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Deutsche WirtschaftFrühlingsgefühle für das Kapital

Simon Poelchau
Kommentar von Simon Poelchau

Der DAX hat erstmals die Marke von 18.000 Punkten geknackt. Das bringt Politiker in Erklärungsnot, die Steuerentlastungen für Unternehmen fordern.

Läuft beim DAX Foto: Arne Dedert/dpa

E ndlich. Es wird Frühling. Die Sonne strahlt, das erste Grün treibt aus, die Jacken werden dünner. Diese Woche soll mancherorts noch die 20-Grad-Marke geknackt werden. Doch nicht nur die Temperaturen steigen. Auch beim Kapital machen sich Frühlingsgefühle breit.

Der Deutsche Aktienindex, kurz DAX, in dem die 40 größten deutschen Aktiengesellschaften gelistet sind, habe „beflügelt von Zinsfantasien am Mittwoch erstmals die psychologisch wichtige Marke von 18.000 Punkten übersprungen“, schreibt die Nachrichtenagentur Reuters. Yeah! Da blühen Investorenherzen auf. Wer sein Kapital in Aktien von Siemens, SAP, Mercedes, Allianz oder Airbus gepackt hat, wird auch diesen Sommer genügend passives Einkommen haben, damit die Spritztour im Alfa an die Amalfiküste samt Aperol-Sonnenuntergang gesichert ist.

Aber, hey, war da nicht noch etwas? Hieß es nicht, dass es der deutschen Wirtschaft gar nicht gut gehe? Vor vier Wochen zitierten die Wirtschaftsressorts der Nation noch die neue Prognose der Industriestaatenorganisation OECD, die Deutschland für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum von nur noch 0,3 Prozent prognostiziert. Das ist der zweitschlechteste Wert in diesem Club gleich hinter Argentinien. Dabei ist die Wirtschaftsleistung bereits im vergangenen Jahr gesunken.

Warnungen vor einer angeblich drohenden Deindustrialisierung machten in den vergangenen Wochen und Monaten die Runde. Deutsche Firmen seien international nicht mehr wettbewerbsfähig und müssten entlastet werden, war der Tenor.

Neue Agenda 2010

Zuletzt waren Steuersenkungen für die Unternehmen im Gespräch. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) schlug ein Sondervermögen vor, um dem deutschen Kapital unter die Arme zu greifen. Sein Kollege vom Bundesfinanzministerium, FDP-Chef Christian Lindner, findet neue Schulden zwar nicht so cool, brachte dafür aber die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags ins Spiel.

Noch einen drauf setzte CDU-Chef Friedrich Merz. „Unserem Land drohen Wohlstandsverluste in einem bisher nicht gekannten Ausmaß“, schrieb er aus der Oppositionsbank heraus dem Bundeskanzler einen 12-Punkte-Plan zur Rettung der deutschen Wirtschaft. Bei Steuergeschenken für die Wirtschaft will Merz es jedoch nicht belassen. In seinem Schreiben versuchte er, dem Kanzler eine neue Agenda 2010 schmackhaft zu machen. So sollen nach seinem Willen die Sozialabgaben auf 40 Prozent gedeckelt werden und Bürgergeldbeziehenden künftig härtere Strafen drohen.

Vielleicht dachte Merz ja, dass die Zeit reif sei für solche Forderungen. Schließlich wurde in den vergangenen Wochen oft genug von Deutschland als „kranker Mann Europas“ gesprochen und geschrieben – eine Losung, mit der Anfang des Jahrtausends die Agenda 2010 ideologisch vorbereitet wurde.

Nur zu dumm, dass der DAX jetzt zu neuen Höhenflügen aufsteigt. Wie passt das zusammen mit dem Jammern über die angeblich so prekäre Lage der deutschen Unternehmen?

Inflation und Konjunkturflaute

Schließlich spiegeln die Aktienkurse das Vertrauen der An­le­ge­r*in­nen in die Zukunft der Unternehmen wider. Und die Aussichten können nicht sonderlich schlecht sein, wenn der DAX gerade einen Rekord bricht. Im Gegenteil. Es läuft offenbar gerade besser als gemeinhin angenommen. Autobauer VW zum Beispiel konnte im vergangenen Jahr seinen Gewinn steigern – von 15,8 Milliarden Euro im Vorjahr auf 17,9 Milliarden, wie der DAX-Konzern am Mittwoch mitteilte.

