Deutsches Fernsehen: Schadenfreude ist für Boom-Zeiten
Unterhaltungs-TV in Deutschland ist entweder „retro“ oder aus dem Ausland kopiert. Die Branche lechzt nach Innovation und neuen Talenten.
„Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“, „Germany’s Next Topmodel“, „Der Bachelor“ oder „Let’s Dance“ – diese und eine Handvoll anderer Unterhaltungsformate sind seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, die Krönung deutscher Fernsehunterhaltung. Und sie stammen alle aus dem Ausland. Damit nicht genug, konnte sich in den letzten Jahren zusätzlich noch ein „Retro-Trend“ etablieren, mit einstmals erfolgreichen Sendungen, die noch mal aus der Versenkung geholt wurden, etwa „Die 100.000 Mark Show“, „TV total“ und „Der Preis ist heiß“.
Fragt sich: Fällt den TV-Macher*innen eigentlich nicht mal was Neues ein? Entstehen endlich einmal wirklich gute neue Ideen, müssen diese dann auch über Jahre als Beleg für die Qualität deutscher TV-Unterhaltung herhalten, so wie die Shows von Joko und Klaas oder von Jan Böhmermann, die bei den einschlägigen Fernsehpreisen regelmäßig abräumen.
René Jamm, Geschäftsführer von Warner Bros. International TV Production Germany, ist sich sicher: „Die klassische non-fiktionale Unterhaltung holen sich viele Menschen sowieso nicht mehr aus dem TV – sondern eher aus den sozialen Netzwerken.“ Dort entwickelten sich auch Comedians, die gar nicht mehr ins Fernsehen wollten. Jamms Firma produziert unter anderem den ZDF-Quotenerfolg „Bares für Rares“ sowie „Der Bachelor“. Er sagt: „Die großen Sender versuchen letztlich, die ältere, weibliche Zielgruppe anzusprechen, das junge spitze Publikum ist da nicht mehr erreichbar.“ Für die öffentlich-rechtlichen Sender ist das ein Problem, da sie sich mit einer im Schnitt über 60-jährigen Zuschauerschaft dringend verjüngen wollen und müssen.
„Für die nächsten Jahre wollen wir die Zielgruppe der 25- bis 35-Jährigen in den Fokus nehmen“, sagte Isa Ostertag vom ZDF vor Kurzem auf einer Comedy-Fachtagung und gestand damit ein gewisses Versäumnis ein. „TV-Marken wie ‚heute show‘, ‚Studio Schmitt‘, ‚Die Anstalt‘ oder ‚ZDF Magazin Royal‘ haben wir seit 2015 bereits auch auf allen Plattformen ausgebaut.“ Sendungen wie „ZDF Magazin Royale“ oder „heute show“ erreichen auf Youtube über 1,3 Millionen Aufrufe.
Das entscheidende Genre
Für die ZDF-Mediathek und Youtube werden aber nicht nur eigene TV-Inhalte nach dort übertragen, sondern eigene Formate entwickelt, etwa „Bosetti will reden!“ für die ZDF-Mediathek, die Comedienne Parshad für Funk, ebenso „Aurel“. „Mittelpunkt unserer Verjüngungsstrategie ist die ZDF-Mediathek“, sagte Ostertag, „das Meiste senden wir dort, aber auch auf ZDFneo.“
Empfohlener externer Inhalt
Überhaupt ist Comedy das entscheidende Genre, wenn man das junge Publikum erreichen möchte, auch für die Streamer. Das bekräftigt der Leiter Unterhaltung Deutsche Originals bei Amazon Studios Volker Neuenhoff. Zu seinen Produktionen zählt unter anderem die aktuelle Erfolgs-Show „LOL – Last One Laughing“: „LOL war unser erster großer Schritt. Es steht für das, was wir strategisch planen. Es geht um Inhalte, die man so nicht findet, und darum, ‚home of talent‘ zu sein.“ Aber selbst „LOL“ ist eine Erfindung der japanischen Amazon-Kollegen, auch wenn die deutsche Version jetzt für den International Emmy nominiert war. Talente zu gewinnen und zu binden, ist für Prime ebenfalls eines der wichtigsten Ziele, und so freut sich Neuenhoff über die Verpflichtung von Teddy Teclebrhan, „einem der vielseitigsten deutschen Entertainer.“
Retro-Formate würden bei den Streaming-Anbietern jedenfalls nicht funktionieren. Innovation sind für sie lebensnotwendig, denn was im Free TV zu sehen ist, wird das zahlende Publikum nicht interessieren. Dass im Fernsehen wenig neue Unterhaltungsideen auftauchen, ist vor allem die Folge eines immer härteren Wettbewerbs. So sieht es zum Beispiel der israelische, in der Branche renommierte Entertainmentproduzent Avi Armoza: „Die Märkte konsolidieren sich, während die Konzentration weniger großer internationaler Mediengruppen voranschreitet. Das reduziere Wettbewerb sowie Innovation. „Also bleibt man auch bei dem, was man hat, und was funktioniert.“ Langfristig kann solch eine Strategie aber nicht funktionieren. Alle „großen“ Shows haben über die Jahre deutlich an Zuschauer*innen verloren. Damit ist auch klar, dass die aktuelle Retro-Welle nur auf einem ersten Nostalgie-Effekt basiert und sicher kein Langläufer wird.
„Letztlich geht es immer darum, Geschichten zu erzählen, jedes Format ist eine Story, wir alle müssen essen, trinken, daten, heiraten, singen, tanzen – das sind die Schlüsselelemente, auch für die Zukunft“, beschreibt Armoza den Kern seines Business. Die Herausforderung dabei: immer neue Wege zu finden, um diese Geschichten neu zu erzählen. „Das kann auch über neue Technologien geschehen, die uns die Möglichkeit neuer Erzählformen geben.“ Sein Unternehmen beispielsweise hat in diesem Jahr „Family Piggy Bank“ auf den Markt gebracht. Die Gameshow findet in einem CGI-Set statt.
Mutiger sein
Dabei sind Bedarf sowie Nachfrage in den aktuellen Krisenzeiten größer denn je, denn die Menschen brauchen Zerstreuung. Das bestätigt Jens Richter, Geschäftsführer von einem der weltgrößten Formatehändler, Fremantle International (Pop Idol, GZSZ): „Schadenfreude-Formate sind in diesen Phasen allerdings eher out, die sind mehr in Boom-Zeiten gefragt.“
René Jamm jedenfalls ist überzeugt, dass auch in Deutschland viel mehr Innovatives entstehen könnte, wenn Produzent*innen sowie Sender mutiger wären und mehr Durchhaltevermögen beweisen würden: „Wir müssen bei Comedy endlich wieder aus der Deckung rauskommen, was die Political Correctness angeht, auch aus der Diskussion um Diversität. Ich wünsche mir überhaupt mehr anarchistische Sketchcomedy und gesellschaftlich relevantere Programme.“ Und das wünschen wir uns mit ihm.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann