Deutschlands gescheiterte Strompolitik: Lähmender Zentralismus
Die Politik lässt bei der Energiewende Bürgern und Unternehmen wenig Spielraum. Die skandinavischen Länder machen da vieles besser.
D as Kohlekraftwerk Moorburg ist zum Sinnbild einer abenteuerlichen Energiepolitik geworden. Es ist eines der jüngsten und modernsten in Deutschland, soll aber im Zuge des Kohleausstiegs als eines der ersten abgeschaltet werden. Klingt bizarr, ist bizarr.
Dahinter steckt die Liebe der Bundesregierung zu Ausschreibungen; diese, zu abgekarteten Konditionen lanciert, verleihen ihr das Gefühl von Stärke und Gestaltungsmacht. Also wird nun alles Mögliche ausgeschrieben: der Neubau von Windkraft und Photovoltaik, von Biomasse und Kraft-Wärme-Kopplung. Und eben auch die Stilllegung von Kohlekraftwerken.
Wer in diesem Ausschreibungsregime bereit ist, sein Kraftwerk für die geringste Prämie aufzugeben, bekommt den Zuschlag. Das suggeriert zwar einen Markt, hat mit effizientem Klimaschutz aber nichts zu tun. Und so läuft nun manche alte Möhre weiter, die weniger effizient arbeitet als das abgeschossene Kraftwerk Moorburg.
Vernünftig ist anders. Man hätte entweder für Kraftwerke den CO2-Preis erhöhen müssen, Schritt für Schritt. So wären die dreckigsten Meiler zuerst aus dem Markt gegangen. Oder man hätte Ordnungsrecht in Form des Emissionsschutzgesetzes bemüht (so wie in den Achtzigern beim Schwefelausstoß). Man hätte Grenzwerte definiert, wie viel CO2 pro Kilowattstunde emittiert werden darf. Das Limit hätte man über die Jahre verschärft – und auch so hätten die ineffizientesten Kraftwerke zuerst die Segel gestrichen. Aber das Ergebnis wäre dann weniger steuerbar gewesen – und das ist der Politik zuwider.
Nach demselben Muster verweigert die Bundespolitik sich an vielen Stellen konsistenten Lösungen, in steter Angst vor einer Eigendynamik seitens der Wirtschaft. Ein Beispiel ist die verquere Organisation des Stromhandels. Die Politik tut so, als könne man Strom in beliebiger Menge von jedem Erzeuger zu jedem Verbraucher bringen. Ob es ausreichend Leitungen gibt, ist in dieser naiven Stromwelt ohne Belang – daher gibt es an der Strombörse nur einen Einheitspreis für ganz Deutschland.
Nun ist freilich die Physik unbestechlich, daher müssen die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) diese Fehlsteuerung korrigieren. Dieser regulatorische Eingriff heißt dann Redispatch, ist teuer und immer wieder anspruchsvoll. Dass die ÜNB trotzdem nicht über das System mosern, ist auch klar: Je mehr es aus dem Ruder läuft, umso mehr steigt der Druck, weitere Hochspannungsleitungen zu bauen. Und jede Leitung, über regulierte Netzentgelte bezahlt, bringt den ÜNB Geld. Daher gibt es außer ein paar Thinktanks nur wenige, die die einheitliche Preiszone in Frage stellen.
Andere Länder machen es klüger. Selbst das kleine Dänemark kennt zwei Gebotszonen, Norwegen hat fünf, Schweden vier. Dann werden Kraftwerke in Regionen, in denen Strom oft knapp ist, von allein attraktiver. Und wo es häufig Überschuss gibt, werden alte Kraftwerke bevorzugt abgeschaltet. Doch die deutsche Politik fürchtet solche Marktentscheidungen. Sie hat lieber einen Einheitspreis, um dann – wie derzeit bei den Braunkohlekraftwerken – selbst die Abschalt-Reihenfolge definieren zu können.
Der Drang Berlins, bis ins Detail zu steuern, durchzieht heute die gesamte Stromwirtschaft. Zum Beispiel auch beim Mieterstrom. Wie es einfach geht, beweist die Solarwärme: Vermieter können diese auf dem Dach gewinnen und unkompliziert an Mieter abgeben. Mit Solarstrom ginge das technisch ebenso. Aber hier schuf man komplizierte Regeln – allein um Solarstromerzeuger an kurzer Leine zu halten.
Einfache Lösungen wären möglich
Die Abneigung der Politik gegenüber schlanken und zugleich energiewendegerechten Lösungen offenbarte sich jüngst auch im Gezerre um Ü20-Photovoltaikanlagen; das sind solche, die nach 20 Jahren aus dem Fördergesetz EEG fallen. Erst nach peinlich langem Ringen ließ man sich für Kleinanlagen auf die naheliegende Lösung ein: Der Erzeuger kann den Strom vom Dach selbst nutzen und Überschuss zum Marktwert von wenigen Cent ins Netz speisen. Damit können jetzt immerhin einige Altanlagen auch ohne Förderung fortbestehen.
Oft genug kommen die einfachen Lösungen jedoch nicht zum Zuge. Das Bestreben der Politik, die Energiewende zentralistisch und in ihrer ganzen Komplexität zu steuern, ist zum größten Hemmnis dieses gesellschaftlichen Großprojektes geworden.
Statt sich auf die Definition von Rahmenbedingungen – praxisgerecht und dem Klimaschutz verpflichtet – zu beschränken, erstellt man lieber sozialistisch anmutende Fünfjahrespläne – wenn nicht gar solche für 30 Jahre. Es beschämt, wie wenig man auf Marktmechanismen vertraut.
Dass sich darüber nur wenige beschweren, ist zugleich plausibel. Politiker können sich angesichts einer Flut von Regelungen wichtig fühlen. Und die Energiewirtschaft – konventionell wie erneuerbar – hat gegen die kleinteilige politische Steuerung auch nichts Grundsätzliches einzuwenden, sichert diese doch den unterschiedlichsten Lobbygruppen maximalen Einfluss.
Die Kunst der Kungelrunde
Partikularinteressen lassen sich nämlich nirgends besser durchsetzen als in einem durchregulierten Energiewende-Regime. Wem es gelingt, in den politischen Kungelrunden einen ihm genehmen Paragrafen ins EEG zu schleusen, der hat das große Los gezogen. Im Sinn der Energiewende ist das nicht, schafft aber viele Profiteure.
Will man Klimaschutz bestmöglich voranbringen, sollte die Politik puristisch agieren. Sie sollte im Wesentlichen einen angemessenen Preis für CO2 verordnen, denn diese Emissionen will sie ja senken. Marktwirtschaftlich ist das vertretbar, nennt sich Internalisierung externer Kosten. Oder auch Verursacherprinzip. Ansonsten sollte sie auf opulente Gesetze mit vielen Detailaspekten verzichten – und so den Bürgern und Unternehmen einfach mal die Chance lassen, sich im Sinne der Energiewende zu entfalten.
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