Die Linke nach der Wahl: Was tun?
Nach dem Erfolg bei der Bundestagswahl muss sich die Linkspartei neu erfinden und ihren Prinzipien treu bleiben. Denn dafür wurde sie gewählt.

D er Überraschungserfolg der Linkspartei bei der Bundestagswahl hat auch im Ausland Aufsehen erregt. Der Journalist Owen Jones, ein Wortführer der britischen Linken, war am Wahltag sogar in Deutschland und bei der Wahlparty des Linken-Direktkandidaten Ferat Koçak in Berlin-Neukölln dabei. Zwar kreise die AfD schon „wie die Aasgeier“ über der deutschen Politik, berichtete Jones nach Hause. In Berlin aber habe er „eine neue, junge Linke gefunden, die sich gegen sie erhebt“.
Und Natasha Lennard, Kolumnistin des linken amerikanischen Onlinemagazins The Intercept, befand, die US-Demokraten könnten von der deutschen Linkspartei lernen. „Lass dir ein Rückgrat wachsen“, schrieb sie ihnen. Die deutschen Wahlen zeigten, dass man den Faschismus nicht mäßigen, sondern bekämpfen müsse.
Tatsächlich verdankt sich der Erfolg der Linkspartei maßgeblich der Tatsache, dass sie sich als einzig glaubwürdige antifaschistische Alternative zum allgemeinen Rechtsruck darstellen konnte. Heidi Reichinneks Bundestagsrede gegen Friedrich Merz ist dafür zum Symbol geworden.
Denn auch die Grünen haben zuletzt immer mehr Abstriche gemacht und waren zu einer Koalition mit Merz bereit. Schon die Räumung des Weilers Lützerath 2023, um den Tagebau Garzweiler auszuweiten, kostete die Partei viele Sympathien. Ihre Zustimmung zur Verschärfung der europäischen Asylpolitik und ihr Herumgedruckse zu israelischen Kriegsverbrechen in Gaza besorgten den Rest: Die Grüne Jugend lief davon, und in der Gunst junger Wähler:innen sackten die Grünen dramatisch ab.
Mehr als Gendersternchen
Die Linkspartei hat davon profitiert. Doch sie hat auch hart auf ihren Erfolg hingearbeitet – mit der laut eigenen Angaben „größten Organizing-Kampagne ihrer Geschichte“ und einem Haustür-Wahlkampf, den es in dieser Form in Deutschland noch nicht gab. Sie hat soziale Themen in den Vordergrund gestellt, die viele Menschen bewegen.
In ihrem Wahlprogramm fordert die Partei einen bundesweiten Mietendeckel, die Einführung von Vermögenssteuern und eine Erhöhung des Mindestlohns. Um die Forderung nach mehr Umverteilung zu unterstreichen, lächelte Jan van Aken im Wahlkampf in einem T-Shirt, auf dem „Tax the rich“ stand, von seinen Plakaten.
Zudem bot die Linke mit Mietwucherrechner und Heizkostencheck praktische Hilfeleistungen an. Damit widerlegte sie das Klischee, das ihre Nemesis Sahra Wagenknecht über Jahre hinweg von ihrer ehemaligen Partei gezeichnet hatte – nämlich, dass sie sich nur noch um vermeintlich abgehobene Wokeness-Themen drehen würde, die nur ein großstädtisches und akademisches Publikum interessierten. Von Gendersternchen und Transgendertoiletten war im Wahlkampf der Linken keine Rede, von Themen wie Migration, Gaza und der Ukraine auch nur am Rande. Das wird ihr nun zum Vorwurf gemacht.
Sie müsse ihren Pazifismus und ihre „verklärte Russlandpolitik“ überdenken, schallt es ihr von Spiegel bis Zeit entgegen. Ferat Koçak, der als erster linker Direktkandidat einen ehemals rein westdeutschen Wahlkreis erobert hat, erntet Misstrauen, weil er Israels Kriegsverbrechen in Gaza als „Genozid“ bezeichnet hat. Er sei „ein radikaler Aktivist“, schrieb der Tagesspiegel und meinte das nicht als Kompliment.