Die Ak­tio­nä­r*in­nen wird das freuen. Dafür geraten Steuersenkungsfans in Erklärungsnot darüber, ob es tatsächlich an der Zeit für Sozialabbau und Entlastungen mit der Gießkanne ist. Auch wenn es dem einen oder anderen kleineren oder größeren Unternehmen schlecht gehen mag, trifft es offenbar nicht auf alle zu.

Gleichzeitig liegt die derzeitige Konjunkturflaute vielleicht auch eher daran, dass die Menschen im Land weiterhin die durch die Inflation gestiegenen Preise spüren. Womöglich brauchen sie ja eher etwas Unterstützung als das Kapital. Damit sie zum Beispiel ihren Kindern mal ein Eis kaufen können. Das schmeckt bei steigenden Temperaturen nicht nur besonders gut. Es soll angeblich auch die Konjunktur ankurbeln.

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Simon Poelchau
Redakteur
ist für Ökonomie im taz-Ressort Wirtschaft und Umwelt zuständig.
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14 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ein Blick auf den MDax als Abbild des deutschen Mittelstands offenbart weniger Optimismus.

  • 🙄 Der Artikel spricht es doch selbst an: "Aktienkurse (spiegeln) das Vertrauen der An­le­ge­r*in­nen in die Zukunft der Unternehmen wider".



    Richtig. Ob nun aber diese Unternehmen zukünftig weiterhin in Deutschland produzieren und damit hier Menschen in Lohn und Brot bringen oder mehr und mehr Arbeitsschritte ins Ausland transferieren, ist sowohl den Unternehmen als auch den Aktionären herzlich egal 🤷‍♂️



    Und somit "geraten Steuersenkungsfans" eben gerade nicht "in Erklärungsnot" - denn wenn 'wir alle' (in Form von Arbeit und Steuereinnahmen) und eben nicht nur 'die Aktionäre' (in Form von Gewinnen und Dividende) weiterhin von den hier ansässigen Unternehmen profitieren wollen, müssen wir Ihnen attraktive Standortvorteile bieten - sonst wandern diese ab, was natürlich in der Konsequenz für das Gros der Bevölkerung Wohlstandsverluste nach sich ziehen würde - Jobverlust für den Einzelnen, Steuerausfälle für alle = die Kommunen -> weniger Geld für Soziales, Bildung, Pflege, Integration, etc 🤷‍♂️



    Übrigens profitieren wir alle nicht nur durch Lohn und Unternehmenssteuern von Betrieben wenn sie hier vor Ort statt irgendwo auf der Welt produzieren, sie sichern überdies so auch direkt unsere Grundversorgung (Lebensmitteln & Güter wenn mal wieder ein Schiff im Suez quer steht oder Corona ist) und machen uns robuster gegenüber internationalen Spannungen - die Energieabhängigkeit Deutschlands von Russland sollte uns allen eigentlich finanziell schmerzlich genug im Gedächtnis geblieben sein...



    Schlüssel- und Zukunftsindustrien sollten wir deshalb nicht nur 'der Wirtschaft' zuliebe, sondern uns allen zuliebe ganz besonders verstärkt im Land halten wollen - Stichwort Chipfabriken, Batterietechnik, E-Mobilität, etc - sonst können wir wieder auf Fax 📠 und Morsezeichen umsteigen wenn beispielsweise China in der Taiwanfrage ernst macht 🫥

  • Wenn Herr Poelchau glaubt, das DAX habe etwas mit der Deutschen Wirtschafts zu tun, nun ja.

    Dann bin ich ja mal gespannt, welce Erklärung der Autor für den aktuellen Bitcoin-Kurs hat.

  • Der DAX hat erstmals die Marke von 18.000 Punkten geknackt. Das bringt Politiker in Erklärungsnot, die Steuerentlastungen für Unternehmen fordern.



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    Vielleicht spiegelt der DAX ja auch nur die "wahre" Inflationsrate?



