Die Ampel und ihre Impfpflicht-Pläne: Erste Bauchlandung
Kommt die Impfpflicht? Zumindest ihren gesetzten Zeitplan wird die Ampelkoalition nicht einhalten. Sie wiederholt damit die Fehler der Vorgängerregierung.
W ird es eine allgemeine Impfpflicht gegen Corona geben? Wetten möchte man derzeit nicht darauf. Die Ampel-Koalition verabschiedet sich gerade scheibchenweise von ihrem ehrgeizigen Ziel, diese rasch einzuführen. Die FDP ist eigentlich schon raus, SPD und Grüne erbitten mehr Bedenkzeit. Die selbsternannte Fortschrittskoalition steuert auf ihre erste Bauchlandung zu.
Interessanterweise stolpert sie gerade über das gleiche Thema wie die späte GroKo. Hatte diese noch erklärt, es werde auf keinen Fall eine Impfpflicht geben, vollführte Olaf Scholz als Kanzler in spe die Wende und erklärte, diese komme im Februar oder März. Nun wird klar: Der Zeitplan ist nicht zu halten, die Impfpflicht womöglich auch nicht. Es wäre der doppelte Wortbruch – erst schließt die Große Koalition eine Impfpflicht aus, dann kriegt die nächste Regierung sie nicht hin.
Das liegt nicht so sehr am fehlenden Willen. Sondern daran, dass die langsamen Prozesse des Politikbetriebs, die forsche politische Kommunikation und das dynamische Infektionsgeschehen nicht zusammenpassen. Politische Prozesse brauchen Zeit, sie basieren auf Abwägung und Abstimmung, die Ergebnisse müssen am Ende rechtssicher sein und Bestand haben. Ein Virus aber, das sich ständig verändert und Schutzschilde unterwandert, ist der politischen Realität immer mehrere Schritte voraus.
Weniger Macherattitüde, mehr Demut
Das muss die Ampelkoalition nun schmerzlich erfahren. Erst hat sie mitten in der vierten Welle die Aufhebung der epidemischen Lage nationaler Tragweite beschlossen und war gezwungen, den eigenen Gesetzentwurf hastig nachzubessern. Dann verkündete sie die Einführung einer Impfpflicht, doch die Mutante Omikron zerstörte jäh alle Hoffnungen auf schnelle Eindämmung der Pandemie. Bremen, wo die Impfquote am höchsten ist, hat gerade auch die höchsten Infektionsraten.
Im Expertenrat ist man sich zwar einig, dass die Impfung vor schweren Verläufen schützt, der Virologe Christian Drosten betont, dass eine durchgeimpfte Bevölkerung auch für neue Virenvarianten besser gewappnet sein wird. Aber es zeigt eben auch, dass sich eine Impfpflicht nicht so einfach einführen lässt wie der Mindestlohn von 12 Euro. Und dass es sich rächt, den Bürger:innen Hoffnungen vorschnell als Gewissheiten zu verkaufen.
Scholz hatte übrigens auch angekündigt, den Stil der politischen Kommunikation ändern zu wollen, um nicht jeden Tag neue Nachrichten zu verkünden. Das könnte die Ampel tatsächlich sofort umsetzen: Weniger Macherattitüde, mehr Demut vor der pandemischen Notlage und auch mal das Eingeständnis, es noch nicht zu wissen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz