Deutsche Welle in der Türkei gesperrt: Pressefreiheit ohne Lizenz
Ein türkisches Gericht hat die Websites der Deutschen Welle und von Voice of America gesperrt. Die DW möchte weiter mittels sozialer Medien informieren.

Die türkische Medienaufsichtsbehörde RTÜK hat Ernst gemacht. Seit vergangenen Donnerstagabend sind die Websites der Deutschen Welle (DW) in der Türkei in allen 32 Sendesprachen nicht mehr erreichbar, ebenso das türkische Angebot der vom US-Kongress finanzierten Voice of America (VOA). Ein Gericht hat sie auf Antrag der Behörde gesperrt.
Am Montag sagte DW-Intendant Peter Limbourg dem Deutschlandfunk, dass der Sender auch nach der Sperrung Menschen in der Türkei informieren werde, über soziale Medien, wo die DW weiterhin präsent ist. Außerdem bewirbt der Sender eine Umgehungssoftware, mit der die Websites in der Türkei weiterhin erreichbar sind. Auf seiner deutschen Website erklärt DW ausführlich, wie Leser:innen die Sperrung über den Tor-Browser, VPN oder die DW-App umgehen können.
Im Februar hatte die türkische Medienaufsichtsbehörde DW und VOA dazu aufgerufen, entsprechend einem Gesetz aus dem Jahr 2019 Lizenzen zu beantragen und damit gedroht, deren Angebote ansonsten zu sperren. Die DW ist dem nicht nachgekommen. Ihr Vorgehen begründete sie in einer Erklärung von vergangener Woche damit, dass „eine Lizenzierung die Zensur von redaktionellen Inhalten durch die türkische Regierung ermöglicht hätte“.
Intendant Limbourg erklärte, dass der Sender dem Vorsitzenden der Medienkontrollbehörde diesen Grund schriftlich und im persönlichen Gespräch dargelegt habe. „So sind in der Türkei lizenzierte Medien beispielsweise zur Löschung von Online-Inhalten verpflichtet, die nach Auslegung von RTÜK als unangemessen angesehen werden. Das ist für einen unabhängigen Medienanbieter schlicht inakzeptabel“, sagte Limbourg. Gegen die Sperrung werde man deshalb den Rechtsweg nutzen. Yolanda López, geschäftsführende Direktorin von VOA, bezeichnete die Entscheidung der Behörde als „kaum verhüllten Versuch, unliebsame Berichterstattung zu zensieren“. Das US-Außenministerium kritisierte das Vorgehen als zunehmende staatliche Kontrolle über die Pressefreiheit in der Türkei.
Scholz kündigt zunächst Unterstützung an
DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall rief die Bundesregierung dazu auf, gegenüber den türkischen Regierungsbehörden darauf zu drängen, die Sperrung aufzuheben: „Die Deutsche Welle ist immerhin Deutschlands Auslandssender. Damit ist das Thema in Berlin angesiedelt.“ Auch die Organisation Reporter ohne Grenzen kritisierte die Sperrung: „Die Deutsche Welle füllt neben den wenigen verbliebenen unabhängigen Medien eine Informationslücke in der Türkei, nachdem die einst pluralistische Medienlandschaft in der Türkei mittlerweile zu fast 90 Prozent unter Kontrolle der Regierung oder regierungsnaher Geschäftsleute steht“, sagte Geschäftsführer Christian Mihr.
„Wir unterstützen die Deutsche Welle“, antwortete Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Pressekonferenz im Rahmen seines Antrittsbesuchs in der Türkei auf eine Frage zur DW. „Ich habe das auch im Gespräch mit dem Präsidenten erwähnt, dass sie eine freie, ungehinderte Möglichkeit der Berichterstattung hat, das ist unser Ziel, das zu gewährleisten.“
Am Freitag, nachdem die Deutsche Welle gesperrt worden war, klang Regierungssprecher Steffen Hebestreit in der Regierungspressekonferenz zurückhaltender. Die Bundesregierung habe die Sperrung „mit Bedauern zur Kenntnis genommen“, ihre Sorge um die Pressefreiheit in der Türkei bestehe fort. Sie stehe dazu „regelmäßig im kritischen Austausch“ mit den türkischen Gesprächspartnern und setze sich „auch weiterhin für einen unabhängigen, faktenbasierten Journalismus in der Türkei“ ein.
Auf die Nachfrage, ob die Bundesregierung etwas unternehmen könne, verwies Hebestreit auf den Rechtsweg, den die DW beschreiten wolle. „Das gilt es abzuwarten.“ Auch Medienstaatsministerin Claudia Roth kritisierte das Vorgehen der türkischen Behörde kurz nach der Sperrung: „Das ist eine schlechte Nachricht für die ohnehin schon eingeschränkte Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei.“ Eine Nachfrage der taz nach konkreten Maßnahmen, um die Sperrung wieder rückgängig zu machen, ließ die Staatsministerin für Kultur und Medien bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.
Nach eigenen Angaben stößt das Angebot der DW in der Türkei auf steigendes Interesse. Über die Website sowie über die Social-Media-Kanäle auf Youtube, Twitter, Facebook und Instagram habe das Programm monatlich rund 35 Millionen Zugriffe im ersten Halbjahr 2022 erreicht, sieben Mal so viele wie 2018 im gleichen Zeitraum.
Die Sperrung von DW und VOA erfolgt ein Jahr vor den geplanten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei, außerdem in einer Zeit hoher Inflationsraten: Waren und Dienstleistungen kosteten im Juni 78,62 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, ist den am Montag veröffentlichten Daten des Statistikamts zu entnehmen. Das ist die höchste Inflationsrate seit September 1998.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Gerichtsentscheidung zu Birkenstock
Streit um die Sandale