Die Kunst der Woche: So geht Wut
Clara Bahlsen wütet durch die Villa Heike, Joachim Grommek malt die Störung und im Projektraum Kleistpark reflektieren Künstlerinnen das Thema Arbeit.
W ut. Ein großartiges und ein riskantes Thema. Nicht zu verwechseln mit dem Thema Hass, von dem zurzeit so viel die Rede ist. Wut zeitigt ganz andere Ideen und Aktionen als der dumme Hass. Das ist jetzt in der Villa Heike zu sehen. Der unabhängige Ausstellungsraum hat sich seit Kurzem als gemeinnütziger Kunstverein Villa Heike e. V. in Berlin Lichtenberg neu gegründet, wobei das Programm vor allem die Auseinandersetzung mit dem technischen Bild sucht, das unsere heutige Wahrnehmung, Kommunikation und Wissensproduktion ebenso prägt wie unser Gefühlsleben.
Die erste Ausstellung gehört also Clara Bahlsen und ihrer Wut. Bahlsens Wut ist keine zerstörerische Wut – die es natürlich gibt und die gerne mit Hass verwechselt wird. Sie ist eine märchenhafte, eine sagenhafte Wut, „Magical Rage“, wie der Ausstellungstitel sagt und wie die Bilder der Ausstellung und die begleitende Textarbeit „Väter“ denn auch zeigen. Die Bilder, alles fotografische Stillleben, argumentieren recht besehen auf der Metaebene. Ihre vielschichtig angelegten Stillleben erzählen von Wut insofern, als sie zuallererst von den Möglichkeiten der von ihr genutzten Medien – Fotografie, Skulptur und Erzählung – handeln, die Wut und ihre Geschichten überhaupt zu fassen zu kriegen.
Die Geweihstange und der Unterkiefer vom Schalenwild, von Bahlsen auf eine vermeintlich angesengte weiße Folie platziert, verführt, „Lügen“ als den zugehörigen Text zu sehen. Um dem Vater zu gefallen, soll die Erzählerin den Jagdschein machen und zu den Vortragsabenden im Festsaal eines dörflichen Gasthofs gehen: „Mit wenigen Ausnahmen verbrachte ich die Abende nicht im Gasthof, sondern mit einer Affäre. Wir hatten Sex, in seinem Kinderzimmer zu 'Let Me In“ von R.E.M. Am Ende des Abends schlich ich mich durch den Garten des Gasthofs nach vorne zur Tür hinaus und stieg zu meiner übermüdeten Mutter ins Auto.“
Doch Achtung. Auch wenn Clara Bahlsen bekennt, dass Aspekte der Nichtzugehörigkeit, biografische Aspekte und die eigene gesellschaftliche Rolle im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen, könnte die Geschichte genauso Schwindel sein wie der Stein, auf dem das „Väter“-Booklet ausliegt. Er ist künstlich hergestellt, genauso wie die Baumscheiben, die Bahlsen in „Knappe Angelegenheit“ aufeinanderstapelt. Nur die gelb glänzenden, geschälten Kartoffeln, die sie zwischen die Baumscheiben gelegt hat, die sind echt. Die Konstrukte ihrer Wut sind komplex, voller Witz und Mutwillen. Schließlich sind sie voller persönlicher Gefühle. Und die kratzen dann auch am Bild der Väter, das heißt an gesellschaftlichen Fragen.
Vom Grund nach oben
Joachim Grommek ist ein Meister der Täuschung. Und er ist ein meisterlicher Maler. Deshalb trügt der Schein auch bei seinen neuesten Bildern, die er in seiner siebten Einzelausstellung bei Mathias Güntner zeigt. Ein wirklich gestischer Maler wird er in der FF genannten Serie dann doch nicht. Grommek ist ja dafür bekannt, dass der malerische Reiz seiner Kunst aus ihrem vermeintlichen Repräsentationsverzicht stammt.
Clara Bahlsen: „Magical Rage“. Villa Heike, bis 18. Oktober, Do.–Sa. 14–18 Uhr, Freienwalder Straße 17
Joachim Grommek: Modern Painting, Galerie Mathias Güntner, bis 1. November, Do.–Sa. 12–18 Uhr, Knesebeckstr. 90
Friederike von Rauch und Stefanie Schweiger: DISRUPTIVE REALITIES: Über künstlerische Arbeit, ihre Bedingungen – und Resilienz von Künstlerinnen, Projektraum Kleistpark im Haus am Kleistpark, bis 28. September, Di.–So. 11–18 Uhr, Grunewaldstr. 6/7, Hochparterre rechts; Die Videos: www.vonrauch.com/disruptive-realities; Die Finissage: So., 28. 9., 16–18 Uhr, in Anwesenheit von Friederike von Rauch und Stefanie Schweiger
In den glänzenden Klebebändern und Folien, die auf gewöhnlichen Spanplatten kleben, sieht man zunächst nur die konzeptuelle Arte Povera-Bastelei und nicht das Gemälde, das man dann bei genauerer Betrachtung erkennt. Denn das alles ist minutiös gemalt, der Spanplattenuntergrund, der auf einer wirklichen, zuvor weiß grundierten Spanplatte aufgebracht ist, sowie die vermeintlichen Klebebänder. Es handelt sich um sorgfältig mit Lack aufgetragene Farbschichten, die Grommek mit leiser Ironie etwas schief, aber immer scharfkantig auf das Rechteck des Malgrunds setzt.

