stewart assoziieren. Ich verstehe die Skepsis, aber hear me out: Der Vokuhila ist mehr als nur ein Erkennungszeichen unter Queers. Er ist das gewisse je-ne-sais-quoi, das aus einer Person eine hotte Person macht. Und: Er bietet die maximale Gendermobilität. Besonders für nichtbinäre oder androgyne Personen steckt viel Wandlungsfähigkeit in ihm.

Der Vokuhila kann alles

Vorne Business, hinten Party – das klingt vielleicht nach einem Geldwäschebusiness oder einem dubiosen Start-up-Claim, aber in Wirklichkeit verbirgt sich darin eine Chance. Dieser ewige Entscheidungszwang zwischen kurzen und langen Haaren führt in der Regel dazu, dass meine Haare entweder in einer Übergangsfrisur irgendwo zwischen Monchichi 1974 und Justin Bieber 2009 vom maskulinen Topfschnitt à la Hafti zu irgendeiner Femme-Top-Frisur auf Durchreise sind – aber selten richtig ankommen. Und wenn die Frisur doch eindeutiger ist, kicken an jedem zweiten Tag genderbedingte Beklemmungen.

Das Leben ist zu kurz für so einen Heckmeck. Der Vokuhila jedoch ist ein Alleskönner. Ob Daddy, Chaya oder geschlechterlose Elfe, ich kann alles sein. Die Ausrichtung ist so variabel wie seine Träger:innen. Vom glatten Vokuhila mit rasierten Seiten im veganen Stil über den welligen Stufenschnitt à la Roberta Colindrez bis zum glamourös-lockigen Mullet wie der junge El DeBarge: Für jeden Haartyp und Stil ist in der Vokuhila-Matrix was dabei. Nicht überzeugt? Rihanna trägt ihn. Damit gibt es kein Zurück.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Hengameh Yaghoobifarah
Mitarbeiter_in
Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Vokuhila ist genauso hot wie diese Erich-Honecker-Brillen, die Hipster gerne tragen: ursprünglich ironisch gemeint, da objektiv (!) extrem hässlich, und irgendwann von einigen für tatsächlich attraktiv gehalten. Ein ästhetischer Irrtum.

    • 0G
      02881 (Profil gelöscht)
      @Suryo:

      Na ja, eine ästhetische Katastrophe sind auch die zeitgenössischen schmalen Brillengestelle die heutzutage unzählige Gesichter verunstalten. Da ist das "Honecker/Arno Schmid"- Modell wenigstens eine klare Ansage.

      Schlimm sind auch randlose Modelle (Modell "Beckenbauer"), stark verbreitet bei StudienrätInnen in NRW. Man weiß hinterher, z.B. bei einer Personen-/Täterbeschreibung, nie ob jemand ein Brille getragen hat oder nicht.

      Das nur so nebenbei.

  • 0G
    02881 (Profil gelöscht)

    "2020 wird das Versprechen, das im Vokuhila steckt, endlich eingelöst."

    Na super - und vielen Dank für den Text!

    Noch schöner als der Text sind aber die internationlen Bezeichnungen für den favorisierten Cut: "Rostock Hair", "German Hair" und "Mullett". Sehr schön auch eine chinesische Variante (obacht - nur für Damen!) "Shanghai Wave".