Die Ärzte mit Sozialticket: Mehr als nur guter Musikgeschmack
Dass die Eintrittspreise immer nur nach oben gehen, muss nicht sein. Die Ärzte bieten für ihre Berliner Konzerte nächstes Jahr verbilligte Sozialtickets an.
„Die Kosten, um ein Konzert veranstalten zu können, sind in den vergangenen Jahren aus vielerlei Gründen massiv gestiegen – und die Ticketpreise entsprechend in die Höhe geschossen“, erklärt das Trio auf seiner Website. Damit nicht nur Privilegierte sich ihre Shows leisten könnten, haben sie ein – derzeit noch erhältliches – Kontingent ermäßigter Karten zur Verfügung gestellt. Regulär kosten die Ärzte-Tickets 82 Euro, Tickets zum Regeltarif gibt es nur noch für den ersten Termin.
Keinem Pop-Fan wird entgangen sein, dass die Ticketpreise stark angezogen haben – mehr als die Verbraucherpreise im Schnitt in Zeiten der Inflation. Der Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft geht von einer Preissteigerung von etwa 10 bis 15 Prozent aus. Für große Rock-Acts wie Queens Of the Stone Age oder The National muss man mehr als 50 Euro zahlen – das scheint fast schon gängig zu sein. Bei Weltstars wie Taylor Swift, Madonna, Beyoncé oder Metallica geht es bei den meisten Konzerten erst ab 100 Euro los – nach oben gibt es dann kaum ein Limit. Weil Ökonom*innen ausgerechnet haben, dass Ticketpreise in manchen Ländern ein bedeutender Faktor der Inflation sind, machten auch schon die Begriffe „Beyflation“ oder „Swiftflation“ die Runde.
Damit es bei der Ärzteflation sozial ausgewogener zugeht, starten Bela B., Farin Urlaub und Rod González nun zunächst ausschließlich für Berliner*innen diese Aktion. Bei den Bewohner*innen der Hauptstadt ist es – mit dem Sozialticket – relativ gut überprüfbar, wer zum Personenkreis mit geringem Einkommen zählt. Bundesweit, so die Band, gestalte sich dies weitaus schwieriger – und dass Fans Einkommensnachweise erbringen müssen, um eines ihrer Konzerte besuchen zu können, wollen sie nicht. „Wir möchten das Angebot mit dem in Berlin gültigen Berechtigungsnachweis der hiesigen Senatsverwaltung starten“, schreiben sie, „hoffen aber, das alles bei zukünftigen Events deutlich ausweiten zu können.“
Alles immer teurer
Zumindest den Mittelklasse-Bands und -Veranstaltern kann man es dabei kaum zum Vorwurf machen, dass die Preise so durch die Decke gehen – die Produktionskosten für Events liegen viel höher als noch vor der Pandemie und der Inflation. Techniker*innen sind teurer, Künstlergagen wurden angepasst, Energiekosten sind gestiegen. Die Kosten für ein Konzert seien auf Veranstalterseite geschätzt um durchschnittlich rund 30 Prozent gestiegen, sagt Johannes Everke vom Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft gegenüber der taz. Auf die Krisen hat auch schon die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth (Grüne), reagiert. Für junge Menschen (18-Jährige), die von der Pandemie besonders betroffen waren, hat sie den Kulturpass ins Leben gerufen – einen 200-Euro-Gutschein, der für Kulturgüter verwendet werden kann, auch für Konzerte.
Die Ärzte in „Punk ist…“
Die Ärzte haben sich während der multiplen Krisen einmal mehr als engagierte Band erwiesen. Um die Berliner Clubs zu unterstützen und zu ihrem Erhalt beizutragen, haben sie zunächst während der Coronazeit Comiclesungen veranstaltet und 2022 eine Berlin-Tour durch kleine Clubs gemacht.
Mit ihren Texten stehen sie seit jeher für kluge und äußerst amüsante Sozialkritik, aber auch für Empowerment. Oft geht es darum, unbeirrt seinen eigenen Weg zu gehen: „Mach Dein Ding, steh’ dazu/ Heul nicht rum, wenn andere lachen“, heißt es etwa in „Punk ist …“ Und Farin Urlaub singt in seinem Solosong „Glücklich“ zum Beispiel: „Es ist egal, was du bist/ Hauptsache ist/ Es macht dich glücklich“. Beglücken dürfte die wirtschaftlich schwächeren Pop-Fans dieser Stadt ganz sicher auch diese nachahmenswerte Aktion der Ärzte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen