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Die Linke nach der WahlWas tun?

Daniel Bax
Essay von Daniel Bax

Nach dem Erfolg bei der Bundestagswahl muss sich die Linkspartei neu erfinden und ihren Prinzipien treu bleiben. Denn dafür wurde sie gewählt.

„Tax the Rich“: den Strampler bekam Linken-Politiker Jan van Aken für sein Enkelkind geschenkt Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

D er Überraschungserfolg der Linkspartei bei der Bundestagswahl hat auch im Ausland Aufsehen erregt. Der Journalist Owen Jones, ein Wortführer der britischen Linken, war am Wahltag sogar in Deutschland und bei der Wahlparty des Linken-Direktkandidaten Ferat Koçak in Berlin-Neukölln dabei. Zwar kreise die AfD schon „wie die Aasgeier“ über der deutschen Politik, berichtete Jones nach Hause. In Berlin aber habe er „eine neue, junge Linke gefunden, die sich gegen sie erhebt“.

Und Natasha Lennard, Kolumnistin des linken amerikanischen Onlinemagazins The Intercept, befand, die US-Demokraten könnten von der deutschen Linkspartei lernen. „Lass dir ein Rückgrat wachsen“, schrieb sie ihnen. Die deutschen Wahlen zeigten, dass man den Faschismus nicht mäßigen, sondern bekämpfen müsse.

Tatsächlich verdankt sich der Erfolg der Linkspartei maßgeblich der Tatsache, dass sie sich als einzig glaubwürdige antifaschistische Alternative zum allgemeinen Rechtsruck darstellen konnte. Heidi Reichinneks Bundestagsrede gegen Friedrich Merz ist dafür zum Symbol geworden.

Denn auch die Grünen haben zuletzt immer mehr Abstriche gemacht und waren zu einer Koalition mit Merz bereit. Schon die Räumung des Weilers Lützerath 2023, um den Tagebau Garzweiler auszuweiten, kostete die Partei viele Sympathien. Ihre Zustimmung zur Verschärfung der europäischen Asylpolitik und ihr Herumgedruckse zu israelischen Kriegsverbrechen in Gaza besorgten den Rest: Die Grüne Jugend lief davon, und in der Gunst junger Wäh­le­r:in­nen sackten die Grünen dramatisch ab.

Mehr als Gendersternchen

Die Linkspartei hat davon profitiert. Doch sie hat auch hart auf ihren Erfolg hingearbeitet – mit der laut eigenen Angaben „größten Organizing-Kampagne ihrer Geschichte“ und einem Haustür-Wahlkampf, den es in dieser Form in Deutschland noch nicht gab. Sie hat soziale Themen in den Vordergrund gestellt, die viele Menschen bewegen.

Die Strukturen der Partei sind verkrustet, die Aufspaltung in Strömungen muss überwunden werden

In ihrem Wahlprogramm fordert die Partei einen bundesweiten Mietendeckel, die Einführung von Vermögenssteuern und eine Erhöhung des Mindestlohns. Um die Forderung nach mehr Umverteilung zu unterstreichen, lächelte Jan van Aken im Wahlkampf in einem T-Shirt, auf dem „Tax the rich“ stand, von seinen Plakaten.

Zudem bot die Linke mit Mietwucherrechner und Heizkostencheck praktische Hilfeleistungen an. Damit widerlegte sie das Klischee, das ihre Nemesis Sahra Wagenknecht über Jahre hinweg von ihrer ehemaligen Partei gezeichnet hatte – nämlich, dass sie sich nur noch um vermeintlich abgehobene Wokeness-Themen drehen würde, die nur ein großstädtisches und akademisches Publikum interessierten. Von Gendersternchen und Transgendertoiletten war im Wahlkampf der Linken keine Rede, von Themen wie Migration, Gaza und der Ukraine auch nur am Rande. Das wird ihr nun zum Vorwurf gemacht.

Sie müsse ihren Pazifismus und ihre „verklärte Russlandpolitik“ überdenken, schallt es ihr von Spiegel bis Zeit entgegen. Ferat Koçak, der als erster linker Direktkandidat einen ehemals rein westdeutschen Wahlkreis erobert hat, erntet Misstrauen, weil er Israels Kriegsverbrechen in Gaza als „Genozid“ bezeichnet hat. Er sei „ein radikaler Aktivist“, schrieb der Tagesspiegel und meinte das nicht als Kompliment.

Die Linke lehnt Waffenlieferungen an Kriegsparteien prinzipiell ab, egal, ob an Israel oder an die Ukraine. Dass es gerade an ihren Prinzipien liegen könnte, dass sie viele junge Leute gewählt haben, kommt ihren Kritikern nicht in den Sinn. Während alle andere Parteien nach rechts rückten, wirkte die Linke wie die letzte Partei, die noch universelle Menschenrechte, das Asylrecht und das Völkerrecht verteidigt.

Die Strukturen sind verkrustet

Klar aber ist, die Partei muss sich neu erfinden. Sie steht vor der Herausforderung, den neuen Schwung zu einem Neuaufbau der Partei zu nutzen. Die Linke hat ihre Mitgliederzahl seit Ende 2023 verdoppelt und ist auf über 100.000 Mitglieder angewachsen. Die Neuen sind im Schnitt 28 Jahre alt und mehrheitlich weiblich. Zwei Drittel der Linke-Fraktion sind zudem neu im Bundestag. Das alles ist eine Chance, die Partei organisatorisch und inhaltlich neu aufzustellen.

Denn die Strukturen der Partei sind teilweise verkrustet. Die Gliederung in verschiedene Strömungen, die sich eifersüchtig beäugen, ist überholt. Es wäre an der Zeit, sie aufzulösen. Zugleich muss die Partei ihren Prinzipien treu bleiben und sich ihr Rückgrat bewahren. Eine Linke, die eine massive Erhöhung des Wehretats und Waffenlieferungen in alle Welt einfach abnickt, statt sich für mehr Wohnungen, mehr soziale Gerechtigkeit und gegen eine Aufrüstungsspirale einzusetzen, braucht kein Mensch.

Im Vergleich zu anderen linken Parteien in Europa ist die deutsche Linkspartei ohnehin nicht besonders radikal. Waffenlieferungen nach Israel zu stoppen und Palästina als Staat anzuerkennen, das vertreten in anderen Ländern auch Sozialdemokraten, etwa in Spanien, Belgien oder Irland.

Nur in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern ist die Linke derzeit an Regierungen beteiligt. Beide Länder stimmten im Bundesrat für das Schuldenpaket von Friedrich Merz, das die Partei eigentlich ablehnt. Das zeigt, welche Zerreißproben zwischen Fundamentalopposition und Pragmatismus ihr noch bevorstehen könnten. Aber man kann auch aus der Opposition heraus Druck machen und Veränderungen anstoßen. Dass Union und SPD in ihren Sondierungsgesprächen beschlossen haben, die Mietpreisbremse zu verlängern, dürfte auch dem Druck von links geschuldet sein.

Doch dabei muss es nicht bleiben. In Berlin war die Linke bei der Bundestagswahl die stärkste Kraft. Dort wird im Herbst 2026 gewählt, und die Linke kann dort selbstbewusst eine Kandidatin für das Rote Rathaus ins Rennen schicken. Ihre ehemalige Parteichefin Katja Kipping, die zuletzt in Berlin als Sozialsenatorin wirkte, ist weit über ihre eigene Partei hinweg anerkannt. Sie wäre eine ideale Kandidatin für diesen Job.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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10 Kommentare

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  • "... Herumgedruckse zu den Kriegsverbrechen Israels..." und "... keine Waffenlieferungen an Krirgsparteien (die Ukraine)..." das sind Themen, mit denen die Die Linke massive Probleme hat...



    man kann Gaza nicht einfach dem Islamismus der Hamas überlassen (mit allen Verbrechen, die die Hamas gegangen hat und begeht... das ist kein Freiheitskampf!)... auch ist die Ukraine ohne Waffen demnächst russisches Gebiet... Die Linke muss hier zu einem realistischen Ansatz kommen, der nicht einseitig vereinfachend und verdummend Partei ergreift...



    wie man so einen Unsinn schreiben kann...

  • Die Linke hat überhaupt nichts gewonnen. Der SPD sind die Wähler schreiend davongerannt.

  • "Tatsächlich verdankt sich der Erfolg der Linkspartei maßgeblich der Tatsache, dass sie sich als einzig glaubwürdige antifaschistische Alternative zum allgemeinen Rechtsruck darstellen konnte."



    Deren praktischer Erfolg genau wie aussieht?



    Im Osten hat die AfD faktisch die PDS/Die Linke beerbt, die ihr mit DDR-Nostalgie, Hass auf den Westen und Russland-Verklärung den Weg bereitet hat.



    Und es bleibt dabei: Eine Partei, die die Ukraine nicht unterstützen möchte, und im Zweifelsfall dann eben auch nicht Polen oder die baltischen Staaten, sollte nicht über Völker- oder Menschenrecht schwadronieren. Gegen Putin ist die Politik der Linkspartei nämlich genauso wirkungslos wie gegen die AfD. Aber bis heute weigert sie sich, auch nur irgendwelche Konsequenzen aus ihren kontinuierlichen und teilweise geradezu böswilligen Fehleinschätzungen zu ziehen. Unvergessen die Erklärung des Parteivorstandes nach der Annexion der Krim: Appeasement-Politik vom Feinsten www.die-linke.de/s...egsgefahr-stoppen/ Und dieser Linie ist die Partei ja bis heute treu geblieben

