Die Grünen und der Freihandel: Die Front gegen Ceta bröckelt
Die Grünen stehen vereint gegen das umstrittene Freihandelsabkommen Ceta? Interne Mails wecken nun Zweifel daran.
Doch so geschlossen, wie die Grünen-Chefin tut, ist ihre Partei nicht. In Wirklichkeit wackelt die grüne Front gegen Ceta. Das belegen Antworten wichtiger Grüner aus den Bundesländern an die Kampagnenorganisiation Campact. Die Aktivisten hatten grüne Landesparteien, -fraktionen und -ministerien wochenlang mit Fragen bombardiert. Der gesammelte E-Mail-Verkehr, der der taz vorliegt, beweist, dass sich mehrere von Grünen mitregierte Länder eine Zustimmung im Bundesrat offenhalten. Das scheinbar klare Nein der Grünen steht auf der Kippe.
Der Bundesrat ist die Chance für die Grünen, ihr Versprechen einzulösen – und die ungeliebten Freihandelsabkommen noch aufzuhalten. Die Länderkammer wird die Beschlüsse der EU aller Voraussicht nach absegnen müssen, weil die Belange der Länder betroffen sind, etwa beim Verbraucherschutz oder der Landwirtschaft. Und die Grünen, die in zehn Ländern mitregieren, hätten die Macht zur Blockade.
Aber wollen sie auch? Hessens Grüne zum Beispiel regieren zusammen mit der CDU. Die Antwort an Campact ist aufschlussreich, weil sie alles offenlässt: „Sobald Ceta im Bundesrat ein Thema wird, kann und wird die hessische Landesregierung ihr Abstimmungsverhalten in der Länderkammer festlegen“, heißt es in dem Brief, den die beiden LandeschefInnen Daniela Wagner und Kai Klose sowie der Fraktionsvorsitzende Mathias Wagner unterschrieben haben.
Der Minister schweigt
Was heißt das genau? Der mächtigste Grüne in Hessen, Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir, hüllt sich in Schweigen. Eine taz-Anfrage mit der Bitte um Positionierung ließ er am Freitag unbeantwortet.
Erst Anfang Mai hat die schwarz-grüne Koalition ihre Haltung zu Handelsabkommen im Landtag beschlossen. Ceta, TTIP und Co. könnten „grundsätzlich sinnvolle Instrumente“ für effektive und effiziente Märkte sein, heißt es da. Hessens Unternehmen exportierten jährlich Waren im Wert von über 6,2 Milliarden Euro in die USA. Der Beschluss betont zwar, dass soziale und ökologische Standards erhalten bleiben müssten – doch dies ist eine Frage der Definition. Eine Absage klingt anders.
Auch in Hamburg, wo die Grünen mit der starken, wirtschaftsfreundlichen SPD unter Olaf Scholz regieren, halten sie sich bedeckt. Der Brief, mit dem die Hamburger Grünen die Campact-Fragen beantworten, endet lapidar. Solle Ceta in den Bunderat eingebracht werden, werde der Hamburger Senat „rechtzeitig sein Abstimmungsverhalten festlegen“.
Eine Haltung, die neu ist: Im Wahlkampf hatten die dortigen Grünen Campact noch versichert, im Falle einer Regierungsbeteiligung ein Ja zu Ceta zu verhindern. Neuerdings lobt Hamburgs Grünen-Chefin Anna Gallina, dass es im Ceta-Entwurf keine privaten Schiedsgerichte mehr gebe, sondern ein teilweise öffentlich tagendes, dauerhaftes Gericht. Man sei skeptisch, ob damit auch andere Kritikpunkte ausgeräumt seien, sagte Gallina am Freitag. „Der innerparteiliche Diskussionsprozess zur Bewertung des Abkommens läuft derzeit noch.“
Kretschmann stören Einwände der Partei im Zweifel wenig
In Baden-Württemberg regiert Winfried Kretschmann mit der CDU in Deutschlands erster grün-schwarzer Regierung. Der Koalitionsvertrag lässt eine Zustimmung zu Ceta ausdrücklich zu. Aber wie verhält sich Kretschmann, wenn es zum Schwur kommt? Weiß bei den Grünen dort niemand. Was alle wissen: Kretschmann stören Einwände der Partei im Zweifel wenig. Das hat er beim Asylrecht bewiesen.
Die Antwort, die die ChefInnen der Landespartei aus Baden-Württemberg an Campact schrieben, liest sich denn auch ziemlich defensiv: Sie würden gegenüber der Landesregierung darauf drängen, „Ceta in der vorliegenden Fassung im Bundesrat nicht zuzustimmen“. Darauf drängen – weil Kretschmann eh macht, was er denkt?
Misstrauische Grüne haben längst die Stimmenverhältnisse im Bundesrat ausgerechnet. Allen ist klar, dass dabei auch die Glaubwürdigkeit der Partei auf dem Spiel steht. „Ich werbe dafür, dass die überzeugenden Argumente überall berücksichtigt werden und Ceta abgelehnt wird“, sagte Bundetagsfraktionschef Anton Hofreiter. Die Stimmen von Baden-Württemberg, Hessen und Hamburg allein würden – zusammen mit von Union und SPD regierten Ländern – nicht reichen. Allerdings wird in mehreren Ländern noch gewählt, bevor die Ceta-Entscheidung im Bundesrat ansteht. In Nordrhein-Westfalen regiert im Moment die SPD mit entschieden Ceta-kritischen Grünen. Wenn nach der Wahl im Mai 2017 eine Große Koalition übernimmt, würde das Land Ceta durchwinken.
Neue Brisanz erhält die Frage durch ein Gutachten, das in dieser Woche veröffentlicht wurde. Das Land Baden-Würtemberg hatte von dem – eher konservativen – Europarechtler Martin Nettesheim analysieren lassen, wie sich Ceta auf den Gestaltungsspielraum von Ländern und Gemeinden auswirkt. Seine Antwort ist klar: Dieser Spielraum wird verringert. Die öffentliche Daseinsvorsorge ist demnach ebenso von Ceta betroffen wie die Möglichkeit von Ländern und Kommunen, Regulierungen vorzunehmen.
Gutachten schon seit Dezember fertig
Wenn Baden-Württemberg seinen Koalitionsvertrag ernst nimmt, müsste das Land Ceta ablehnen. Festlegen will sich die Landesregierung darauf aber nicht. Die Ergebnisse des Gutachtens würden „in die politische Bewertung der Abkommen einfließen“, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Arne Braun lediglich.
Das Gutachten war bereits im Dezember fertiggestellt worden; öffentlich gemacht hat es das Staatsministerium erst jetzt, nachdem der Verein „Mehr Demokratie“ von der Existenz erfahren und eine Veröffentlichung nach dem Informationsfreiheitsgesetz beantragt hatte. Selbst die zuständigen Grünen-Experten in der Bundestagsfraktion waren völlig überrascht. Man habe erst in dieser Woche von dem Gutachten erfahren, hieß es.
Den Vorwurf, das Papier sei monatelang geheim gehalten worden, wies Braun am Freitag dennoch zurück. Das Gutachten musste „noch einmal auf den aktuellen Sachstand überprüft werden, da durch Nachverhandlungen zwischen der EU und Kanada im Februar ein überarbeiteter Ceta-Text veröffentlicht wurde.“ Erst nachdem der Gutachter erklärt hatte, dass „an den Ergebnissen der Studie festgehalten werden kann und keine Überarbeitung notwendig ist“, habe man sich zur Veröffentlichung entschlossen, sagte Kretschmanns Sprecher.
Gegen diese Version spricht, dass sich weder im Gutachten noch auf der Webseite Hinweise auf Aktualisierungen finden. Das Papier trägt weiterhin das Datum 8. Januar 2016, der Text bezieht sich stets auf den „Entwurf“ des Abkommens. Eine monatelange Nachprüfung, die nicht im Text erwähnt wird, wäre zumindest ungewöhnlich.
Die Anti-Ceta-Demo, zu der Grünen-Chefin Simone Peter aufruft, soll auch in Stuttgart, Frankfurt am Main und in Hamburg stattfinden. Für grüne Demonstranten könnte das – Stand jetzt – zu einer Herausforderung werden. Sie müssten gegen Freihandel protestieren – und die Grünen ihrer Landesregierung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers