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Die EU muss in Libyen aktiv werdenMassaker im Mittelmeer

Wenn die EU den Geflüchteten in Libyen helfen will, muss sie sich die Hände schmutzig machen: Demokratische Verbündete gibt es dort nicht.

Geflüchtete warten auf Hilfe durch private Seenotrettung (Februar 2021) Foto: ap

M it einem klaren Votum hat das italienische Parlament am Donnerstag beschlossen, die finanzielle und logistische Unterstützung der libyschen Küstenwache fortzusetzen. 40 Abgeordnete wollten die Zusammenarbeit wegen der ständigen Menschenrechtsverletzungen aussetzen, 376 setzen aber auf einen Stopp des Flüchtlingsstroms um jeden Preis.

Vor der Abstimmung hatte Amnesty International vehement gefordert, die Kooperation der europäischen Grenzschutzorganisation Frontex mit den libyschen Behörden einzustellen. Die mit italienischen Patrouillenbooten ausgerüstete 6.000 Mann starke Küsten­wache des ehemaligen Bürgerkriegslandes fällt immer wieder mit aggressiven Einsätzen gegen die Besatzungen der privaten Rettungsschiffe in der eigenmächtig auf 90 Seemeilen ausgeweiteten nationalen Seenotrettungszone auf.

Der Streit um die Kooperation mit der libyschen Küstenwache zeigt, dass Europa nicht bereit ist, sich den tatsächlichen Herausforderungen in Nordafrika und im Sahel zu stellen. Wer auf libyschen Patrouillenbooten mitfährt, hört von der mit alten Marinesoldaten und untrainierten Kadetten aufgefüllten Truppe unerwartete Kritik: Warum es denn keine gemeinsame Mittelmeermission gebe, warum kaum Hilfe bei der Ausbildung und kein Funkkontakt mit den europäischen Schiffen gewollt sei?

Die Antwort ist einfach. Politiker und Diplomaten in Europa trauen sich nicht, die Wächter von Migrantenlagern oder die Küstenwache von einer robusten EU-Mission ausbilden zu lassen. Als Feigenblatt zum Wegschauen dient die angeblich so gefährliche Lage in Tripolis.

Und dann Sommerpause

Seit 2014 arbeiten fast alle Botschaften und UN-Organisationen aus dem benachbarten Tunesien. Die von Amnesty in Westlibyen dokumentierten Verbrechen an Mi­gran­t:in­nen in den privaten und staatlichen Gefängnissen tauchen nur als statistische Zahlen auf. Solange die EU-Grenzmission EUBAM ein zahnloses Gebilde ist, wird das Massaker weitergehen.

In Libyen, Mali und anderen Gebieten der entstaatlichten Region muss man mit Akteuren zusammenarbeiten, die keinen demokratischen Werten entsprechen: um Menschenleben zu retten. Das Wegschauen ist ein Verbrechen und wird die Lage verschlechtern. Die Par­la­men­ta­rie­r:in­nen in Europa muss das nicht weiter kratzen. Sie sind dann in der Sommerpause und haben die Kooperation mit der libyschen Küstenwache Italien überlassen.

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Mirco Keilberth
Auslandskorrespondent Tunis
Mirco Keilberth berichtet seit 2011 von den Umstürzen und den folgenden Übergangsprozessen in Nordafrika. Bis 2014 bereiste er von Tripolis aus Libyen. Zur Zeit lebt er in Tunis. Für den Arte Film "Flucht nach Europa" wurde er zusammen mit Kollegen für den Grimme Preis nominiert. Neben seiner journalistischen Arbeit organisiert der Kulturwissenschaftler aus Hamburg Fotoausstellungen zu dem Thema Migration. Im Rahmen von Konzerten und Diskussionsveranstaltungen vernetzt seine Initiative "Breaking the Ice" Künstler aus der Region, zuletzt in Kooperation mit der Boell-Stiftung im Rahmen des Black Box Libya Projektes.
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14 Kommentare

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  • Tja... ohne Stärkung der U.N.O. als politisches Werkzeug der Idee der "Allgemeinen Menschenrechte" ist ja offensichtlich alles nur Schnickschnack und endet in antihumaner Unmoral!

  • @KRISTINA IHLE

    Schulterzuckend durch die Welt. Bravo.

  • Es gibt so viel Probleme auf der Welt. Die EU kann nicht alle lösen.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Die EU sollte einen Teil Libyens mieten und dort Flüchtlingslager betreiben, dazu eine Küsntenwache Hilfstruppe geführt von Europäern die mit hohen Standards operiert. In diesen Algern werden die Anträge bearbeitet und bei positivem Bescheid auf Europa verteilt bei Ablehnubg erfolgt von hier die Rückführung. Wenn man will das etwas richtig gemacht wird muss man es selbst erledigen. Wenn niemand mehr auf dem Seeweg nach Europa kommt werden die Leute es nicht mehr versuchen so kann man das ganze human "managen" dann kann jedes EU Land sich entscheiden wieviele es aufnehmen will.

