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Deutsche AußenpolitikDas Undenkbare wird denkbar

Trump, Ukrainekrieg, Putin, Gaza: Die Weltordnung scheint aus den Fugen. Deutschland muss eine neue Rolle finden. Im Wahlkampf ist das bisher kaum Thema. Warum?

Wie soll man auf den Tyrannen Trump reagieren? Zu dieser Frage gibt es unter den deutschen Parteien einen gewissen Dissens Foto: John Angelillo/UPI/laif

Berlin taz | Krise ist in der Außenpolitik der Normalzustand. Irgendwo kracht es immer. Doch derzeit erleben wir tektonische Verschiebungen, die die Grundpfeiler bundesdeutscher Politik erschüttern. Was als selbstverständlich galt, schwankt. Nach 1990 erschien die EU als robustes Friedensprojekt, dessen Motor und Profiteur die Exportnation Deutschland war. Richtung Russland setzte die Bundesrepublik ihre nach 1990 auf Handel und Ausgleich ausgerichtete Ostpolitik fort. Die Nato und die Schutzmacht USA sollten höchst unwahrscheinliche Angriffe aufhalten. Der Verteidigungsetat schrumpfte.

Auf internationaler Bühne war die Bundesrepublik, auch wegen der vergleichsweise übersichtlichen Kolonialgeschichte, ein allgemein akzeptierter, beliebter Player. Die regelbasierte internationale liberale Ordnung war das natürliche Terrain für bundesdeutsche Softpower – und Leitplanke für blendende Geschäfte. Der Globalisierungsschub nach Ende des Kalten Krieges und der WTO-Beitritt Chinas bescherten der deutschen Wirtschaft eine Exportweltmeisterschaft nach der nächsten, eine Menge gut bezahlte Jobs und Konzernen wie VW gewaltige Gewinne.

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All das existiert noch, aber es franst an allen Ecken und Enden aus. Der Westen, ein demokratischer Machtblock, der um die USA zentrierte, ist mit Trump endgültig fragil geworden. Im Osten tritt Russland als aggressiv-imperiale Bedrohung auf. Das deutsche Erfolgsmodell der letzten drei Jahrzehnte ist angeschlagen, vielleicht ruiniert. Es fußte auf drei Faktoren: Man bekam billiges Gas aus Russland, exportierte teure Produkte nach China, für Verteidigung sorgten fast umsonst die USA. Mit Putins Überfall auf die Ukraine und der erneuten Amtszeit von Donald Trump ist das vorbei – auch ökonomisch. Trump droht Europa genauso mit Strafzöllen.

Die EU taugt angesichts dieser Sturmflut von Krisenszenarien nur bedingt als Rettungsanker. Die Neonationalisten wollen die EU zu einer Wirtschaftsgemeinschaft zurückbauen, angelehnt an Russland. Ob die EU als politischer Akteur dauerhaft Le Pen, Wilders, Meloni und die Putin-Fans Kickl und Orbán übersteht, ist offen.

Wohlstand hängt von Außenpolitik ab

Mit Außenpolitik gewinnt man keine Bundestagswahlen – mit zwei Ausnahmen. Der Sieg der SPD 1972 war auch ein Votum für Willy Brandts Ostpolitik. Der Sieg der SPD 2002 war auch ein Votum für Schröders Nein zum Irakkrieg der USA. Sonst sind Brot-und-Butter-Themen zentral vor Bundestagswahlen: Wohlstand, Wirtschaft, Soziales.

2025 ist die Lage anders. Denn der Wohlstand der Bundesrepublik ist stärker als je zuvor mit seiner Außenpolitik verknüpft. Das Ende des deutschen Erfolgsmodells wird teuer. Doch erstaunlicherweise gibt es in diesem Wahlkampf keine markante Kontroverse, welche Rolle Deutschland in der konfus erscheinenden neuen Weltordnung spielen soll. Warum eigentlich?