Die Linke lehnt Waffenlieferungen an Kriegsparteien prinzipiell ab, egal, ob an Israel oder an die Ukraine. Dass es gerade an ihren Prinzipien liegen könnte, dass sie viele junge Leute gewählt haben, kommt ihren Kritikern nicht in den Sinn. Während alle andere Parteien nach rechts rückten, wirkte die Linke wie die letzte Partei, die noch universelle Menschenrechte, das Asylrecht und das Völkerrecht verteidigt.
Die Strukturen sind verkrustet
Klar aber ist, die Partei muss sich neu erfinden. Sie steht vor der Herausforderung, den neuen Schwung zu einem Neuaufbau der Partei zu nutzen. Die Linke hat ihre Mitgliederzahl seit Ende 2023 verdoppelt und ist auf über 100.000 Mitglieder angewachsen. Die Neuen sind im Schnitt 28 Jahre alt und mehrheitlich weiblich. Zwei Drittel der Linke-Fraktion sind zudem neu im Bundestag. Das alles ist eine Chance, die Partei organisatorisch und inhaltlich neu aufzustellen.
Denn die Strukturen der Partei sind teilweise verkrustet. Die Gliederung in verschiedene Strömungen, die sich eifersüchtig beäugen, ist überholt. Es wäre an der Zeit, sie aufzulösen. Zugleich muss die Partei ihren Prinzipien treu bleiben und sich ihr Rückgrat bewahren. Eine Linke, die eine massive Erhöhung des Wehretats und Waffenlieferungen in alle Welt einfach abnickt, statt sich für mehr Wohnungen, mehr soziale Gerechtigkeit und gegen eine Aufrüstungsspirale einzusetzen, braucht kein Mensch.
Im Vergleich zu anderen linken Parteien in Europa ist die deutsche Linkspartei ohnehin nicht besonders radikal. Waffenlieferungen nach Israel zu stoppen und Palästina als Staat anzuerkennen, das vertreten in anderen Ländern auch Sozialdemokraten, etwa in Spanien, Belgien oder Irland.
Nur in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern ist die Linke derzeit an Regierungen beteiligt. Beide Länder stimmten im Bundesrat für das Schuldenpaket von Friedrich Merz, das die Partei eigentlich ablehnt. Das zeigt, welche Zerreißproben zwischen Fundamentalopposition und Pragmatismus ihr noch bevorstehen könnten. Aber man kann auch aus der Opposition heraus Druck machen und Veränderungen anstoßen. Dass Union und SPD in ihren Sondierungsgesprächen beschlossen haben, die Mietpreisbremse zu verlängern, dürfte auch dem Druck von links geschuldet sein.
Doch dabei muss es nicht bleiben. In Berlin war die Linke bei der Bundestagswahl die stärkste Kraft. Dort wird im Herbst 2026 gewählt, und die Linke kann dort selbstbewusst eine Kandidatin für das Rote Rathaus ins Rennen schicken. Ihre ehemalige Parteichefin Katja Kipping, die zuletzt in Berlin als Sozialsenatorin wirkte, ist weit über ihre eigene Partei hinweg anerkannt. Sie wäre eine ideale Kandidatin für diesen Job.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Friedensgespräche“ in Riad
Die Verhandlungen mit Russland sind sinnlos
Ökonom über Steuersystem
„Auch in der Mitte gibt es das Gefühl, es geht ungerecht zu“
Trumps Kampf gegen die Universitäten
Columbia knickt ein
Letzte Generation angeklagt
Was sie für uns riskieren
Ergebnis der Abstimmung
Pariser wollen Hunderte Straßen für Autos dichtmachen
Kostenloser Nahverkehr
Schafft endlich die Tickets ab