In den neuen Bildern ist die scharfe Kante verschwunden. Der Farbauftrag gibt sich nicht mehr als Folie oder Klebeband aus, sondern ist als solcher erkennbar. Die zwei bis drei quer über die Bildfläche verlaufenden, durch Weißraum voneinander abgesetzten und unterschiedlich getönten Farbstreifen zitieren Farbkarten, mit deren Hilfe sich Farbtöne vergleichen, auswählen und normieren lassen.
Die Idee zur Serie FF verdankt sich der Foto Edition „Der Himmel wird von Tag zu Tag blauer“ (2020), in der der Künstler eine blaue Farbskala wie zum Abgleich in den wolkenlosen und coronabedingt auch flugzeuglosen Frühlingshimmel hält. Über die Geometrie der Farbkarten driften nun andere Farben, in Form von Klecksen, kleinen Pinselstrichen oder Verläufen und bringen ein gestisches Moment ins Bild, das die zugrundeliegende Ordnung überlagert, aufbricht und irritiert.
Interessanterweise stammen diese ‚Störungen‘ aus Joachim Grommeks malerischer Praxis. Wenn der Maler mit der Musterkarte Farbkombinationen ausprobiert, setzt er mit dem Pinsel schnell mal eine Farbe zum Vergleich daneben. Weil ihn dann einige dieser unfreiwillig entstandenen Kompositionen faszinierten, entwickelte er das Verfahren weiter. Ob 031, 037 oder 014 und 049, FF bedeutet das Probieren in Perfektion.
Sparlogiken unterbrechen
Und noch ein Nachtrag: Friederike von Rauchs und Stefanie Schweigers Ausstellung „Disruptive Realities. Über künstlerische Arbeit, ihre Bedingungen – und Resilienz von Künstlerinnen“ im Projektraum im Haus am Kleistpark schließt leider an diesem Wochenende.

Ein ein paar Gedanken aus den Gesprächen über die Arbeit, die Erschöpfung, die Hoffnung und den Widerstand, die Rauch und Schweiger mit zwanzig Künstlerinnen geführt haben und die hier zu sehen sind und bis Mitte Oktober auch online zur Verfügung stehen, sollen in jedem Fall festgehalten werden. Sie wurden noch einmal deutlich in der Podiumsdiskussion mit dem ehemaligen Kultursenator Klaus Lederer, mit Heidi Sill, Künstlerin und Mitglied im Rat der Künste und Hergen Wöbken vom Institut für Strategieentwicklung.
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Resilienz zum Beispiel als eine Eigenschaft wie Stärke zu sehen, greift zu kurz. Resilienz ist die Praxis des fortwährenden Aushandelns von Positionen, Haltungen, und Sichtbarkeit. Und in diesen Aushandlungsprozess müssen die Nutzer:innen von Kunst, ihre Genießer:innen, diejenigen, die die Kunst in Anspruch nehmen mit einbezogen werden wie Klaus Lederer sagte. Die Nutzer:innen müssen sich als integraler Teil des Kunstgeschehens verstehen und nicht einfach als Konsument:innen gesehen werden. Wenn dieser Zirkel gelingt, dann erfüllt sich sicher der Wunsch von Heidi Sill, dass mehr der Menschen, die in der Öffentlichkeit eine Stimme haben, diese in Verteidigung der sozialen Belange der bildenden Kunst erheben. Denn deren Situation sieht in Berlin derzeit desaströs aus.
In vielen und langen Auseinandersetzungen errungene Fördermodelle werden derzeit wieder geschleift. Bestes Beispiel ist der FABiK-Fonds, der für die kommunalen Galerien zusätzliche Geldmittel bereitstellt, dazu bestimmt den Künstlern Ausstellungshonorare zu zahlen. Dank FABiK mussten Künstlerinnen wenigsten hier nicht mehr ihr mögliches Honorar aushandeln. Ganz schlimm sieht die Situation bei den Ateliers aus, da zu Ende des Jahres und auch im nächsten Jahr die Mehrzahl der Mietverträge ausläuft und der unter Spardruck stehende Senats die Förderung kippen will. Er glaubt, es würden sich für die Räume andere Kreative finden, die die Marktmieten zahlen können wie Werbeagenturen oder Spieleentwickler und ähnliches.
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