Es mag paradox anmuten: Aber die Bedrohung all dessen, was in der Bundesrepublik lange als selbstverständlich galt – Nato und Westen, EU und regelbasierte internationale Ordnung – ist vielleicht zu massiv, um darüber einen fundamentalen Richtungsstreit zu führen. Die Abgründe sind schwindelerregend. Das Publikum fühlt sich von Inflation, Ukraine­-Krieg, Wirtschaftsbaisse sowieso überfordert. Da ist es wenig erfolgversprechend, vor der Wahl auch noch apokalyptische außenpolitische Szenarien an die Wand zu malen. Im Wahlkampf erscheinen die großen Themen eher klein geraspelt, als rhetorische Unterschiede und strategische Differenzen. Mit einer Ausnahme – dem Geld.

In Sachen Europa sind sich SPD, Grüne und Union im Kern einig: Berlin muss im eigenen Interesse eine ausgleichende Rolle spielen, um eine Implosion der EU zu verhindern. Die Union hat Sympathien für eine gegen Putin gerichtete politisch-militärische Achse Paris-Berlin-Warschau. Aber das ist nur ein Gedankenspiel, das eine mögliche Präsidentin Marine Le Pen sowieso beerdigen würde. Konsens ist: Europa muss, erst recht nach Trumps Sieg, eine eigenständige Rolle spielen. Scholz ist nicht zufällig am Tag nach Trumps Amtseinführung in Paris.

Trump ist die Unbekannte in allen außenpolitischen Szenarien. Wird er die Ukraine opfern, die Nato in Luft jagen, einen Handelskrieg gegen Europa provozieren? Wahrscheinlich kommt es nicht so drastisch. Die USA brauchen Verbündete. Aber mit Trump, dessen Devise lautet „Warum klingeln, wenn man auch die Tür eintreten kann“, ist das bisher Undenkbare denkbar geworden.

SPD, Grüne und Union beteuern im Chor, dass die USA der wichtigste Verbündete bleiben werden. In Denkfabriken werden zwar Szenarien ventiliert, wie ein mit französischen und britischen Atomwaffen bewaffnetes, strategisch autonomes Europa ohne USA aussehen kann – aber das macht sich keine Partei zu eigen. Gerade in einem nach rechts kippenden Europa ist der Weg dorthin ungewiss.

Einen gewissen Dissens gibt es bei der Frage, wie man auf Trump reagiert. Diplomatisch vorsichtig kritisierte Scholz Trumps irre Drohung, Grönland und Panama zu annektieren. Merz warf daraufhin Scholz prompt vor, den US-Präsidenten mit „erhobenem Zeigefinger“ zu reizen.

Malcolm Turnbull, früherer konservativer australischer Ministerpräsident, hat in „Foreign Affairs“ kürzlich anschaulich gezeigt, was trotz aller Ungewissheit von Trump zu erwarten ist. Der sei schon nach 2016 „im Amt eher noch wilder und unberechenbarer als im Wahlkampf“ aufgetreten. Kurzum: Verlass ist nur auf Trumps Unzuverlässigkeit. Turnbull hat aber aus eigener Erfahrung einen Tipp, was hilft. „Wer Tyrannen nachgibt, fördert noch mehr Tyrannei. Der einzige Weg, den Respekt von Leuten wie Trump zu gewinnen, besteht darin, ihnen Paroli zu bieten.“ Bundesdeutsche Unterwürfigkeit gegenüber dem großen Bruder, die man gelegentlich bei der Union findet, dürfte daher das falsche Rezept sein.

Auf den ersten Blick sind die Unterschiede zwischen SPD einerseits, und Union und Grünen andererseits, offensichtlich beim Ukraine-Krieg. Schwarz-Grün will den Taurus, den Marschflugkörper, der bis Moskau Ziele treffen kann, liefern. Scholz pflegt sein Image als besonnener Stratege, der massive Unterstützung der Ukraine mit Stoppsignalen kombiniert. Aber das sind graduelle, keine essenziellen Differenzen. Auch eine Merz-Habeck-Regierung würde die Rhetorik in Sachen Ukraine-Krieg vermutlich dämpfen. Wenn Schwarz-Grün so redet wie Roderich Kiesewetter, wäre das ein Wählerbeschaffungsprogramm für AfD und BSW. Damit würden jene, die Angst vor einer Ausweitung des Krieges haben, in das Lager der Pro-Putin-Ideologen verjagt.

Berlin wird mehr für Militär ausgeben

Fakt ist: Die Unterschiede zwischen SPD und Schwarz-Grün sind kleiner, als es die oft dampfende Rhetorik glauben lässt. Egal, wer die Wahl gewinnt: Deutschland wird im eigenen Interesse die Ukraine weiter mit Waffen und viel Geld unterstützen.

Strittig ist indes, wer das bezahlt. Die Reichen mit Vermögenssteuer, die Mittelschicht mit noch mehr Abgaben oder die Armen via Abbau des Sozialstaates? Denn auch wenn die schlimmsten außenpolitischen Szenarien ausbleiben, wird Berlin mehr Geld für Militär ausgeben. Das gilt sogar im besten Fall, einem baldigen akzeptablen Waffenstillstand in der Ukraine und einem kalten Frieden mit Putin. Der Wiederaufbau der Ukraine, der eine halbe Billion Euro kosten und für Berlin teuer wird, kommt hinzu. Gleichzeitig ist das alte profitable deutsche Wirtschaftsmodell vorbei. Die billige fossile Energie aus Russland wird so wenig zurückkehren wie zollfreie, offene, globale Märkte.

SPD und Grüne wollen angesichts dessen vernünftigerweise die Schuldenbremse lockern. Die Union hingegen entwirft wirtschaftspolitische Wolkenkuckucksheime und scheint einen Abbau des Sozialstaats einer Reform der Schuldenbremse vorzuziehen. Das Mindeste, was im Wahlkampf klar werden sollte, ist, wer für die Krise zahlen soll.

Und die regelbasierte Ordnung, zu der sich alle Mitte-Parteien mit Herzblut bekennen? Sie steht angesichts des globalen Autoritarismus, mit Hinblick auf Trump, Xi und Putin, unter extremem Druck. Deutschland, politisch eine Mittelmacht, ökonomisch eine Weltmacht im Abschwung, hat ein vitales Interesse an zivilen, verlässlichen internationalen Regeln. Gleichzeitig kann es diesen Trend aber nur begrenzt einhegen.

Günstig aber wäre, wenn Deutschland die Ordnung des Rechts auch dann ernst nehmen würde, wenn sie eigenen Interessen zuwiderläuft. Ein Beispiel dafür ist der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, bei dem Berlin sich weigert, ihn zu vollstrecken. Dass noch nicht mal der demokratische Musterschüler die eigenen Regeln befolgt, zeigt, wie zerbrechlich die regelbasierte Ordnung mittlerweile geworden ist. Auch ohne Trump.

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11 Kommentare

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  • Eine neue Rolle erfordert Umdenken, raus aus dem alten Trott.



    Das kostet viel Geld. Und wer das zugibt oder auch nur erwähnt, verliert viele Stimmen.



    Ehrlichkeit und Realismus ist in der Politik gerade nicht so angesagt.

  • Wer immer auch die Wahlen gewinnt, wird es sehr schwer haben. Zu den deutschen Problemen und denen der EU kommt nun eine gefährlich Trump-Walze auf uns zu. Doch sind wir auch selbst schuld, haben wir uns doch überhaupt nicht darauf vorbereitet.



    Trump tritt aus dem Klimaabkommen aus, ihn interessiert CO2 und globale Erwärmung gar nicht. Wir verteuern Energie, heizen und Mobilität, egal ob Auto, Bahn oder Bus, es wird immer teurer. Schon alleine hierdurch haben wir erhebliche Standortnachteile. Die Industrie wird teilweise abwandern in die USA, wo Trump mit niedrigen Steuern, billigem Strom und kaum Umweltauflagen wirbt.



    Wer auch immer diese Wahl gewinnt wird kämpfen müssen, denn hier wird es abwärts gehen.

  • "Die Weltordnung scheint aus den Fugen. Deutschland muss eine neue Rolle finden. " Scheint??? Sie ist aus den Fugen!



