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Die Kunst der WocheWo die Träume segeln

Geschärfter Blick: Notierte Träume von Tina Born, unverkrampft leichte Fotografien von Alice Spring und Florian Süssmayrs Ölgemälde in Buchform.

Tina Born, „60 Jahre träumen“, 2023, Detailansicht, ca. 300 x 40 x 3 cm Foto: Copyright by the artist. Courtesy Laura Mars Gallery, Berlin

D ie Treppe aus roh belassenem Holz ist so in den Galerieraum bei Laura Mars gestellt, dass sie wie eine Barriere wirkt, betritt man den Raum. Man muss erst um sie herum gehen, dann könnte man ihre Stufen hochsteigen. Was man aber nicht tun wird, denn auf der dritten Stufe sitzt diese in tiefem Grün schillernd Ton-Maske. Die Bockigkeit der Installation gibt zu denken. Steinbrocken auf dem Boden laden zum Drüberstolpern ein.

Eine modulare Konstruktion aus horizontalen und vertikalen Holzleisten zieht sich in den nächsten Raum, wo an einer der vertikalen Holzleisten eine Art dunkler Teppich mit langen, auf den Boden fallenden Quasten hängt. Auf weiteren, in knapp ein Meter Höhe verlaufenden, vertikalen Leisten finden sich große bunte Glasbrocken und mit der Hand beschriebene DIN A4 Seiten.

Die modulare Holzkonstruktion verrät die Künstlerin. Zuletzt sah ich die Konstruktion schwarz gestrichen, im Kunsthaus Dahlem. Mit „Manga Bell“ setzte sich Tina Born mit den Hinterlassenschaften der deutschen Kolonialherren in Kamerun auseinander, etwa einem Elefantenschädel mit der Kennziffer 18728, die sie im Keller des Berliner Naturkundemuseums fand. Daran erinnert die große hölzerne Tiersilhouette eines Wollhaarmammuts bei Laura Mars.

Steckt das Wollhaar des Mammuts im Teppich? Nein, das 250 mal 100 mal 2 cm messende Textil ist aus Leinen. Die Künstlerin hat es selbst gefertigt, mit Jute gefüttert und „Gonfanon“ genannt. So heißt die besondere Art von Fahne oder Banner, die an einem vertikalen Stab hängt, am wehenden Ende aus mehreren Streifen oder Bändern besteht und bevorzugt auf Prozessionen oder Siegesparaden zum Einsatz kommt. „Gonfanon“ ist auch der Titel der inzwischen vierten Ausstellung von Tina Born bei Laura Mars.

Ausstellungen + Buch

Tina Born: Gonfanon, Laura Mars Gallery, bis 29. Juli, Mi.–Fr. 13–19 Uhr, Sa. 13–18 Uhr; Führung mit Tina Born: 20. Juli, 20 Uhr, Bülowstr. 52

Alice Springs: Retrospektive. Sonderausstellung der Helmut Newton Stiftung im Museum für Fotografie, bis 19. November, Do. 11–20 Uhr, sonst 11–18 Uhr, Mo. geschlossen, Jebenstr. 2

Florian Süssmayr: Simple Paintings. 132 Seiten, Sorry Press (2023), All paintings oil on canvas. All originals in 70 x 50 cm. Painted in 2021/2022, 15 Euro

„Gonfanon“ ist für mich die Fahne unter der die Träume segeln, die Born über Jahre hinweg notiert hat. Ausgehend von Arthur Rimbaud, der bekanntlich sagte, „Ich ist ein anderer“, bat die Künstlerin Freunde und Bekannte, doch ihre, also Borns Traumnotizen jeweils noch einmal handschriftlich aufs Blatt zu setzen. Die Träume sind bunt und komplex, ganz wie die großen Glasbrocken, die mal heitere Transparenz zeigen, mal dunkel und opak sind, oft zerklüftet mit scharfen, gefährlichen Kanten und dann wieder sanft gerundet.

Paradoxe Motive fallen auf, wie die Freundin als Zwilling, der missgebildete Löwe, die Lektüre vom österreichischen Schriftsteller in einem alten Bauernhaus, der vor seiner Haustür für die Gäste hunderte graue Filzpantoffel aufreiht. Freilich kommt niemand ihn besuchten. Vor der Tür von Laura Mars stehen keine Filzpantoffel und die Gäste sollten in Scharen kommen.

Subtile Lehrstunde der Fotografie

Es sah nach einem Leben an seiner Seite aus. Denn die anerkannte australische Schauspielerin war mit ihm nach Paris gezogen, wo sie aufgrund der Sprachbarriere nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten konnte. Er war Helmut Newton, ein vor den Nazis geflohener Fotograf aus Berlin, der in Paris ein Star der Modefotografie wurde. Sie hieß June Brown als sie ihm 1947 in Melbourne begegnete, ein Jahr später war sie schon June Newton. Und dann nannte sie sich noch Alice Springs. Unter diesem Pseudonym trat sie zweiundzwanzig Jahre später aus dem Schatten ihres Mannes. Ausgerechnet im gleichen Metier, der Fotografie.

Helmut Newton hatte Grippe und Fieber und bat seine Frau für ihn doch den Job der Gitanes Werbung zu übernehmen. Das charmante Ergebnis überzeugte nicht nur die Auftraggeber, sondern auch ihren Mann. Und so wuchs sich der Springerjob zu einem Werk unter eigenem Namen aus. Nach Ausstellungen 2010 und 2016 zeigt die Helmut Newton Foundation aus Anlass des diesjährigen 100. Geburtstages von June Newton, erneut eine große Retrospektive, wobei viele der gezeigten Aufnahmen noch nie zu sehen waren. Sie fanden sich im kürzlich nach Berlin verbrachten Bestand der gemeinsamen Wohnung der Newtons in Monaco.

Alice Springs, Liam Neeson for Marie Claire, 1990 Foto: © Helmut Newton Foundation

Alice Springs fotografierte vornehmlich Schwarzweiß, das Studio vermied sie weitestgehend. Stattdessen – vielleicht war das Gitanes Shooting auf der Place Vendome hier ein für alle Mal prägend – liebte sie es ihre Modefotos und ihre Porträtaufnahmen, für die sie vor allem berühmt ist, im Freien zu inszenieren. Und hier fällt dann auf, welches enorme Gespür für das natürliche Licht sie doch hatte. Wie sie besonders bei komplexen Szenen und Settings mit Licht und Schatten spielte, das ist beachtlich. Ihr Gespür für die Inszenierung reichte da nicht hin. Aber sie wusste auch damit umzugehen und punktete dafür mit natürlichem Eros und unverkrampfter Leichtigkeit.

Es mag ihrer Prägung als Schauspielerin zu verdanken sein, dass sie die Gradwanderung zwischen Maskerade, Rollenspiel und charakterlichen Selbstoffenbarung in der Porträtfotografie mit geradezu schlafwandlerischer Sicherheit beherrschte. Dafür brauchte sie gar nicht das over acting der Inszenierung von Helmut Newton. Sie fand auf leisen Sohlen Zugang zu ihren Protagonisten, was besonders da deutlich wird, wo sie einmal keine berühmten Schauspieler, Künstler oder Modeleute fotografierte, sondern einfach die Punks in den Straßen von Los Angeles.

Ob hier, oder bei den Künstlerporträts, sei es Gerhard Richter, Joseph Beuys oder Roy Lichtenstein, oder bei der Bilderstrecke mit den Modeleuten und anderen Prominenten, die von beiden, also von Alice Springs und Helmut Newton aufgenommen wurden, zum großen Vergnügen wird der Rundgang als eine quasi klammheimlich arrangierte, subtile Lehrstunde in der Kunst der Fotografie: Schärfe deinen Blick.

Entschieden auf Alltag

„Simple Paintings“ lautet der Titel des Taschenbuchs von Florian Süssmayr im Münchner Sorry Verlag. Allerdings würde man darauf kaum kommen, so wie der Titel in Reliefprägung im Dunkel des Coverbilds versinkt, dessen Schrift am oberen Rand „So jung, so voller Hass!“ natürlich voll reinknallt.

Und wenn nicht über den Titel, über Stil und Sujets des Malers ist man damit jetzt schon bestens informiert. Mit den 1980er Jahren, mit Punk, Dada, Stadtguerilla lässt sich Florian Süssmayrs künstlerische Herkunft benennen. Der Gitarrist der längst aufgelösten Münchner Band Lorenz Lorenz, der einst als defensiver Mittelfeldspieler mit Romuald Karmakar im Verein „FC/DC“ Fußball spielte, ist demnach von einer „akademisch“ geschmähten Malerei sehr weit entfernt. Dass seine bewusst flach gemalten Leinwände aber einfach einfach wären, ist damit keineswegs gesagt.

Florian Süßmayer, „Simple Paintings“ (Sorry Press, 2023) Foto: Sorry Press

Schon immer hat er die Bilder des Alltags in Malerei übersetzt und dabei ihren abgründigen Zauber aufgedeckt, ob er ausschnitthaft die Biertischkritzeleien mit Wachsstift aufs Papier durchgerieben oder die dort hinterlassenen Namenskürzel, Zeichnungen und Anzüglichkeiten in Öl gemalt hat. Jetzt gehören für ihn zu den Bildern des Alltags auch Mark Rothkos Farbstapel, die er rücksichtslos in Schwarzweiß malt, genauso wie die lange weiße Bahn, mit der ein Blitz die schwarze Leinwand von oben nach unten durchquert, oder die malerische Reproduktion eines Pressebilds, das zwei Männer in eine Hofeinfahrt zeigt, samt Bildunterschrift HIER STARB das Liebesmädchen. Es gehören dazu das „Porträt eines Mannes“ von Joos van Cleve (1485-1541), ein schon reichlich abgefuckter Elvis und Tom of Finland-Muscle-Gays, dazu triste Gardinen und BILD-Schlagzeilen.

Was wäre derzeit aktueller als „Polizei sucht diese Krawall-Barbie“? Freilich ergötzen sich die „Simple Paintings“ nicht einfach nur am Anekdotischen. Vielmehr besteht Süssmayr ganz entschieden auf dem Alltag als ebenso gesellschaftlichem wie individuellem, nicht zuletzt aber ästhetischem Verhängnis, was den melancholischen Reiz seines Bilderbuchs ausmacht.

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Brigitte Werneburg
war Filmredakteurin, Ressortleiterin der Kultur und zuletzt lange Jahre Kunstredakteurin der taz. Seit 2022 als freie Journalistin und Autorin tätig. Themen Kunst, Film, Design, Architektur, Mode, Kulturpolitik.
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