Deutsche Kulturinstitutionen zum Iran: Wo bleibt die Debatte?
Journalistenverbände haben sich nach Drohungen des Iran gegen deutsche Journalisten klar positioniert. Wo bleibt die Haltung der Kulturinstitutionen?
E s ist erstaunlich: In Iran findet eine der wichtigsten Revolutionen unserer Zeit statt und deutsche Kulturinstitutionen sind vergleichsweise still. Klar, es gibt Einzelaktionen. Hier mal eine obligatorische Veranstaltung, man kann ja nicht nichts machen. Dort mal ein Banner, ein Satz oder Tweet, der pflichtbewusst wirkt. Da ein offener Brief, zwar von mehr als 650 Kulturschaffenden, die Solidarität bekunden, die aber keine politischen Forderungen stellen. Die zwar schreiben, dass sie überzeugt seien, „dass auch unsere Regierungen und unsere Institutionen euch sehen und unterstützen.“ Aber stimmt das?
Denn von vereinzelten Aktionen und unverfänglichen Solidaritätsbekundungen mal abgesehen, hat man nicht das Gefühl, dass deutsche Kulturinstitutionen politisch Stellung beziehen. Hat man dort jeglichen intellektuellen und politischen Anspruch verloren? Geht es nur noch um Solidarität als performativen Akt, damit auch bloß niemand sagen kann, man stehe nicht an der Seite der Protestbewegung?
Jedenfalls wird in Anbetracht der Ereignisse in Iran und Kurdistan deutlich, dass deutsche Kulturinstitutionen keine zugänglichen Orte politischer Auseinandersetzung und Bildung für alle sind. Sie bewegen sich nach Außen auf dem Niveau von Unions-Politiker*innen, die Schilder hochhalten, auf denen „Frauen – Leben – Freiheit“ steht, „Jin Jiyan Azadî“ – ohne zu wissen, dass dies das Motto der kurdischen Freiheitsbewegung ist, die sie kriminalisieren.
Mag sein, dass es innerhalb der Institutionen Debatten darüber gibt, wie man sich positionieren sollte. Doch offenbar ist man sich seiner Verantwortung nicht bewusst oder möchte inhaltliche Debatten nicht nach außen tragen. Dabei liegt doch das Potenzial von Kulturinstitutionen gerade auch in der Einbindung ihrer Umgebung und der gesellschaftlichen Diskussion. Durch meine Arbeit und Freund*innen habe ich viele Berührungspunkte mit der geschätzten Kulturbranche, der ich nicht kritiklos gegenüberstehe.
Seit Jahren höre ich: „Wir wollten eine Person aus Iran einladen, aber sie hat kein Visum erhalten, weil Deutschland sich nicht sicher ist, dass die Person nicht hierbleibt.“ Jahr für Jahr bleiben so Besuche Kulturschaffender aus Iran aus. Kulturinstitutionen wissen das. Sie sagen aber öffentlich so gut wie nichts dazu.
Die Innenministerkonferenz tagt heute und in den nächsten Tagen. Bayerns Ressortchef Hermann hat bereits verkündet, dass alle Landesinnenminister einen bundesweiten Abschiebestopp nach Iran fordern. Gleichzeitig sind allein im Oktober mehr als 340 Asylanträge von Iraner*innen abgelehnt worden.
Es braucht Einfluss auf die Politik
Während der Deutsche Journalistenverband die lebensbedrohliche Situation für die Kolleg*innen aus Iran erkannt hat und die Einbestellung des iranischen Botschafters in Deutschland fordert, herrscht Grillenzirpen bei den Kulturinstitutionen, obwohl namhafte Kulturschaffende sich in Lebensgefahr befinden. Ähnliches gilt für die Situation in Afghanistan und China.
Der Internationale Museumsrat (ICOM) hat vor Kurzem nach fast 50 Jahren seine Definition von Museen überarbeitet. Frei übersetzt aus dem französischen Originaltext ist ein Museum demnach unter anderem ein für alle zugänglicher Ort der Bildung und Teilhabe.
Als ich neulich eine Veranstaltung im Museum am Rothenbaum in Hamburg zu Iran moderierte, nahm auch das „Woman* Life Freedom Collective Hamburg“ teil. Eine ihrer vorgetragenen Forderungen an das „solidarische Museum“ ist, dass es als Verbündeter agiert und zum Beispiel „seinen Einfluss nutzt, um Druck auf die Politik auszuüben“.
Eine Person aus dem Publikum fragte, ob das Museum Interessierten nicht einen Raum für Austausch zur Verfügung stellen könne. Das MARKK nahm die Frage auf und vermutlich dauert es noch etwas, bis eine Antwort gefunden wird.
Auch in Hamburg hat sich die Kulturstätte Kampnagel nach außen mit einem Plakat mit den Demonstant*innen in Iran solidarisch gezeigt. Aber der Ort, der sich sonst zu Recht mit tagelangen politischen Auseinandersetzungen schmückt, hat bislang noch nichts zu Iran veranstaltet.
Museen, Kinos, Theater könnten tolle, nicht-profitorientierte Orte sein, an denen hitzige Debatten geführt werden, Solidarität gelebt und politischer Druck erzeugt wird. Stattdessen wird das Publikum passiv berieselt.
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