    Warum das bisher keine Rolle spielt? Frage ich mich auch, da wir uns seit Jahren von einer "weltweiten Führungsnation USA verabschieden (America first / great again)" hin zu einer multipolaren Weltordnung bewegen. Sprich, China hat das Ziel die USA als wirtschaftliche Supermacht abzulösen...inkl. damit verbundenen Währungs- und Absatzfolgen. Bündnisse blühen und gedeihen (Russland, Iran ++> BRICS).



    Aber wir schauen ja nur gebannt auf unsere nationalen Themen und vergessen dabei, dass 50% unserer wirtschaftlichen Kraft davon abhängen, wer da an 1. Stelle steht? Und darauf muss man sich vorbereiten.



    Ohne Deutschland ist die EU schwach und Deutschland ebenso. Ohne EU (Markt) ist die USA schwächer, die EU ohne USA nicht verteidigungsfähig!



    Wer genau soll denn all die US-Autos und Waffen kaufen? Russland und China fallen eher aus. Da hinkt der eigene Absatz ja schon? Indien ist mir da noch nicht aufgefallen. Ade Sozialstaat und Frieden > reicht leider auch nicht mehr für die Aufstockung des Wehretats :-/



    Pro EU+Wirtschaft ist daher Prio 1 bei der Wahlentscheidung!

  • Deutsche Politiker haben keine Vorschläge - einfach weil sie die Diplomatie verlernt haben. Deutschland ist sich selbst genug, und das ist keine neue Entwicklung - das bahnte sich bereits zu Schröders Zeiten an.

    Und das Desinteresse am Ausland hat weite Teile der Gesellschaft ergriffen. Die taz berichtet vorbildlich auch von vergessenen Krisen auf dem Globus; doch wer schreibt darüber, was die Franzosen, Spanier, Polen, Schweizer, Briten und Italiener politisch umtreibt?



    Das kommt in deutschen Medien praktisch nur dann vor, wenn man damit die empörte Botschaft "das dürfen die doch gar nicht" transponieren kann. Für ein wirkliches und ausgewogenes Verständnis für die Lage scheint niemand Verwendung zu haben.

    Mein Eindruck ist, dass das selbst zu Kalten-Kriegs-Zeiten anders war, als Informationen aus anderen Ländern deutlich schwieriger zu beschaffen waren.

  • "Das Mindeste, was im Wahlkampf klar werden sollte, ist, wer für die Krise zahlen soll."



    OMFSM. Es ist doch klar, wer bezahlen wird. Ob mit oder ohne Wahlkampf, und ob mit oder ohne Schuldenbremse.

  • Wer seine Wähler über Jahrzehnte friedensbewegt eingelullt hat, für den ist der Weckruf der Realität eben besonders schrill. Wissen können hätte man es spätestens nach dem ersten Tschetschenienkrieg.

  • Außenpolitik ist eben zu abstrakt für einen griffigen Wahlkampfslogan.

    Aber was soll denn dieses immer und immer wieder durchgekaute Märchen: "...für Verteidigung sorgten fast umsonst die USA...)

    Zum einen sind die Milliarden, die alljährlich in den Verteidigungshaushalt fließen mehr als nur Peanuts. Zum anderen kann man das militärische Engagement der USA durchaus differenziert betrachten. Da geht's nicht nur um unsere Verteidigung.

    • @Nansen:

      Gerade weil die Interessen der USA nicht mit unseren deckungsgleich sind, brauchen wir eine massive Aufrüstung. Niemand nimmt uns sonst ernst.

      • @Claude Nuage:

        Brauchen wir Rüstungsausgaben für Verteidigung oder brauchen wir "massive Aufrüstung" damit wer? uns ernst nimmt?

        • @Nansen:

          Schon wenn wir wollen, dass unsere Verbündeten uns ernst nehmen, müssen wir unseren Anteil an der Last schultern.

  • Wer an der Weltpolitik weiß doch zumindest grob schon wen er wählt. Außerdem merkt selbst der dümmste Fascho, dass er dafür nicht Migranten verantwortlich machen kann. Soweit kann dann auch jeder Politiker denken : die Wähler sind sich selbst die Nächsten also versprechen wir Utopische, denn von der Realität will keiner was hören