Die Grünen und die Zukunft: Der dritte Teil der Gesellschaft
Was wird aus Zukunftspolitik, wenn sich die Lame-Duck-Bundesregierung noch bis ins Jahr 2021 durchschleppt? Ihr „Weiter so“ ist kein Wirkstoff gegen die AfD.
S onntagabend stand ich in der Bundesgeschäftsstelle der Grünen, und es roch nach Herbst. Auf einem Fernsehbildschirm sah man den einnickenden Gauland von der AfD, und daneben stand in echt der Grüne Bundesvorsitzende. Er redete zwar im Dieter-Thomas-Heck-Tempo, aber er sah für einen Moment auch schon ein bisschen grau aus.
Die einen intensivieren seither das Hyperventilieren wegen der antibürgerlichen Protestbewegung gegen die liberale und emanzipatorische Demokratie. Manche gehen sogar auf andere Bürger des liberalen Spektrums los, um ihnen fehlende „klare Kante“ vorzuwerfen. Gern mit Auschwitz-Bezug, damit die maximale moralische Höhe klar wird. Diese Spaltungsstrategie erschließt sich mir nicht. Es sei denn, man möchte die offene Gesellschaft zerstören wie die AfD.
Die Frage ist, was die konstruktiven Kräfte in den kommenden Monaten machen können, um zukunftsorientierte Allianzen zu schließen. Beide ehemaligen Volksparteien haben ihren Führungsanspruch in Brandenburg (SPD) und Sachsen (CDU) ja nicht mit Zukunftskonzepten auf Höhe der physikalischen Wirklichkeit verteidigt, sondern mit dem Argument der Verhinderung einer – nur symbolisch wirkenden – einfachen Mehrheit der AfD.
Sie etikettieren ihr „Weiter so“ nun auch noch als Wirkstoff gegen die AfD, dabei ist es ein Grund für deren Wachstum. Das ist der Teufelskreis, aus dem wir rausmüssen.
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Dafür braucht es möglichst bald eine neue Bundesregierung, die die sozialökologische Transformation und andere Zukunftsprojekte jetzt vorbereitet. Gerade fühlt es sich aber an, als schleppe sich die Lame-Duck-Bundesregierung aus Union und SPD bis 2021 durch. Was darauf hinausläuft, dass die Krisen sich schön weiterentwickeln, während die Regierungsparteien sich mit sich selbst beschäftigen.
Das Tragische ist, dass die SPD nur noch alles falsch machen kann. Wählt sie Vizekanzler Scholz zum Vorsitzenden, macht sie sich lächerlich. Wählt sie ihn nicht, genauso. Und am Ende ist es so oder so egal. Die Linkspartei wird, das haben die Wahlen gezeigt, in dieser Konzeption nicht mehr nachgefragt. Weder als Regierungs-, noch als Protestpartei. Die Lindner-FDP hat sich – als Nachfolger der Grünen – ins politische Nirwana gechillt.
Bleiben derzeit leider nur die modifizierten Grünen (leider, weil das zu wenig ist), die einen dritten Teil der Gesellschaft adressieren, der weder auf antibürgerliche Revolte steht noch auf illusionäres „Weiter so“. Das ist die „liberale Mitte“, von der Robert Habeck spricht. Auch dieser Teil der Gesellschaft wächst auf Kosten der „Weiter so“-Parteien. In Sachsen und Brandenburg nicht im Ausmaß wie in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen. Aber er wächst.
Eine interessante Frage ist, was die Grünen jetzt einem Time-out entgegenzusetzen haben. Ob und wie sie die Zeit nutzen, speziell in der Bundestagsfraktion, die das inhaltliche Powerhaus künftigen Regierens sein müsste.
Das mag ungerecht sein, aber im Gegensatz zur gesellschaftlichen Aufbruchstimmung durch die Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Habeck verbreitet die Grünen-Fraktion seit Jahren die Anmutung des individuellen „Weiter so“. Noch fehlen Signale, dass man dort wirklich den Regierungsruck entwickeln kann, den die Bundesrepublik braucht.
Demnächst werden die Fraktionsvorsitzenden neu gewählt. Das sind dann die beiden wichtigsten Gehirne und Gesichter des Aufbruchs nach Baerbock und Habeck. Falls nicht doch noch jemand Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter herausfordert, dann müssen folglich die das sein.
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