Deutsche Renten für NS-Kollaborateure: Belgien fordert Stopp von Zahlungen
74 Jahre nach Kriegsende erhalten 18 belgische NS-Kollaborateure eine Rente aus Deutschland. Das belgische Parlament fordert den Stopp.
Anspruch auf deutsche Opferrenten hätten in Belgien sowohl deutschsprachige Ostbelgier, die zwangseingezogen wurden, als auch Flamen und Wallonen, die sich freiwillig den deutschen Streitkräften anschlossen, sagte Christophe Brüll, Historiker an der Universität Luxemburg, der Nachrichtenagentur AFP. Für den Rentenbezug muss eine Kriegsverletzung nachgewiesen werden, verurteilte Kriegsverbrecher sind von den Bezügen ausgeschlossen.
Der Antrag im belgischen Parlament wurde von der regionalistisch-liberalen Démocrate Fédéraliste Indépendant und der sozialdemokratischen Partei PS gestellt. Darin wird von einer „völlig unannehmbaren Situation“ gesprochen. Es sei ungerecht, dass belgische Kollaborateure Renten bezögen. Dies würde der Erinnerung an den Nationalsozialismus und dem europäischen Friedensprojekt widersprechen.
„Die Namen dieser Personen sind dem deutschen Botschafter hier bekannt, werden jedoch nicht an die Bundesregierung weitergegeben“, heißt es im Beschluss weiter. Die Antragsteller vermuten deshalb, dass die Empfänger ihre Leistungen steuerfrei erhalten. „Den belgischen Behörden eine Liste über die Rentenberechtigten und die Höhe der Rentenleistungen zu übermitteln wäre auch aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich“, heißt es in einem Dokument aus dem vergangenen Jahr des wissenschaftlichen Diensts des Bundestags.
„Führererlass“ Adolf Hitlers
Das betreffende Bundesversorgungsgesetz wurde bereits im Januar 1998 auf Initiative des damaligen Grünen-Abgeordneten Volker Beck geändert, damit ausländische NS-Kollaborateure keine deutschen Renten mehr erhalten können. „Leistungen sind zu versagen, wenn der Berechtigte während der Herrschaft des Nationalsozialismus gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat“, heißt es darin. „Der Gesetzeswortlaut ist heute eigentlich in Ordnung, nur um die Anwendung kümmerte sich im Sozialministerium nie jemand aktiv“, sagte Beck am Freitag zur Bild-Zeitung (kostenpflichtiger Inhalt).
„Nach dem 1950 in Kraft getretenen BVG werden Leistungen an Kriegsopfer erbracht. Das BVG ist anzuwenden bei gesundheitlichen Schäden u.a. durch militärischen oder militärähnlichen Dienst, unmittelbare Kriegseinwirkung oder weitere dort aufgeführte Sachverhalte“, teilte ein Sprecher des Bundessozialministeriums der taz mit. Unter den aktuellen Leistungsberechtigten in Belgien würden sich keine ehemaligen Mitglieder der Waffen-SS befinden.
Im Juni 2018 fragte die Linken-Politikerin Ulla Jelpke in einer Fragestunde des Bundestags, wie die Bundesregierung auf die „Problematik von deutschen Rentenleistungen für ehemalige belgische Waffen-SS-Freiwillige und andere, in Belgien teilweise als Militärkollaborateure verurteilte Personen“ reagieren wolle. Der Bundesregierung lagen damals keine Erkenntnisse darüber vor, ob die damals noch 22 Leistungsempfänger Mitglieder der Waffen-SS waren. 2012 sollen noch über 2500 Belgier gelebt haben, die Renten aus Deutschland bezogen.
Freiwillige Angehörige der Waffen-SS, Wehrmacht und anderen NS-Kampfverbänden aus dem Ausland galten als Bedienstete des „Deutschen Reichs“ und haben dementsprechend das Recht auf Rentenzahlungen erhalten. Dies geht auf einen „Führererlass“ Adolf Hitlers zurück, der damit ausländische Freiwillige belohnen wollte, die ihm „Treue und Gehorsam“ geschworen hatten. Mitte der 1990er Jahre habe es allein in Lettland noch rund 1500 ehemalige Waffen-SS-Angehörige gegeben, die Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz bezogen, so der Historiker Martin Göllnitz gegenüber der Deutschen Welle. In Belgien wurden nach dem Zweiten Weltkrieg über 80.000 NS-Kollaborateure verurteilt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm