Deutsche Bahn, VW, Merz: Brandmauer solide durchgeschmort

Das Kindeswohl ist gefährdet, die Zugstrecken bleiben erst mal analog, VW auch. Und Merz macht AfD und BSW tapsige Textvorschläge.

Mann gestikuliert am Rednerpult

In Friedrich Merz' Kopf erscheint die Brandmauer schon solide durchgeschmort Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Küppersbusch: Viele halten Olaf Scholz für „führungsschwach“.

taz: Und was wird besser in dieser?

Küppersbusch: Führ den Sauhaufen mal.

taz: Deutschlands Jugendämter registrieren immer mehr Fälle von Kindeswohlgefährdung. Ist die deutsche Gesellschaft kinderfeindlicher geworden?

Küppersbusch: Bundesweit wurde die Prügelstrafe 1973 verboten, in Bayern erst 1983 abgeschafft, da steuerte Markus Söder aufs Abi zu. Eine Ohrfeige hat noch keinem usw., jedenfalls ist es ein gehöriger Weg von dort zum heutigen Verständnis von Kindeswohl. Entsprechend hoch sind die Dunkelziffern. Vernachlässigung und psychische Gewalt sind die häufigsten Vergehen, oder wie Kinder sagen: Wir dachten, das sei überall so.

taz: Die Bahn will die Digitalisierung von Zugstrecken stoppen. Schlimmer als mit dem 2022 versprochenen Internetzugang „wie zu Hause“ in den ICE-Zügen kann das eigentlich auch nicht werden – oder doch?

Küppersbusch: Die Bahn will 30.000 Stellen streichen, die Jobs dafür digitalisieren; das Digitalisieren muss aber ausfallen, weil dringend Geld für Schienen, Weichen etc. benötigt wird, und auf denen fährt dann nichts, weil ja 30.000 Leute fehlen. Klingt nach einem schlüssigen Konzept oder kurz: Wissing. Wie heißt es im Bahnhof? „Zurückbleiben, bitte“. Die Enthüllung des SWR und die für die Bahn ungewöhnlich pünktlichen Dementis beschreiben offenbar einen Poker: Jemand soll Geld locker machen für beides, Neubauten und Digitalisierung. Wissing sieht ja schwarz, was das 49-Euro-Ticket angeht, also trifft’s die Passagiere. Oder die Zugbegleiter zahlen Eintritt.

taz: Der Sommer 2024 war so warm wie nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen. Trotzdem haben viele Menschen keine Lust auf den Herbst – wie geht es Ihnen?

Küppersbusch: Sehr gut, danke. Bin viel Rad gefahren, sehe Mais, Lupinen und Kartoffeln noch auf den Äckern, die Blätter sind nicht so früh braun wie in den Trockenjahren zuvor. Hier im Westen zwischen Dortmund und Köln war das Jahr Werbung für die Idee, sich für die Klimakatastrophe ein Zweithirn zuzulegen.

taz: Wie kann VW sich retten? Und was droht, wenn das schiefgeht?

Küppersbusch: Ein solider Tarifabschluss. Die IG Metall hat im Juni branchenübliche 7 Prozent gefordert, die Verhandlungen beginnen im Herbst, und wenn ich Boss wäre, würde ich das einen guten Zeitpunkt finden, jetzt den Weltuntergang bekannt zu geben. Nun gibt’s zum laufenden „Performance-Programm“, das Einsparungen bringt, noch ein Einsparungsprogramm, das vermutlich keine Performance bringt. Egal, da kann sich die aufmüpfige Belegschaft ihre Forderungen erst mal verzinken lassen, rostfrei. Volkswagen fehlt ein Volkswagen, etwa der erschwingliche, komfortable und praktische Stromer, ohne den sie in China verloren sein werden. Und hier morgen von gestern.

taz: Laut Friedrich Merz „brennt am 23. September“, dem Tag nach der Landtagswahl in Brandenburg, „das Haus der Ampel auf allen drei Etagen“. Wer so spricht – kann der Kanzler?

Küppersbusch: Merz’ tapsige Rhetorik – „das Land entgleitet“ – „Kontrollverlust“ – „Haus brennt“ – deutet stark drauf hin, dass in seinem Kopf die Brandmauer schon solide durchgeschmort ist. Klingt nach „verfassungsschutzrelevanter Destabilisierung des Staates“, wenn das nicht neuerdings auch verboten wäre. Erfahrene PolitikerInnen wissen, dass sie nach der nächsten Wahl unter allen Sachzwängen nur um wenige Grad werden korrigieren können. Und hüten ihre Zunge. Merz dagegen macht Textvorschläge, was AfD und BSW so sagen können, wenn er regiert. Den Durchgang kann man sich sparen.

taz: Während des TV-Duells zwischen Trump und Harris sollen nun die Mikrofone desjenigen, der gerade nicht spricht, stummgeschaltet werden. Wer profitiert davon kommunikationstechnisch?

Küppersbusch: Harris postet, Trumps Berater hätten ihn ruhigstellen wollen. Denn flegelt er dazwischen, würgt fake news und locker room talk hoch, freuen sich seine Stammwähler. Die Wechselwähler verschreckt er eher, und um die geht’s jetzt. Harris hoffte also drauf, dass die lose Kanone sich ins Knie schießt. Nun streut Trump, ABC sei ein unfairer Sender und er habe gehört, Harris bekäme die Fragen vorab. Also Hose voll und hinterher an Nachbars Leine hängen. Trump ist ein tabuloser und selbstgefälliger Comedian, in Deutschland wird man damit ca. Oliver Pocher.

taz: Und was macht der RWE?

Küppersbusch: Spielt gegen Mülheimer FC 97, Anstoß eine Stunde nach taz-Redaktionsschluss, fragt mich was Leichteres.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang: gut. Deutscher Journalist, Autor und Fernsehproduzent. Seit 2003 schreibt Friedrich Küppersbusch die wöchentliche Interview-Kolumne der taz „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?".

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.

Ihren Kommentar hier eingeben