Die AfD und der Krieg: Angst und Wut sind zurück
Die AfD will inhaltlich mit der Inflation punkten. Auf der Suche nach Sündenböcken klammert die rechte Partei den russischen Angriffskrieg aus.
Den Film mit dem dramatischen Titel „Teuro Total – Deutschland am Limit“ hat die Fraktion selbst gedreht und zeigt damit, auf welche Themen sie und die ganze Partei in den kommenden Monaten setzt: Mit einer Mischung aus Verschwörungserzählungen und rassistischen Neiddiskursen will die AfD vorhersehbare und bestehende Preissteigerungen und Wohlstandsverluste ausnutzen. Die in der AfD ohnehin präsente Untergangsrhetorik soll dabei an tatsächlich zunehmende Existenznöte anknüpfen – denn schließlich stimmt es, dass Gasnachzahlungen kommen werden und in der Mittelschicht die Abstiegsangst umgeht.
Deutlich wird die AfD-Strategie in den monokausalen Erklärungen, die der als Sozialreportage angelegte Film anbietet – offenbar mit freundlicher Unterstützung des größten Veranstaltungs- und Kulturzentrums, das Russland im Ausland betreibt. Der Sprecher der Bundestagsfraktion sagte der taz zwar, dass der Ort rein zufällig gewählt sei und nichts mit dem Inhalt des Films zu tun habe. Aber es ist auffällig, wie die AfD die geopolitische Lage bewusst ausklammert. So kommt eine der Hauptursachen der Inflation im Film nicht zur Sprache: der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Denn vor allem der Ukrainekrieg ist nach Ansicht vieler Expert*innen einer der Haupttreiber der Inflation – neben den Folgen der Coronapandemie und unterbrochenen Lieferketten nach dem strikten Lockdown in China. Statt aber analytisch darauf einzugehen, sucht der auch als Verschwörungsideologe bekannte AfD-Haushaltspolitiker und stellvertretende Bundessprecher Peter Boehringer in dem Film die Schuld bei der europäischen Zentralbank EZB und deren Geldpolitik.
Kriege sind Inflationstreiber
Die aber sei nicht verantwortlich für die derzeitige Inflation, sagt etwa Peter Bofinger, der bis 2019 im Expertenrat der sogenannten Wirtschaftsweisen saß. Der Inflationsschub liegt ihm zufolge klar am Ukrainekrieg, wie er im Handelsblatt schreibt. Die Geschichte zeige, dass Kriege die Inflation steigen ließen, so Bofinger: in den Weltkriegen, im Koreakrieg, im Jom-Kippur-Krieg mit der ersten Ölkrise sowie im Irak-Iran-Krieg mit der zweiten Ölkrise. Russland und die Ukraine seien Exporteure von Rohstoffen und Weizen – entsprechend stiegen nicht nur Preise für Energie, sondern auch für Metalle und Nahrungsmittel.
Neben der einseitigen Schuldzuschreibung zeigt die Doku auch, wen die AfD mit ihrer Mobilisierung erreichen will: In dem vermeintlich sozialkritischen Film kommen Protagonist*innen zu Wort, die besonders von Inflation und Wohlstandsverlusten gebeutelt sind: eine Taxifahrerin aus Eberswalde, ein Koch aus Garmisch-Partenkirchen und eine Frührentnerin aus Wiesbaden.
Als Sündenböcke werden neben Menschen mit Migrationsgeschichte auch schon Regierungsvertreter in Position gebracht: AfD-Sozialpolitiker René Springer spricht davon, dass Preissteigerungen „zu guten Teilen nicht zufällig“, sondern „von der Politik gewünscht“ seien. Boehringer nennt die Inflation gar eine „heimliche Steuer, erzeugt von der Regierung und der Zentralbank samt anhängendem Bankensystem“. Angst und Wut auf das System sollen also wieder für Zulauf sorgen und so der derzeit deutlich spürbaren Abwärtsspirale der extrem rechten Partei entgegenwirken – so die Hoffnung der AfD-Politiker.
Neoliberale Programmatik
Die in der Doku empathisch angesprochenen sozialen Problemlagen sollen wohl zugleich darüber hinwegtäuschen, dass weite Teile der AfD-Programmatik stets neoliberal und arbeitnehmerfeindlich geprägt waren. Gegen soziale Ungleichheit will die AfD laut ihrem Grundsatzprogramm wenig unternehmen: Gefordert wird die Abschaffung der Erbschafts- und Vermögenssteuer; Gewerbesteuern sollen „überprüft“ werden. Expert*innen bewerteten das jüngste Wahlprogramm zu Arbeits- und Sozialpolitik aus Gewerkschaftssicht als „substanzlos“ und fassen es so zusammen: „Viel Markt, wenig Staat, flexibles Arbeitsrecht.“ Für die im Film gezeigten Protagonist*innen hat die AfD also keine nachhaltigen Lösungen zu bieten.
Dennoch ist die Situation angesichts der wirtschaftlichen Lage vor allem mit Blick auf Ostdeutschland fragil, wie Rechtsextremismus-Experte David Begrich sagt: „Ich befürchte, dass insbesondere in den Regionen, wo es größere Pegida- und Coronaproteste gab, die Inflation das demokratische Bewusstsein weiter auffressen wird.“ Gleichwohl sei das nicht vorprogrammiert, sagt Begrich: „Die AfD würde gerne von Wohlstandsverlusten profitieren, aber das ist kein Automatismus – bei Corona hat sich die AfD auch viel erhofft, das ist aber am Ende nicht eingetreten.“
Der Mobilisierungserfolg der AfD hänge vor allem davon ab, wie die Politik mit den multiplen Problemlagen umgeht, so Begrich. „Wenn die extreme Rechte profitiert, tut sie das nicht, weil sie super vorbereitet ist oder das Antlitz der Unbesiegbarkeit hat, sondern weil ihr bestimmte Entwicklungen in den Schoß fallen, denen nichts entgegengesetzt wird.“ Insbesondere „neurechte“ Ideologen um Björn Höcke bereiteten sich seit Langem auf einen „Ausnahmezustand“ vor – mit bewusster begrifflicher Anlehnung an den autoritären Vordenker und NS-Juristen Carl Schmitt, wie Begrich betont. Kommunikativ werde die AfD dabei vor allem auf die Inbetriebnahme der sanktionierten deutsch-russischen Gaspipeline Nord Stream 2 pochen, glaubt Begrich.
Wie zum Beweis redet vor allem der völkische Flügel um Höcke unterdessen apokalyptische Zustände und damit den herbeigesehnten Zusammenbruch des Staates herbei. „Wir werden durch Unfähigkeit in den wirtschaftlichen Abgrund gerissen“, behauptete der Rechtsextremist am Donnerstag auf seinem Telegramkanal und spricht sich für den Import von russischem Gas und eine Inbetriebnahme von Nord Stream 2 aus. Am Mittwoch schrieb er gar von einem „Rückfall in ein vorindustrielles Zeitalter“. Den Schulterschluss mit dem rechtsextremen Vorfeld hatte Höcke zuletzt ganz ungeniert auf dem Parteitag demonstriert.
Hinweis: Der Text wurde nachträglich gekürzt, 15.7.22.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren