Deutschland sucht Position zur Ukraine: Zwei mögliche Sondervermögen sollen es richten
SPD und Union reagieren entrüstet auf die Vorgänge im Oval Office. Für Investitionen kursiert eine neue Idee.

Eine so enge Abstimmung vor der Staffelübergabe hatte das Kanzleramt bislang ausgeschlossen. Noch am Freitagmittag hatte Regierungssprecher Steffen Hebestreit keine Notwendigkeit dafür gesehen, Merz stärker in die aktuelle Regierungsarbeit einzubinden. Zum Ukrainegipfel in London am Sonntag reiste Scholz alleine.
Inhaltlich scheinen der Noch- und der mutmaßlich künftige Kanzler die Lage ähnlich zu beurteilen. Scholz machte in einer knappen Stellungnahme am Freitagabend deutlich, dass es aus seiner Sicht eine dauerhafte Beilegung des Konflikts nur mit Beteiligung der Ukraine geben könne. „Niemand will Frieden mehr als die Bürgerinnen und Bürger der Ukraine. Deswegen suchen wir gemeinsam den Weg zu einem dauerhaften und gerechten Frieden.“
Auf Deutschland und auf Europa könne sich die Ukraine verlassen, so Scholz. Auch Merz bekundete seine Solidarität: „Lieber Wolodymyr Selenskyj, wir stehen der Ukraine in guten wie in schwierigen Zeiten zur Seite. Wir dürfen in diesem schrecklichen Krieg niemals Angreifer und Opfer verwechseln.“
Ausnahme von der Schuldenbremse?
Unklar ist bislang, wie Deutschland seine Zusagen für weitere militärische Unterstützung der Ukraine finanzieren möchte. Die scheidende Bundesregierung hat zuletzt nochmal die Möglichkeit ins Spiel gebracht, eine „Notlage“ zu erklären und somit Kredite über eine Ausnahme von der Schuldenbremse aufzunehmen – diese Variante war zuletzt bekanntlich am Widerstand der FDP gescheitert und hatte das Aus der Ampel-Regierung eingeläutet.
Am Samstag appellierte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) angesichts der „neuen Zeit der Ruchlosigkeit an alle im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien“, jetzt die seit Herbst blockierten drei Milliarden Euro Hilfsgelder für die Ukraine freizugeben. Baerbock forderte zudem eine „grundsätzliche Reform der Schuldenbremse“, um künftig auch hybriden Angriffen begegnen zu können. Selbst die Linkspartei kündigte am Sonntag als Reaktion auf den Eklat im Oval Office an, im Bundestag für eine Aufhebung der Schuldenbremse zu stimmen – allerdings mit der Einschränkung, dadurch nur „finanzielle zivile Hilfen“ für die Ukraine ermöglichen zu wollen.
Union und SPD verhandeln in den seit Freitag laufenden Sondierungsgesprächen zwar auch über eine Reform der Schuldenbremse. Für die sicherheitspolitischen Herausforderungen der neuen Weltlage planen sie offenbar eine kurzfristigere Lösung: Wie die Nachrichtenagentur Reuters am Sonntag meldete, erwägen CDU, CSU und SPD zwei milliardenschwere Sondervermögen, um damit Verteidigungsausgaben und Investitionen in die Infrastruktur zu finanzieren. Weil dafür jedoch eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag nötig ist – und AfD und Linkspartei im neuen Bundestag über eine Sperrminorität verfügen – überlegen die Sondierer:innen, die Sondervermögen noch im März mit dem alten Bundestag zu verabschieden.
Ob dies juristisch sauber ist, ist allerdings umstritten. Die Linkspartei droht in dem Fall mit Verfassungsklage, auch die FDP äußerte sich zurückhaltend. Im taz-Interiew sagt Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), diese Variante sei „demokratietheoretisch“ bedenklich. Ob Union und SPD bei ihrem Plan bleiben, steht aber noch nicht fest. Auf Fachebene würden Alternativen durchgespielt. Eines steht aber bereits fest. Aufgrund der aktuellen Weltlage sondieren Union und SPD trotz Karneval ab Montag weiter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Eklat im Oval Office
Europa, wohin?
Letzte Generation orientiert sich um
„Die Straßenblockaden hatten eine strategische Funktion“
Nach der Bundestagswahl
Braucht Deutschland Robert Habeck nicht?
Linkspartei so gut wie nie in Hamburg
Plötzlich zweistellig und eine ernsthafte Konkurrenz
Essay für eine neue europäische Politik
Jetzt Europa!
Ostdeutschland wählt rechtsradikal
Was, wenn alles nicht mehr hilft?