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Deutsche Fanmärsche bei der Frauen EMAnschwellende Schlandisierung

Unsere Autorin mischt sich in Basel unter einen „Fan-Walk“ deutscher Fans. Was als „Party-Patriotismus“ startet, kippt schnell in Nationalismus.

Wie viel Patriotismus ist zu viel Patriotismus? Die Fans des deutschen Fußballnationteams der Frauen beim Fanwalk durch Basel Foto: IMAGO / Fotostand

J unge Menschen mit DFB-Trikots von Sydney Lohmann, Laura Freigang oder Toni Kroos mit vielen schwarz-rot-goldenen Fahnen. Ein queeres Paar mittleren Alters, Hand in Hand, mit einer Pride-Fahne. Auch: ein Mann, ganz in Schwarz gekleidet, der sich bei jedem „Deutschland“-Ruf fest mit der Faust auf die Brust schlägt und dann so zackig den Arm ausstreckt, dass die zur Faust geballte Hand fast schon überrascht.

Sie alle laufen in Basel vor dem Spiel Deutschlands gegen Dänemark dem DFB-Fanbus hinterher zum Stadion. Und ernten von den am Straßenrand stehenden Menschen teils amüsierte, teils genervte und argwöhnische Blicke.

Rund 17.000 Fans waren aus Deutschland für das Spiel von Deutschland gegen Dänemark angereist, Rekord für ein Auswärtsspiel der DFB-Frauen, nachdem die Zahlen bei Heimspielen in den letzten Jahren auch bereits bei mehreren Zehntausend lagen. Dementsprechend lang ist der Fanmarsch der Deutschen an diesem Tag. Die „Fan-Walks“ sind von der Uefa und den Host-Cities institutionalisiert und fester Teil im Ablauf der EM-Spieltage. Fans sollen sich dadurch laut Uefa untereinander leichter kennenlernen können.

Für die Ver­an­stal­te­r*in­nen sind sie in verschiedener Hinsicht praktisch: Erstens können sie dadurch die Menschenmasse lenken. Denn zwar müssen für die Zeit der Fanmärsche einige Straßen gesperrt werden, aber wer zum Stadion läuft, quetscht sich nicht in eine der kleinen Straßenbahnen. Zweitens lassen sich fürs Marketing viele Bilder vom „Party-Patriotismus“ machen, wobei das in Basel schon kippt, bevor die Menge losgelaufen ist.

„Sieg“-Rufe im Stadion

„Wer nicht hüpft, der ist kein Deutscher“, hallt es vor dem Start über die Fanmeile am Messeplatz, eine Abwandlung von dem, was sonst im Vereinsfußball gesungen wird, stumpf umgedichtet auf Nationalität. Was ist denn mit den Leuten, die scheinbar gar nicht hoch genug springen können, um unabhängig vom Pass als gleichwertig angesehen zu werden?

Das frage ich mich, während ich mich umschaue. Einige der am Rande stehenden Deutschland-Fans sind davon ebenfalls sichtbar irritiert, der Gesang ebbt auch relativ schnell ab, trotzdem ist er später im Stadion erneut zu hören, da kommen dann noch „Sieg!“-Rufe dazu.

Letztere gab es bei den Spielen der Frauen eine Weile lang nicht, bis sie in den letzten Jahren mit den wachsenden Publikumszahlen und der steigenden Schlandisierung erneut aufkamen – beim Qualifikationsspiel für eben diese EM im vergangenen Jahr in Polen zum Beispiel. Von Fußballfans wird die offensichtliche Assoziation mit der deutschen NS-Vergangenheit häufig beiseite gewischt, dabei würden beide Rufe perfekt zu Veranstaltungen einer gewissen Partei passen.

Das gibt ganz gewiss all denen zu denken, die sich auch als Fußballbegeisterte von Na­tio­na­lis­mus distanzieren möchten. Solche Fans pilgern immer noch zahlreich zu den Spielen, fühlen sich aber vermehrt unwohl dabei.

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16 Kommentare

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  • Das Sommermärchen war die Geburt eines neuen toxischen Nationalismus. Oder wie mein Vater meinte, "endlich kann man mal auf Deutschland stolz sein." Es war eine Art Reinwaschung Deutschlands, welche den Nationalismus der AfD erst möglich gemacht hat. Sie hat die Chance auf einen Reset der Geschichte bekommen. Und von SPD bis CDU wurde mitgeklatscht. Mitlerweile haben sogar die Jungnazis Schwarz, Rot, Gold für sich akzeptiert. Endlich können wir alle wieder unter der gleichen Fahnen jubeln!

