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Deutsche Außenpolitik seit 9/11Deutschlands Dilemma

Das Verhältnis zu den USA war stets das Leitmotiv deutscher Außenpolitik nach 9/11. Der Abzug aus Afghanistan offenbart die Nachteile.

Zurück aus Afghanistan: Bundeswehrsoldaten auf dem Fliegerhorst Wunstorf am 28. August Foto: Sascha Steinbach/epa

Berlin taz | Die Bundestagssitzung am 12. September 2001 begann mit einer Trauerminute für die Opfer des Terroranschlags auf die USA. Dann sprach Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Er habe dem US-Präsidenten George W. Bush sein Beileid ausgesprochen, sagte Schröder. Und: „Ich habe ihm auch die uneingeschränkte – ich betone: die uneingeschränkte – Solidarität Deutschlands zugesichert.“

Schröders außenpolitischer Berater Michael Steiner erzählte Jahre später in deutschen Medien, er habe noch versucht, den Kanzler von der Vokabel „uneingeschränkt“ abzubringen. Schließlich hätten die Amerikaner „überreagieren“ können – inklusive Atombombenangriff. Die Lage sei unkalkulierbar gewesen: Die Bush-Regierung habe sich „regelrecht eingebunkert“, berichtete Steiner, man sei in Washington überhaupt nicht durchgekommen.

taz-Dossier zu 20 Jahre 9/11

Dieser Text ist Teil des taz-Dossiers zu den Terroranschlägen vom 11. September vor 20 Jahren. Der Schwerpunkt erscheint in der Ausgabe vom 31. August. Unsere Au­to­r*in­nen beschäftigen sich darin mit den Folgen des Anschlags. Wie haben sie ihn erlebt? Wie hängt 9/11 mit der Krise in Afghanistan zusammen? Welche Verschörungsmythen bestehen nach wie vor?

Das Dilemma der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik nach 9/11 ist in diesem Szenario unmittelbar nach den Anschlägen bereits komplett enthalten: Einerseits war Solidarität mit den USA so notwendig wie geboten. Andererseits riskierte Deutschland dadurch, in Kriege hineingezogen zu werden, über deren Art die USA wiederum stets allein entscheiden – und die sie doch nicht kontrollieren können, wie die aktuelle Situation in Afghanistan überdeutlich belegt.

An einem wichtigen Punkt hat die Bundesregierung – damals noch Rot-Grün – sich aus dieser Klemme befreit: Sie verweigerte an der Seite von Frankreich 2002/2003 die Teilnahme an einem Krieg gegen den Irak. Man stehe „für Abenteuer nicht zur Verfügung“, lauteten Schröders Worte. Gut möglich, dass dies auch dem damaligen Bundestagswahlkampf geschuldet war. Dann wäre damit eben bewiesen, dass Bekenntnisse in Wahlkämpfen nicht immer wertlos sein müssen.

Politische Gymnastikübungen

Doch wurden die politischen Kosten des „Nein“ zum Irakkrieg als beträchtlich empfunden. Bis heute erklären Außen- und VerteidigungspolitikerInnen von Union, SPD und Grünen, „schon wegen Irak“ habe Deutschland sich in Afghanistan stark engagieren müssen – quasi um die Scharte auszuwetzen.

Nur beruhen solche Rechnungen in der Außenpolitik fast immer auf Eindrücken, auf kaum belegbaren Folgeabschätzungen. Der Irakkrieg war herbeigelogen worden. Daraus, dass Deutschland nicht dabei war (beziehungsweise nur geringfügige Hilfsdienste leistete), muss man nicht zwingend größere Verpflichtungen an anderer Stelle ableiten.

Auch die Nato aber machte Afghanistan zu ihrem wichtigsten, Sinn und Zusammenhalt stiftenden Projekt, und die Bundesrepublik schlüpfte in eine bereits eingeübte Rolle: die der globalen Wirtschaftsmacht, die sich auch außen- und verteidigungspolitisch „erwachsen“ zeigen will – die bloß Mühe hat, dies den eigenen Leuten zu erklären.

Auf den Klassentreffen der sicherheitspolitischen Szene, etwa der Münchner Sicherheitskonferenz, vollführten deutsche PolitikerInnen also jahrelang politische Gymnastikübungen aus Großmachen und Kleinmachen: einerseits betonen, wie bedeutsam der deutsche Beitrag in Afghanistan und der Welt längst sei. Andererseits Richtung „besondere Geschichte“, „pazifistische Grundhaltung in der Bevölkerung“ und „wir bemühen uns ja“ gestikulieren, wenn jemand andeutete, dass so ein Exportkoloss doch zweifellos auch militärisch mehr leisten könne.

