Die Brennelementefabrik und Rosatom: Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?
Der russische Konzern Rosatom will in die niedersächsische Nuklearanlage einsteigen. 11.000 Menschen haben Einwände. Ab Mittwoch werden sie erörtert.
Das betrifft auch die Brennelementefabrik im niedersächsischen Lingen, die von der Framatome-Tochter Advanced Nucelar Fuels (ANF) betrieben wird und vom deutschen Atomausstieg ausgenommen ist. Aktuell will das Unternehmen seine Produktpalette erweitern und künftig auch Reaktoren russischer respektive sowjetischer Bauart mit Brennstoff beliefern. Und dafür braucht es die Lizenz und das Know-how von Rosatom. Techniker aus Russland gingen schon vor Wochen in Lingen ein und aus und installierten in einem leerstehenden Möbellager Maschinen, um ihre deutschen Kollegen daran zu schulen.
Über die Erweiterung der Lingener Fabrik muss das niedersächsische Umweltministerium entscheiden. Es hat für den 20. November einen im Atomrecht festgeschriebenen Erörterungstermin in den Lingener Emslandhallen angesetzt. Dabei diskutieren die Genehmigungsbehörde, der Antragsteller ANF und Kritiker über rund 11.000 Einwendungen, die Bürger aus Lingen und von außerhalb gegen das Vorhaben erhoben haben. Je nach Verlauf, wird die Erörterung in den Folgetagen fortgesetzt.
In ihren Eingaben führen die Einwender vor allem sicherheitspolitische Argumente ins Feld. Der Einstieg von Rosatom in die Nuklearanlage biete Russland nahezu unvermeidlich Möglichkeiten zu Sabotage, Spionage und Desinformation – nicht nur in Lingen und Deutschland, sondern in allen Atomkraftwerken in Europa, die aus dem Emsland beliefert würden. Dank Rosatom verdiene Russland weiter an der europäischen Atomkraft, gewinne ungeachtet des Ukraine-Krieges strategisch an Einfluss und könne ganz nebenbei mögliche Sanktionen unterlaufen.
Abhängig vom Kreml
„Wir fürchten, dass Lingen letztlich zu einer Außenstelle der russischen Atomindustrie wird“, sagt Alexander Vent vom Lingener Bündnis AgiEl – Atomkraftgegner im Emsland. Wer dem russischen Atomkonzern Rosatom Zugang zu Personal und Wissen verschaffe, mache sich langfristig abhängig vom Wohlwollen des Kreml.
Infolge der Kooperation werde es zudem eine wachsende Zahl an Urantransporten aus Russland geben. Energie-Unabhängigkeit, so Vent, „sieht anders aus“. Bettina Ackermann von der Anti-Atom-Organisation.ausgestrahlt geht davon aus, „dass das geplante Brennelement-Joint-Venture zwischen Framatome und Rosatom die innere und äußere Sicherheit Deutschlands gefährdet“. Warnungen der deutschen Geheimdienstchefs bestätigten diese Einschätzung.
Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen weist darauf hin, dass Rosatom „im Atombereich der geopolitische Arm des Kremls und sowohl im zivilen wie auch im militärischen Bereich aktiv“ sei. Zudem leite Rosatom in der Ukraine die Verwaltung des von Russland militärisch besetzten AKW Saporischschja.
Mit mehr als 250.000 Mitarbeitenden ist Rosatom eine Mischung aus Behörde und Staatskonzern. Das direkt dem Kreml unterstellte Konstrukt besteht aus etwa 300 einzelnen Unternehmen und bündelt den gesamten Nuklearsektor Russlands, vom Uranabbau über den AKW-Betrieb bis zu den Atomwaffen. Auch im internationalen Atomgeschäft zählt Rosatom zu den ganz großen Playern. Ende 2021 war jedes sechste AKW weltweit von Russland gebaut, mehr als die Hälfte davon stand in anderen Ländern. Von 20 aktuellen Neubauprojekten Rosatoms liegen sogar 17 außerhalb Russlands.
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