  • In gewisser Weise passen so primitive Verhaltensweisen doch zum Fußball. Die Leute versuchen damit ja auch nur ein primitives Bedürfnis zu befriedigen, ganz so wie bei den Gladiatoren damals, nur das heute die Zuschauer meist mehr Gewalt ausgesetzt sind als die Akteure auf dem Feld. Es hat sich also alles ein wenig verschoben, aber ansonsten gibt es da immer noch Mord und Totschlag, Verstümmelungen, Brand und Stichwunden.



    Lediglich von Löwen gefressen wird man heutzutage etwas seltener, aber sonst hat sich doch nicht viel geändert.

  • In der Schweiz ist ein Fußballspiel noch immer ein „Match", ein Treffen. kein Wettkampf. Match wurde aus dem Fußball-„Mutterland" (haha, wie schön bei diesem Turnier) übernommen.



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    In dem von mir @MARTIN REES erwähnten Buch wird gut erklärt, wie im deutschen Fußballsport schon zu Kaisers's Zeiten Anleihen aus der Kriegssprache eingeführt wurden.

  • Ich war beim Fanwalk in Basel dabei und sehr von der familiären, friedlichen Stimmung angetan. Auch war ich sehr angetan, ein Fahnenmeer aus schwarz rot gold zu sehen, mit dem man sich gerne identifiziert. Ein Wettkampf zwischen Nationen auf sportlicher Ebene ist per se nationalistisch geprägt. Das abzulehnen ist grundsätzlich plausibel, aber nicht zwingend notwendig. Vor Ort habe ich in erster Linie die Begeisterung für den Sport, insbesondere die gezielte Unterstützung der Nationalmannschaft der Frauen als eher inkludierendes Element erlebt. Es gab viele positive Begegnungen und Rücksichtnahme. In einer immer weiter ins Rechtsradikale driftenden Welt tat es zugegeben richtig gut, im Stadion anschließend die Nationalhymne zu singen, die Spielerinnen zum "Sieg" anzufeuern und sich gemeinsam am Spiel zu erfreuen, ohne dass das von rechten Gruppen völkisch besetzt wurde. In diesem Sinne: Einigkeit und Recht und Abseits.

  • Ich glaube Spiele der Nationalmannschaften sind per se nationalistisch. Die Zeichen die die Redakteurin meint gefunden zu haben sind aber doch marginal.



    Ich habe selbst 25 Jahre auf der Gegengeraden gestanden und in fast jedem Spiel " Wer nicht güpftbist Offenbacher..." gesungen. Bis eine Freundin meinte " Wen interessieren Offenbacher?"



    Wenn das nationlaistisch ist, schreibt bitte über Leichtathleten, die mit Nationalfahne Ehrenrunden laufen.



    Auch Rufe wie "Sieg" klingen martialisch, ja Fussball ist auch Kampf. Mag sein,dass jemand die Ursprünge im Ruf der NSDAP sieht aber mMn ist der Ursprung viel früher zu suchen.



    Aber natürlich, alleine die Idee einer Nationalmannschaft ist nationalistisch.

    • @Björn Etzler:

      "Wenn das nationlaistisch ist, schreibt bitte über Leichtathleten, die mit Nationalfahne Ehrenrunden laufen." Oder besser noch: dt. Biathleten. Das sind meistens Sportsoldaten der BW und haben auch gleich die Knarre mit bei. Da passt dann alles.



      "Mag sein,dass jemand die Ursprünge im Ruf ("Sieg") der NSDAP sieht aber mMn ist der Ursprung viel früher zu suchen." Ich vermute, obwohl es keine Ton-Beispiele gibt, dass im römischen Triumphzug Rufe wie "Salve, Imperator!" oder "Salve, Victor!" (ggf. Victorianus) ziemlich üblich waren.

  • Diese „Sieg!“-Rufe lassen mich auch regelmäßig vor Unbehagen schaudern. Wie geschichtsvergessen kann jemand sein?

    • @Thomas Raukamp:

      Ab welcher Generation nach Tag X darf sich Ihrer Meinung nach denn ein deutscher Fußballfan wieder den Sieg seiner Fußball-Mann/Frauschaft wünschen bzw. im Fall von... sich darüber ehrlich freuen?