Sicherheitslage bröckelte trotz Truppenaufstockung

Unter US-Präsident Barack Obama wurde Afghanistan ab 2009 zum „guten“, richtigen Krieg der USA, im Gegensatz zum „schlechten“ im Irak. Doch auch eine enorme Aufstockung der Truppen – USA vorneweg, Deutschland hinterdrein – brachte nicht das gewünschte Ergebnis. Im Gegenteil, die Sicherheitslage in Afghanistan schien eher zu bröckeln.

Es waren Erkenntnisse, die in Deutschland nicht verarbeitet werden konnten. Denn hier wollten die außen- und sicherheitspolitischen VordenkerInnen die Beliebtheit Obamas auch nutzen, um am weltpolitischen Bewusstsein der Bevölkerung zu arbeiten.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2014 sagten Bundespräsident Joachim Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) fast wortgleich: Deutschland müsse bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch „früher, entschiedener und substanzieller“ einzubringen.

Die Leitartikel dazu waren allerdings kaum gedruckt, da annektierte Russland die Krim. Statt Aufstandsbekämpfung und Staatsaufbau am Hindukusch war plötzlich eine Art Kalter Krieg zurück. „Früh, entschieden und substanziell“ musste die Bundesregierung handeln – aber in ganz anderem Zusammenhang als gedacht. Die Weltlage hatte sich wieder einmal nicht an die deutschen Fahrpläne gehalten.

Wider die Interventionslogik

Nach dem schmählichen Abzug der Alliierten aus Afghanistan dürfte es künftig nun noch schwerer werden, irgendwen von einer Interventionslogik zu überzeugen, wonach Deutschland unbedingt dabei sein muss, um erwachsen zu sein. Ist jetzt der ganze „Westen“ geopolitisch am Ende und wird nirgends mehr eingreifen, wie überall zu lesen steht? Manche FriedensforscherInnen rollen dazu mit den Augen.

Über Jahrzehnte scheine es „dem Westen“ nicht gelungen zu sein, aus Interventionen und Kriegen zu lernen. Stets werde von „lessons learned“ zwar geredet, aber kaum je eine Lehre gezogen. Weswegen sich die Frage stellt: Warum sollte es nächstes Mal anders sein?

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16 Kommentare

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  • 'Deutschlands Dilemma'



    Beweist das politische Dilemma, besonders aber der begleitende Diskurs, nicht gerade eine gewisse politische Offenheit?



    Deutsche Dilemmata (wie die Dilemmata aller liberalen Staaten) sind allerorten zu erkennen: Im Verhältnis zur EU durch den Zwang zum kleinsten gemeinsamen Nenner, gegenüber China durch den Widerspruch von Wirtschaftsinteressen und Menschenrechten, gegenüber dem autokratischen und demokratiefeindlichen Russland ebenso und zusätzlich das besondere Verhältnis nach den russischen/sowjetischen Opfern des 2. Weltkrieges, gegenüber der Türkei der Kompromisszwang wegen der Abhängigkeit in der Flüchtlingsfrage und der indiskutablen Erdogan-Politik, gegenüber Kuba bezüglich Humanität versus Treue zur US-Politik, etc, etc.



    Gerade die hier selten diskutierte neue Äquidistanz-Politik durch Merkel (ja Merkel!), Maas & Co, fußt regelrecht auf der Inkaufnahme und Integration von Dilemmata.



    Es kommt mE darauf an, sie politisch hochprofessionell zu kultivieren. Das sehe ich noch lange nicht erreicht, aber auf dem Weg, besonders, wenn ich es mit der früher üblichen unkritischen Treue in traditionellen politischen ‚Verhältnissen‘ vergleiche.



    Die aus meiner Sicht unstrittigen Änderungen der Ideen in der deutschen Außenpolitik, auch die Suche nach einer neuen weltpolitischen Haltung in Bidens Außenpolitik (innenpolitisch erst recht) lassen Dilemmata deutlicher erkennen und bieten neue Chancen der Hinterfragung und Problemerkennung. Die Bereitschaft, daraus etwas neu zu gestalten, scheint mir sowieso ein wesentlicher Vorteil, sogar Voraussetzung, aller diskursbereiten und ambiguitätstoleranten Beziehungen zu sein.