  • @JIM HAWKINS

    Genau so sehe ich das. Dieser brutale Zustand ist bekannt, und als "Abschreckung" gewünscht.

    Ich sähe gerne die Verantwortlichen (und dazu gehört ganz sicher uns Seehofer) vor dem Internationalen Strafgerichtshof [1] sehen. Da gehören sie hin.

    [1] menschenrechte-dur...trafgerichtshoefe/

    • @tomás zerolo:

      Ergänzung: Dies steht aktuell in der FAZ:



      www.faz.net/agentu...ntex-17439965.html

      Frontex-Chef Fabrice Leggeri muss zurücktreten, diese Forderung gibt es schon seit einem halben Jahr! hat sich seitdem nichts getan!

      • @Thomas Kniep:

        Herr Leggeri sitzt in Warschau, da ist solches Verhalten gern gesehen.

    • @tomás zerolo:

      Ich fürchte mal, das wird ein frommer Wunsch bleiben.

      Der Strafgerichtshof nennt sich zwar "international", aber auch das ist nicht so gemeint.

      Das kann man anhand der Fälle, die dort verhandelt wurden erkennen:

      www.humanrights.ch...-strafgerichtshof/

      Es ging um den Kongo, um Libyen, Uganda, die Zentralafrikanische Republik und so weiter und so fort.

      Niemals wird die EU, niemals wird Deutschland auf dieser Liste auftauchen.

      • @Jim Hawkins:

        Sagen Sie mir bitte einen Grund, warum sich in Libyen irgendetwas ändern sollte, sobald die EU Flüchtlinge aus Libyen unkompliziert aufnimmt und abholt?

        Die Schlepper haben dann einen sicheren Transport zu bieten, weshalb sie höhere Preise verlangenen können.

        Weshalb Schlepper von dem Erpressungsgeschäft lassen sollten, auf sexuelle Gewalt verzichten oder Missliebige nicht in der Wüste verdursten lassen sollten, erschließt sich mir dagegen nicht.

        • @rero:

          Die ganze Schweinerei wird von der EU finanziert.

          2017 überwies allein Deutschland 120 Millionen, um den "Übergang zur Demokratie" zu fördern.

          Ich denke, wer das alles finanziert, hat wohl auch ein Wörtchen mitzureden.

          • @Jim Hawkins:

            Die Frage ist, wer hier für was genau finanziert wird.

            Die Schlepper wird die EU gewollt eher nicht finanzieren.

            • @rero:

              Sicher nicht, aber ich denke, wenn man mit einem größeren Blick auf die Sache schaut, spielt das keine Rolle.

              Letztendlich geht es darum jedem, der sich mit dem Gedanken trägt, nach Europa zu gehen, warum auch immer, klarzumachen, dass er dabei sein Leben, seine Gesundheit, seine Würde aufs Spiel setzt.

              Dass Europa eher in Kauf nimmt, dass Tausende bei dem Versuch elend verrecken, als das es etwas von seinem Kuchen abgibt.

  • Ich bin gespannt, ob wir auch in 10 Jahren noch eine vergleichbare Situation haben oder ob sich die EU endlich mal eine langfristige Strategie einfallen lässt.

  • Warum habe ich das Gefühl, der EU und damit auch Deutschland, ist es ganz recht, wie in Libyen mit Flüchtlingen umgegangen wird?

    Das hier: "Politiker und Diplomaten in Europa trauen sich nicht, die Wächter von Migrantenlagern oder die Küstenwache von einer robusten EU-Mission ausbilden zu lassen."

    scheint mir eine etwas naive Sicht auf die Dinge zu sein.

    Wie es in diesen Lagern zugeht, das ist seit Jahren bekannt. Menschen werden gefoltert, die Bilder davon an die Verwandten der Opfer geschickt, um Geld zu erpressen. Kommt keines, bringt man sie eben um.

    Flüchtlinge wurden in der Wüste ausgesetzt, ohne Essen und ohne Wasser. Sexuelle Gewalt gegen sie ist der Normalfall.

    Keiner schaut weg, alle wissen Bescheid. Lieber zu Tode gefoltert als in Europa. So sehen wir das in der EU.

    Wer andere Wege nehmen muss, vegetiert in Elendslagern oder ertrinkt im Mittelmeer.

    Die implizite Ansage ist also: Wir wollen euch hier nicht haben, macht ihr euch trotzdem auf den Weg, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihr dabei umkommt ziemlich groß.

    Sagen tut man allerdings das:

    "Die Europäische Union ist in ihren Außenbeziehungen einer Politik der Unterstützung von Demokratie und Menschenrechten verpflichtet, die auf ihren Gründungsprinzipien Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie Rechtsstaatlichkeit beruht. Ziel der EU ist es, in allen ihren Politikbereichen und Programmen Menschenrechtsbelange zu berücksichtigen. Geht es um konkrete Maßnahmen, verfügt sie über verschiedene Instrumente der Menschenrechtspolitik – beispielsweise kann sie einzelne Projekte aus ihren Finanzierungsinstrumenten bestreiten."

    Drauf geschissen.