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Deutsche Außenpolitik und AfghanistanZuhören lernen

In Afghanistan hat Deutschland historisch versagt. Eine Lehre: Feministische Außenpolitik muss Sicherheit weniger militärisch sehen.

Mächtiges und bisweilen überfrachtetes Symbol im Kampf um Frauenrechte, auch in Afghanistan: die Burka

Mädchen dürfen keine weiterführenden Schulen mehr besuchen, einst berufs­tätige Frauen – ehemals mit Karrieren in Politik, Wissenschaft und Bildung – kümmern sich nur noch um den Haushalt, und ein Großteil der Frauenrechtsorganisationen hat die Tätigkeiten eingestellt: Die gegenwärtige Situation für Frauen in Afghanistan ist dramatisch, Strukturen der Zivilbevölkerung sind fast vollständig zerstört. Indes wurde das sogenannte Ministerium für die Verbreitung der Tugend und die Verhütung des Lasters wieder eingeführt, um für die Umsetzung der misogynen Erlasse des neuen Regimes zu sorgen. Sollte der Militäreinsatz in Afghanistan nicht einst dafür sorgen, dass die Lage für Frauen sich verbessert?

Deutschland und der sogenannte Westen haben in ihrer Unterstützung historisch versagt. Es gilt nun, das Versagen konstruktiv aufzuarbeiten. Schließlich hat die Bundesregierung Anfang des Jahres ihre Außenpolitik als feministisch postuliert. Wenn sie wirklich umsetzt, was sie propagiert, muss Deutschland in der Außen- und Sicherheitspolitik aus vergangenen Fehlern lernen. Laut Definition des Auswärtigen Amtes geht es bei feministischer Politik um die Förderung der Rechte, Repräsentanz und Ressourcen von Frauen und marginalisierten Gruppen sowie um Diversität.

Afghanistan ist das Negativbeispiel schlechthin für das Fehlen einer solchen Politik. Und zwar, weil Deutschland Sicherheit zu militärisch definiert und vorwiegend Streitkräfte unterstützt. Einen politischen Wandel allein mit Aufrüstung erreichen zu wollen, ist kurzsichtig. Stattdessen sollte sich deutsche Sicherheitspolitik am UN-Konzept der „menschlichen Sicherheit“ orientieren, also der Situa­tion der Menschen in Konfliktsituationen, so lautete 2021 die Einschätzung Martina Fischers, Referentin für Frieden und Konfliktbearbeitung bei Brot für die Welt.

Deutschland hat sich in der Vergangenheit damit gebrüstet, für Afghanistan Geldgeberland Nummer eins und manchmal Nummer zwei zu sein. Bis 2010 wurden in Forschrittsberichten die angeblichen Erfolge der Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan gefeiert und schöngeredet. Die Stärkung der Zivilgesellschaft stand dabei allerdings eher unten in der Agenda, der Kontakt mit der Zivilgesellschaft blieb gering und oberflächlich. Die starke feministische Zivilgesellschaft war in den Friedensverhandlungen nicht ausreichend repräsentiert. In ihrer Position konnte sie bei der Machtübernahme der Taliban kaum etwas ausrichten.

Zu viele klassische Frauenprojekte

Bereits in einer Ausgabe der norwegischen Tageszeitung Klasenkampen von 2010 kritisierte Politikwissenschaftlerin Astri Suhrke die zaghaften Hilfsstrategien des Westens. Es müsse, schreibt sie, mehr direkte Unterstützung gezahlt werden statt durch die UN. „Die afghanische Regierung kann halbherzigen Druck aus dem Ausland ignorieren“, schrieb sie, „bei einer starken politischen Bewegung im eigenen Land geht das schlechter. Je breiter die Bewegung, desto schwerer wird es für konservative Afghanen, Gleichberechtigung als ausländische, von außen aufgedrückte Idee darzustellen.“ Das hätte es afghanischen Frauen leichter gemacht, auch nach dem Abzug der westlichen Streitkräfte und NGOs Gegenwehr zu leisten.

Stattdessen wurden klassische Frauenprojekte zum Beispiel in Form von Handarbeitskursen realisiert. Filterblasen beschränkten Kontakte zu Frauen in der Zivilgesellschaft zumeist nur auf die immer gleichen Teile der Elite. Es braucht für eine wirklich feministische Außenpolitik auch eine inklusivere Sichtweise. Zwar gab es eine Frauenquote im afghanischen Parlament. Jedoch ist fraglich, wie viel es zur Demokratie beiträgt, wenn dort zum Teil die Töchter der Warlords sitzen.

Problematisch ist laut Wenzel Michalski von Human Rights Watch vor allem, dass stets mit den Leuten verhandelt wurde, die auch für den Niedergang Afghanistans verantwortlich waren.

Andrea Schmitz von der Stiftung Wissenschaft und Politik, plädiert derweil für mehr Zurückhaltung. „Wir sind immer sehr schnell mit moralischen Bewertungen, hören aber zu wenig zu und hinterfragen unsere eigenen Perzeptionsklischees zu wenig. Feministische Außenpolitik fordert ja zu Recht ein Ende der simplen dichotomen Weltsicht. Das heißt, dass die Fokussierung auf die Vorstellungen und Bedürfnisse von globalen Eliten nicht ausreicht, um gute Politik zu machen“, so Schmitz. „Eine feministische Politik muss zuhören, und das bedeutet, die eigenen Gleichstellungsforderungen unter Umständen nach hinten schieben und sich stattdessen stärker mit dem Denken der Anderen zu befassen.“

Mehr zuhören

Wie ist feministische Außenpolitik nun gefragt? Sicherheit bedeutet auch ganz konkrete Sicherheit für die Betroffenen. Es sollte also bürokratische Erleichterungen bei Aufnahmeprogrammen geben. „Bei den Rettungsaktionen standen Männer im Mittelpunkt, doch die Anstrengung muss auch die mutigen FrauenrechtlerInnen mit einbeziehen, die immer noch für ihre Rechte kämpfen. Die sind fast in noch größerer Gefahr“, fordert Wenzel Michalski.

In Afghanistan ist ein Neuansatz der Beziehungen notwendig. Diplomatische und Entwicklungspolitische Ins­tru­mente müssen gestärkt werden. Doch angesichts der Realität sind Verbesserungen nur durch kleine Schritte der Annäherung möglich. Deutschlands Umgang mit Afghanistan hat gezeigt, dass Zuhören eine Fähigkeit ist, die der Großteil des postkolonialen Westens nie richtig gelernt hat. Dieser Aspekt feministischer Außenpolitik ist in Anbetracht des wachsenden Populismus- und Autoritarismustrends weltweit jedoch dringlicher denn je. Auch wenn es dafür reichlich spät ist.

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6 Kommentare

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  • Es gab mal im Fernsehen das Frauenmagazin Mona Lisa.



    Dort gab es in den 90ern eine Reportage zur Lage der Frauen in Afghanistan unter den Taliban. Es wurden die Verbrechen gegen die Menschlichkeit deutlich gezeigt. Die Reporterin damals wies darauf hin, dass es absehbar sei, dass die Taliban das bald eskalieren würden und es dann vermutlich auch die Männer und andere Länder betreffen würde. Es wäre daher sehr wichtig, das Problem sofort anzugehen, so lange es noch relativ klein ist. Aber sie schloss, dass das wohl nicht passieren werde, denn bisher betreffe es ja nur die Frauen in Afghanistan. Und wer kümmert sich schon um Frauen...



    Schlimm, dass sie so sehr Recht behalten sollte!



    Auf allen Ebenen.

  • Das Problem in Afghanistan war, dass man auch auf die Leute nicht gehört hat, die sich in Afghanistan auskennen und wissen, wie die Menschen dort ticken. Wie z.B. der ehemalige Arzt der Bundeswehr Dr. Erös, der die Kinderhilfe Afghanistan gegründet hat und bis heute mit seiner Familie betreibt. Er hat schon unter der ersten Taliban-Regierung Mädchenschulen gegründet und keine seiner Schulen wurde von Taliban angegriffen. Weil er sie im Konsens mit Taliban und den Eltern vor Ort aufgebaut hat. Das geht nämlich. Wenn man auf die Kultur eingeht.



    Leider wollten weder Bundeswehr noch Regierung zuhören und lernen, wie das geht. Den Preis zahlen die Afghanen. Besonders die Frauen.

  • Ich mag den Artikel.

    Er stellt die deutsche Außenpolitik so schön kraftvoll dar.

    Außerdem gibt es in Afghanistan eine "starke" feministische Zivilgesellschaft.

    „Versagen konstruktiv aufarbeiten“ ist einfach toll ausgedrückt.

    Da klingt „Versagen“ gleich nicht mehr so schlimm.

    Bundeswehr – das war doch die Soldatentruppe, die von anderen NATO-Kräften beschützt werden musste, oder?

    „Friedensverhandlungen“ ist auch klasse.



    Waren das nicht die Gespräche, in denen die Taliban so nett waren und mitgeteilt haben, unter welchen Bedingungen sie die NATO-Truppen türmen lassen würden, ohne hinterherzuschießen?

    Ich nehme an, über fehlendes Zuhören konnten sich die Taliban wahrscheinlich nicht beschweren.

    Die Briten haben versucht, Afghanistan zu erobern, und waren erfolglos.

    Die SU mit vielen Mittelasiaten in ihren Reihen, die wussten, wie die Leute dort ticken, ist gescheitert.

    Die NATO-Staaten glaubten, sie könnten es besser, und sind ebenfalls gescheitert.

    Aber Deutschland hat historisch versagt.

    Aha.

    Dieser Artikel enthält mit seiner Idee, Deutschland hätte es richten können, so viel chauvinistische Borniertheit, dass es mir die Sprache verschlägt.

  • Zuhören war und ist in der Tat keine Stärke des Feminismus.



    Und ausserhalb der Eliten hat Feminismus gemäss vielen Umfragen wenig Ab- und Unterstützung.



    Insofern eine überraschend ehrliche und notwendige Kritik. Fraglich nur, ob sie in den Schaltstellen der Macht gehört wird.

  • Letztlich verstehe ich den Text so, dass ein regime change nur mit anderen als den militärischen Mitteln vollzogen werden soll. Natürlich völlig uneigennützig wird von NGOs gefordert, dass Geld nicht durch die UN sondern "direkt" gezahlt werden soll. Vielleicht kommt man irgendwann zu dem Schluss, dass die Einmischung egal mit welchen Mitteln, nicht funktioniert. Eine Lebenssituation wie in Afghanistan ist aus meiner Sicht für keinen Menschen erstrebenswert, aber mit westlicher Hybris dort auflaufen ist eine Form des Wertekolonialismus, die aus meiner Sicht zum Scheitern verurteilt ist. Immer wieder das gleiche nur mit anderen Mitteln zu versuchen, zeigt eher eine gewissen Lernresistenz auf.

  • Innerer Wandel in einer Gesellschaft kann nur immer von Innen heraus geschehen. Alles andere sind Bemühungen, die langfristig zum Scheitern verurteilt sind.