    Nicht nur die "Entwicklungen, der Formenwert & Umsatzerwartungen" der Firmen könnten da eingepreist sein, auch die "Inflation" schlägt sich in den Kursen nieder?



    Denn Aktien spiegeln ja beides wieder & nicht nur den "Warenkorb" nach dem die Inflation gerechnet wird?

  • Diese gefühlte Dissonanz erledigt sich von selbst, wenn DAX-Konzerne nicht nur Arbeitsplätze ins Ausland verlagern, sondern auch Konzernsitz und Börsenplatz.

  • DAX Unternehmen machen viel Gewinn im Ausland, haben dort Fabriken und Niederlassungen. Wenn BASF aufgrund hoher Energiekosten die Produktion verlagert, mag sich der Gewinn erhöhen. Der Mitarbeiter steht auf der Straße. Der Mittelstand kann nicht ins Ausland. Mir erscheint es daher etwas einfach: Dax-Rekord = gute Wirtschaftslage v

    • @Strolch:

      Schon peinlich, dass die Taz den Börsenkurs internationaler Unternehmen nicht von der Wirtschaftslage in einem Land unterscheiden kann. Die Dax-Unternehmen haben die letzten Jahre immer weniger in Deutschland und immer mehr in anderen Ländern investiert. Das honoriert der Börsenkurs.

    • @Strolch:

      Muss es immer gleich um Standortverlegungen gehen? Das sie im Ausland Geld erwirtschaften ist doch gut und schön. Anstatt somit also die Lohnkosten in die Höhe treiben (was bei mehr Gehalt trotzdem nur marginal wäre) wie wärs denn mit Steuern auf Körperschaft und Gewinne viel besser. Und wenn man dass dann noch einbettet in eine Zugehörigkeit ähnlich wie die Amerikaner es haben mit der Staatenzugehörigkeit...dann könnten die Unternehmen dreimal ihre Unternehmen nach außen verschiffen, gezahlt wird trotzdem.

      Aber sobald es nur heißt starke Unternehmen oder auch starke Privatpersonen sollen ihrer Verantwortung nachkommen, rufen jene mit Standortverlagerung und Co. *gähn*

  • Die Firmen im DAX sind die ganz Großen, die häufig 2/3 oder mehr ihrer Betriebsstätten im Ausland haben (und auch dort Steuern auf den Betriebsablauf zahlen, aber die Gewinne importieren). Für die Beurteilung des allgemeine Wirtschaftsklimas in Deutschland ist es ein schwerer Fehler, einfach nur auf diesen Index zu schauen und die Lage kleiner und mittlerer Firmen zu ignorieren. Da kann man fundiertere Kommentare schreiben.

  • Ich kenne mich da nicht so gut aus, aber kann es sein, dass es den Unternehmen immer dann schlecht geht, wenn sie noch keine genaue Vorstellung haben, wohin sie ihr, von der Belegschaft erwirtschaftetes (mehr) an Kapital unterbringen/wegbringen/verstecken sollen? Dauert bestimmt nicht lange, dann die erlösende Nachricht, dass es den Unternehmen endlich wieder besser, gut geht. Dann wird weiter so gewirtschaftet. :)

  • DAX ist nicht gleich Kleine und Mittelständische Unternehmen um die es bei den Entlastungen geht.

  • Es wäre durchaus hilfreich, die Unternehmenslandschaft etwas differenzierter



    darzustellen, die international agierenden DAX-Unternehmen sind mit den typischen



    Familienunternehmen nicht vergleichbar. Im übrigen fließen 50 Mrd. Dividenden



    ins Ausland, nur 20 Mrd. gehen an Inländer, dh. das Bild der Spritztour an die



    Amalphiküste ist ein plattes Klischee.

  • DAX-Unternehmen sind nicht repräsentativ für die ganze deutsche Wirtschaft.

    Das sind multinationale Unternehmen, die irgendwann mal in Deutschland gegründet wurden und teils nur noch einen Teil ihrer Beschäftigten noch in Deutschland haben.

    Aus dem DAX-Kurs darauf zu schließen, wie es kleinen/mittleren Unternehmen geht, ist abenteuerlich.

  • Zustimmung: Zusammenhänge gut dargestellt!