Wahlen in Brandenburg und Sachsen: Es gibt auch Mut machende Signale

Im Wahlkampf diskutierten viele ernsthaft und vielfältig über Politik. Die demokratische Mehrheit hat sich so ihre diskursiven Räume zurückgeholt.

Robert Habeck (M), Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, spricht zum Abschluss des Landtagswahlkampfes in Leipzig

Vor einem Jahr noch undenkbar: Was im Wahlkampf selten vorkam, war das imaginierte Zuviel an Migration Foto: dpa

Nein, die Signale, die von diesen Landtagswahlen ausgehen, sind keine guten. Ein Viertel der Brandenburger hat einen Typen mit eindeutig rechtsextremer Biografie gewählt, dies entweder billigend in Kauf nehmend – oder gar gutheißend. In Sachsen und Brandenburg werden komplizierte Dreierkonstellationen regieren, um die starke AfD von der Macht fernzuhalten. Diese Riesen-Grokos verbindet inhaltlich wenig außer der staatsbürgerlichen Pflicht­erfüllung. Der rechte Flügel der Sachsen-CDU hasst die Grünen – und umgekehrt.

Die Wirkung für die politische Landschaft, die von Differenz lebt, kann fürchterlich sein. Sehr unterschiedliche Partner werden gezwungen, sich permanent auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen. Entschiedene Politik kann so nicht entstehen, die Unterschiede zwischen Demokraten verschwimmen. An der Groko im Bund lässt sich seit Jahren beobachten, welche Ermattung dies produziert, wie sehr die Beteiligten darunter leiden. Keine schönen Aussichten also.

Dennoch geben die Wahlen für allzu apokalyptische Deutungen keinen Anlass. In dem Schlamassel stecken Geschichten, die Mut machen. Sie spielen jenseits der klassischen Parteienarithmetik und klingen nach Aufbruch und Erneuerung. Da wäre zum Beispiel eine umfassende Politisierung der Gesellschaft, die bei Wahlveranstaltungen von CDU, SPD, Grünen oder Linken zu spüren war. Die Menschen kamen, sie waren viele, und sie redeten ernsthaft über Politik. Über schrumpfende Dörfer, über Züge, die nicht mehr fahren, über die Braunkohle – und über Konzepte, die es besser machen. Was selten vorkam, war das imaginierte Zuviel an Migration. Es fand eine Erdung statt, die vor einem Jahr undenkbar schien, als Neonazis durch Chemnitz marodierten.

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Die demokratische Mehrheit hat sich diskursive Räume zurückerkämpft und mit Leben gefüllt. Von Desinteresse der BürgerInnen kann keine Rede sein, es gibt ein Bedürfnis nach Teilhabe und Engagement. Das, was Ost- und Westdeutschland 30 Jahre nach der Wende trennt, liegt jetzt auf dem Tisch, für alle sichtbar. Auch die Parteien haben viel richtig gemacht. Oben auf der Bühne steht einer, belehrt die anderen und wird gewählt – so funktioniert es nicht mehr. CDU-Mann Kretschmer hat im Wahlkampf gefühlt jedem Sachsen persönlich die Hand geschüttelt, der Grüne Habeck in seinen Town Halls auch dem kritischsten Atomkraftfan minutenlang geantwortet.

Ernsthaft ins Gespräch kommen, Zugewandtheit zeigen, das ist ein Anfang, aus dem etwas entstehen kann. Die Zivilgesellschaft und die demokratischen Parteien befinden sich in einer Suchbewegung – aufeinander zu.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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