    Politisch wie privat. Harmonie als Hauptziel war gestern. Außer vielleicht in China.

  • Vielleicht sollte in der oberen politischen Ebene auch mal ankommen, dass die Zeit der vermeintlichen eigenen Stärke durch militärische Einsätze vorbei ist.

    Und das ganze Gerede von "humanitären Interventionen" verschleiet nur die eigenen machtpolitischen Interessen und sollen die Stimmung in Richtung "gerechtfertigter Krieg" prägen.



    Wie gut dafür gelogen werden kann bewiesen Fischer und Scharping im Krieg um den Kosovo.

  • Dass Verhältnis zu den USA stets Leitmotiv deutscher Außenpolitik nach 9/11 war, vermag ich nicht zu erkennen, deutsche Außenpolitik hat nach Ende 1. Weltkrieges 1918 notgedrungen Verhältnis zum US $ aber nicht zu den USA und deren Lage innen, außen, entwickeln müssen, das ist bis heute trotz Einführung Euros 1998-2002 so geblieben, sich auf Subventionierung deutscher Exportwirtschaft verlegt, unterbrochen vom US New Deal US Präsident Franklin D. Roosevelt ab 1933, infolge Börsen Crash 1929 folgender weltwirtschaftlicher Depression, einbetoniert in globalen Protektionismus, wieder belebt durch US Marschall Plan nach Ende 2. Weltkrieges 1945 im sog. kalten Krieg ab 1948 im Wege mit UdSSR unabgestimmter Währungsreform in TriZone, Westberlin 1 DM zu 10 RM, während in Ostzone RM weiter galt, folgender sog Westberlin Blockade durch UdSSR, damit Ausverkauf an Gütern, Nahrungsmitteln, Dienstleistungen, Arbeitskräften, Werten in Ostzone Einhalt geboten wird, halbe Welt vom US $ Universum auszuschließen, entgegen Bretton Wood Weltwährungsabkommen 1944. Nach Nine Eleven 2001 haben die USA diese Praxis unliebsame Staaten unter völkerrechtsfremdem Vorwurf Terrorismus als Reiche Bösen von $ Universum auszuschließen perfektioniert, dabei ist der $ nicht nur Zahlungsmittel der USA, sondern das Geld der ganzen Welt

    www.nd-aktuell.de/...m-finanzstrom.html

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    „Ich habe ihm auch die uneingeschränkte – ich betone: die uneingeschränkte – Solidarität Deutschlands zugesichert.“

    Das war ziemlich dumm! Zumal man ja amerikanische Außenpolitik kannte. Das hat sich dann im Irak- und Afghanistankrieg bestätigt.

    Man muss sich das klar machen, ein zu tiefst religiöses Volk, schwer bewaffnet - nein ich rede nicht von den Afghanen oder den Taliban - es sind die braven US-Amerikaner, die beim Anblick ihrer Fahne in Tränen ausbrechen!

    Was da im täglichen Leben so abgeht, ist haarsträubend. Ein Priester, der in Texas bewaffnet vor die Gläubigen tritt. Massenhaft Leute, die den Creationisten zuzuschreiben sind - auch ganz junge Leute, die glauben allen Ernstes, dass Gott die Welt in 6 Tagen erschaffen hat. Die Katholiken hierzulande übrigens auch.



    Da kann man nur noch zur "Jungfrau" Maria betene!

    Religiösen Fanatikern darf man nicht folgen.

    • @17900 (Profil gelöscht):

      Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie die USA und zudem aus eigener Anschauung konkret kennen. ZB mal an der Ost- oder Westküste, an Universitäten und in durchschnittlichen Familien waren, oder seriöse US-Zeitungen lesen, die dem was Sie o.a. beschreiben, genauso befremdet gegenüberstehen, wie Sie.



      Sie beschreiben die USA mit Beispielen, wie jemand, der umgekehrt Deutschland ausschließlich über die AfD-Phänomene, bayerische Lederhosen oder Autonome in der Rigaer Straße in Berlin definiert.