  • Im "Sport", insbesondere im Fußball, ist Nationalismus das Bindeglied zwischen Fans und Medien - zum Vorteil von Werbeeinnahmen und Einschaltquoten.



    In Nationalmannschaften etc. sollten nur "Sportler/innen" sein, die in den letzten 6 Monate vor dem internationalen Auftritt in ihrem Herkunfts-/Geburtslandland unter Vertrag waren/sind - die ganzen Söldner/innen und Steuerflüchtlinge gehören in keine Nationalmannschaft.



    Aber eigentlich kotzt mich der aktuell tobende Nationalismus an - egal ob im Sport oder anderswo - er ist der Nährboden für Rassismus, Kriege usw.

  • "Fans sollen sich dadurch laut Uefa untereinander leichter kennenlernen können."



    Hier in Dortmund hat die Gastronomie die Fans kennengelernt, Männer-EM 2024:



    www.wa.de/nordrhei...ttet-93180304.html



    Die Fans kannten sich offensichtlich nicht gut genug oder sie wollten sich nicht "ehrlich" und ernsthaft friedlich zur Brauchtumspflege kennenlernen.

    • @Martin Rees:

      „Brauchtumspflege..."



      „..ernten von den am Straßenrand stehenden Menschen teils amüsierte, teils genervte und argwöhnische Blicke." [....] Von Fußballfans wird die offensichtliche Assoziation mit der deutschen NS-Vergangenheit häufig beiseite gewischt, dabei würden beide Rufe perfekt zu Veranstaltungen einer gewissen Partei passen."



      --



      Assoziationen..



      „Am 2. Mai 1937 war es bei einem Freundschaftsspiel der deutschen Auswahl in Zürich zu einem Eklat gekommen. Am Tag des Spiels marschierten 10.000 deutsche Fans mit Hakenkreuzfahnen durch die Stadt. Die Deutschen gewannen mit 1:0, aber die Geheime Staatspolizei von Stuttgart beklagte in ihrem Bericht nach Berlin, dass die Deutschen ‚nicht als Gäste, sondern als Fremde fast allgemein frostig‘ behandelt worden wären."



      (Aus „POLITIK IM SPIEL“ – ISBN 978-3-89684-725-0 von Dietrich Schulze-Marmeling und Bernd-M. Beyer)

      • @starsheep:

        Wenn mein Vater über das Endspiel in Bern berichtete, das er und sein Bruder 1954 live sahen, war "die Sache mit der Hymne" kein Thema für die Kategorie Ruhmesblatt, im Gegenteil, was die meisten deutschen Zuschauer:innen wohl auch wussten oder ahnten:



        "1954 singen deutsche Zuschauer in Bern die erste Strophe des Deutschlandlieds, das schreckt ab. Der DFB engagiert 50 Jahre später Popstar Sarah Connor, um die dritte Strophe jugendgerecht und eingängig zu machen. Ein Versuch..."



        Bei deutschlandfunk.de

  • Party-Patriotismus kippt in Nationalismus?

    Was soll das sein?

    Das eine ist nur das feiernde Gesicht des anderen.

    Der gesamte Zuschauersport lebt von fiktiver Gruppenidenrität und impliziert eine Überhöhung der " eigenen" Mannschaft oder des " eigenen " Sportlers.

    Worum es geht, ist nun mal der Sieg.

    Das ist schon bei Vereinsspielen von Kindern so.

    Da muss man mit Analogien leben können, wenn man Zuschauersport will.

    Gerade Fußball ist die Fortsetzung von Krieg mit nichtmilitärischen Mitteln.

    Hat die Autorin wirklich geglaubt, bei Frauenfußball wäre was anders?

    " Wer nicht hüpft, der ist kein Deutscher!", birkt aber viel Potential.

    Sollte man mal bei der nächsten AfD-Gegendemo ausprobieren.

    Nach dem Spruch hüpft die Antifa.

    Das dann noch in abgewandelter Formen.

    "Wer nicht ..., ist kein Deutscher. "

    Die ganzen AfDler müssen dann hüpfen etc. und verlieren die Hoheit über ihr Verhalten und den Begriff "Deutsche".

    Besser kann man ihre Lächerlichkeit kaum vorführen.

    Zudem gewinnt man wieder Deutungshoheit über den Begriff "Deutscher".

  • Die Schweiz kennt das doch seit der WM 1954, da wurde ja auch der falsche Strophe der Nationalhymne gesungen und der Nationalismus abgefeiert.