  • Stimme mit fast Allem überein, nur die Aussage "Die Linke lehnt Waffenlieferungen an Kriegsparteien prinzipiell ab, egal, ob an Israel oder an die Ukraine" setzt in ihrer Logik Israels agressive Kriegsführung und den Verteidigungskampf der Ukraine gleich. Dies ist m.M. nach falsch, da die Ukraine ums Überleben kämpft, Israel deagegen als uneingeschränkte regionale Militärmacht einen Expansionskrieg führt. Warum sollte nach der Logik der Linken dem Opfer Ukraine nicht erlaubt werden, sich mit Waffen verteidigen zu können und dabei gleichzeitig zu verhandeln? Die Ausschliesslichkeit der Ablehnung von Verteidigungswaffen an die Ukraine, ist in der Argumentation der Linken nicht nachvollziehbar. Auf der anderen Seite darf der Holocaust und auch das Massaker vom 7. Oktober nicht instrumentalisiert werden, um Waffen an Israel zu liefern, das sich in seiner Kriegsführung völkerrechtswidrig verhällt, mit Kollektivbestrafung und Vertreibung der palestinensischen Bevölkerung und systematischer Kriegsverbrechen.

  • Links war mal die Vertretung der Interessen der arbeitenden Menschen. Diese wählen heute leider primär Rechte und rechtsextreme Parteien. Die Partei die Linke vertritt wichtige und glaubwürdige Positionen in sozialen Bereichen, wie Wohnen, Bildung, Arbeit. Da aber die primär urbanen und akademischen Aktivistis vor allem durch Engagement für Flüchtlinge und andere Minoritäten auffallen, befürchte ich daß die Partei ein Auffangbecken des "juste milieu" bleiben und kein entsprechender Faktor in der Gesellschaft wird. Die Verankerung in breiten Massen fehlt, da Meinungen, Wünsche und Lebenswirklichkeiten dieser Massen zugunsten "moralischer" Werte negiert werden. Kocak bringt Stimmen in Neukölln, aber treibt den Pott zur AfD, leider.

    • @Egil:

      Da ist es doch zutiefst ärgerlich, dass die dumme working class die AfD wählt und nicht die Linken, wo die doch wichtige und glaubwürdige Positionen im sozialen Bereich vertreten.



      Kann denen das nicht jemand mal sagen?😉

    • @Egil:

      Sehr treffend zusammengefasst.

      Ergänzend möchte ich erwähnen, dass die realpolitische Grüne für mich 10 x mehr "Rückrad" hat, als eine Partei die Stur einfach Prinzipien verfolgt.

      Was stört selbst den prinzipientreusten Linken an Luftabwehrsystemen für die Ukraine? Dass diese damit Menschenleben, Krankenhäuser, Schulen und Infrastruktur schützt?

  • Wenn selbst Daniel Günther von der CDU mit der Linken über eine Reform der Schuldenbremse sprechen möchte - wobei die Notwendigkeit dazu realistischerweise ja durchaus besteht - haben die eigentlich keine Not, irgendeine ihrer Positionen zu verändern.



    Selbst über die neuralgischen außenpolitischen Punkte müssen die sich nicht zerlegen: 1. Ukraine: der Deal wird definitiv zwischen Russland und den USA ausgehandelt, da können sich die Linken sogar - wie alle anderen auch (außer AfD und BSW) - genüsslich über die imperialistische Ungerechtigkeit beklagen, die der Ukraine von beiden Großmächten widerfährt.



    2. Nahost: auch hier schaffen der Orangene und sein Buddy Netanyahu derzeit Fakten, bei denen Europa ebenso tatenlos beiseite steht wie in der Ukraine - und die Linke muss nicht über Israelhass oder Antisemitismus diskutieren, wenn israelische Kriegsverbrechen, ethnische Säuberung, gar Genozid im Raum stehen.



    Die Milliarden Sondervermögen fürs Militär sind inzwischen auch von Schwarz/Rot/Grün abgefrühstückt worden - nicht Schuld der Linken also, wenn wegen der zu erwartenden sozialen Härten die Stimmanteile für die AfD weiter in die Höhe schnellen.

  • Die Linke macht derzeit ein gutes Marketing.



    Geradezu genial der Schachzug mit den Kriegskrediten.



    Wer die ablehnt, fühlt sich gut vertreten durch die Bundestagsfraktion.



    Und wer dafür ist, kann auch die Linke in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern verweisen.



    Bin mal gespannt, wie lange dieser Widerspruch funktioniert.

    • @Don Geraldo:

      Ich hatte ja in meinem vorherigen Post geschrieben, dass sich die Linken über etwaige Widersprüche nicht den Kopf zerbrechen müssen … da liefern die anderen derzeit genug Steilvorlagen.



      Es ist im Grunde wie mit einem Koalitionsvertrag: können strittige Punkte nicht gelöst werden, werden sie einfach ausgeklammert … und hofft auf die Amnesie seiner Wähler. Oder das Problem fällt einem eines schönen Tages doch noch vor die Füße.😉



      Immerhin kann die Linke für sich reklamieren, außenpolitische Positionen überhaupt strittig zu diskutieren, wohingegen AfD und BSW im trump-putinschen Gleichschritt marschieren. Und andere haben da durchaus auch ihre schwarzen Schafe, siehe Sachsens CDU-MP Kretschmer.