      Dass und warum die genannten Phänomene gerne in den Medien hervorgehoben werden und dass sie zu bestimmten Stereotypen passen, sollte uns doch eigentlich klar sein. Und ebenso, dass sie die komplexe Wirklichkeit, die ‚Normalitäten‘, der US-Gesellschaft nicht abbilden. Eine Gesellschaft kann man nicht durch eine beliebige, willkürliche Heranziehung einzelner Phänomene verstehen. Egal, ob es sich um die USA, Deutschland oder Afghanistan handelt.

  • Da fehlt es an Kampfbereitschaft und es gibt ein Zuviel an antiwestlichen Polemiken und Feindbildern, die sich vermischen.



    Die NATO ist tot wie ein Türnagel und die Linkspartei soll "Ja zur Nato" sagen.



    Das sagt ja nicht mal Erdogan.

  • Deutschland hat eine Aussenpolitik? Ist mir bisher noch garnicht aufgefallen.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @Gerald Müller:

      Doch, Herr Mittelmaß vertritt sie.



      Zum Glück gibt`s ja auch noch die europäische Außenpolitik mit einem uralten spanischen Spitzendiplomaten an vorderster Front. Ein richtiger Kämpfer.

    • @Gerald Müller:

      Vllt, weil Sie sich nicht für dt Außenpolitik interessieren. Geht mir mit Bodenturnen ähnlich.

  • Waren die 20 Jahre Afghanistan nicht ein Versuch, den Menschen die Chance zum Aufbau einer anderen, modernen Gesellschaft zu geben? Wäre der umgehende Abzug nach der Bekämpfung von Al Quaida 2002/3 wirklich die bessere Lösung?



    Glauben wir wirklich das man den radikal-islamischen Terror auch ohne westliche Allianz begrenzen kann?



    Ohne den Irakkrieg zu rechtfertigen…wäre die Fortsetzung der Herrschaft von S Hussein wirklich so zu begrüßen?

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @alterego:

      Was ist denn das für eine Frage? Hussein wurde von den USA groß gemacht.



      Der Kriegsverbrecher W.G. Bush hat dann gezeigt, wie es geht. Waterboarding, Abu-Ghuraib und Guantanamo waren die Folge.



      Warum tun wir das nicht, wo doch die uneingeschränkte Solidarität versprochen wurde?

      • 8G
        83379 (Profil gelöscht)
        @17900 (Profil gelöscht):

        Saddam stand den Soviets näher als den Amerikanern, er war aber vor allem aber sein eigener Mann. Groß geworden ist er weil wie Stalin verstand die Partei (Ba'aath) mit seinen Leuten zu füllen. Dadurch konnte er die Macht übernehmen. Der Konflikt mit dem Iran zeichnete sich schon in den 5 Jahren davor ab. Da gab es bereits Kämpfe und Saddam der sich trotz fehlender militärischer Ausbildung für einen Feldherr hielt glaubte in einem Blitzkrieg da gewinnen zu können. Seine Waffen kamen aus der Sovietunion und Frankreich.

        • 1G
          17900 (Profil gelöscht)
          @83379 (Profil gelöscht):

          Kann schon sein.

          The United States provides the Iraqi security forces millions of dollars of military aid and training annually as well as uses its military bases.[1](Wikipedia) leider nicht auf Deutsch!

    • @alterego:

      Demokratie schaffen durch Einsatz rechtsradikaler KSKs im Ausland, ist das dein Vorschlag?

      • 8G
        83379 (Profil gelöscht)
        @Bouncereset:

        Klar das ganze KSK rechtsradikal.... Gäbe es so viele Nazis in BW und Polizei wie es Koemmnattoren hier immer unterstellen hätten wir längst einen rechten Putsch gehabt.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @alterego:

      Ich hab es mal für einen anderen Artikel ausgerechnet nur die Anzahl der Toten als Faktor wäre Saddam's Herrschaft schlimmer gewesen (und das mit dem niedrigsten geschätzten Wert und unter Anschluss der Kriegstoten die er verursacht hat).



      Auch hat der IS sich vorallem aus ehemaligen Saddam Leuten rekrutiert da waren viele viele Offiziere des Geheimdienstes, der Fedayin Saddam und der Republikanischen Garden. Und das beinhaltet nicht die Folter und andere Verbrechen die unter Saddam schlimmer waren als jetzt.

      Im Bezug auf Afghanistan, man hätte da halt vermutlich ein paar Jahrzehnte mehr bleiben müssen bis 2-3 junge Generationen das Korruptionsproblem in den Griff bekommen hätten.