Der sonntaz-Streit: Nordsee oder Ostsee?
Nasse Füße kann man sich überall holen. Aber welches der beiden innerdeutschen Urlaubsziele liebenswerter ist, können nur Schriftsteller umfassend klären.
Raue Stürme oder seicht plätschernde Wellen? Faul am Strand liegen oder stundenlang im Watt wandern? Beim Anblick schroffer Kreidefelsen schwindlig werden oder vom flachen Deich in die endlose Weite schauen? Sieben Schriftsteller und eine taz-Leserin haben uns im dieswöchigen sonntaz-Streit eine Liebeserklärung an ihr deutsches Lieblingsmeer geschrieben.
Der deutsch-türkische Schriftsteller Feridun Zaimoglu, der in Kiel lebt, kommt ins Stottern, wenn man ihn nach der Ostsee fragt: „Und Stottern - das ist schon ein Liebesbeweis." Er bestreitet, dass die Ostsee nur die langweilige „Pfütze" ist, für die sie viele halten. Denn die Ostsee ist auch ein wildes, ungestümes Meer. „Man muss sie wie ein Tier im Sturm brüllen gehört haben, um sich zu verlieben", sagt er. Und fügt hinzu: „Es gibt bei uns nicht diese Nrodsee-Hippies, die ihren Mädchen auf der Gitarre Lieder vorzupfen. An der Ostsee schwärmt man schöne Frauen anders an: Indem man zeigt, dass man so zielgenau spucken kann, dass man die Möwe im Sturzflug ins Auge trifft. Das macht die Mädchen kussfreudig."
Egal wie laut die Ostsee brüllt und wie spuckfertig die Männer dort sind - die Schriftstellerin Judith Arlt hält der Nordsee die Treue. Die Autorin, die seit 2007 in Diethmarschen am Schleswig-Holsteinschen Wattenmeer lebt, kennt jede Besonderheit der Nordsee-Landschaft: „Wer nie das Watt knistern hörte, nie zähflüssigen Schlick zwischen den Zehen spürte, nie bei Seichtwassertide Löffler pendeln sah, der hat etwas verpasst". Sie fügt hinzu: „Wer nie über Treibsandteppiche floh, nie die Ekstase der Austernfischer bei der Jagd auf Herzmuscheln erlebte, nie in einer Vollmondnacht bei Springhochwasser nackt in der Nordsee badete, der hat noch etwas vor im Leben."
Im schwarzen Faltboot über die schwarze Ostsee
Manuela Schwesig ringt darum, Kind und Karriere zu vereinbaren. Nicht nur als Familienministerin. Warum sie trotz eines Kanzlerinnen-Rüffels immer noch an ihre Idee von der 32-Stunden-Woche glaubt, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 21./22. Juni 2014. Außerdem: Bekommen wir bald Vollbeschäftigung? Ein Vater blickt in die Zukunft seines Sohnes. Und im sonntaz-Streit: Nordsee oder Ostsee? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Ähnlich sieht das Volkmar Nebe, der unter dem Künstlernamen Janne Mommsen Kinderbücher schreibt, die häufig auf der Nordseeinsel Föhr spielen. „Wer ein echtes Meer mit Wellen will, die mit gewaltigem Rauschen an den Strand branden", sagt Mommsen, „kann nur die Nordsee meinen." Denn nur hier landet, „wer mit dem Boot immer weiter fährt, auf einem anderen Kontinent". Außerdem könne man bei Ebbe stundenlang auf dem Meeresboden wandern bis er irgendwann der einzige lebende Punkt am Horizont ist - „und unter dem riesigen Himmel doch winzig klein."
Doch nicht alle lieben die Meere für ihre landschaftlichen Schönheiten. Andreas Altmann, der zuletzt in „Verdammtes Land" über seine Reisen nach Palästina schrieb, hat weder von Ostsee noch Nordsee eine Ahnung. Er weiß nur: „Die Nordsee liegt links, die Ostsee rechts. Links hat Störtebeker sein Unwesen getrieben, rechts der Bundespräsident schwimmen gelernt." Er zieht die Ostsee vor, weil sie vor vielen Jahren einen Mann an Land spülte, der ein enger Freund werden sollte: „Dietmar K. war ein Republikflüchtling, der in einer Sommernacht 1970 angstgebeutelt und todesmutig den Arbeiter- und Bauern-Staat verließ. Und im schwarzen Faltboot über die schwarze Ostsee ins nicht-sozialistische Ausland floh." Prägnanter könnte man kaum zusammenfassen, wie eng die beiden Meere mit der deutschen Geschichte verbunden sind.
Die Streitfrage diskutieren außerdem Antje Wagner, von der zuletzt der thriller „Vakuum" erschien; Volker Altwasser, ein ehemaliger Matrose, jetzt Schiftsteller; der Dichter und Publizist Günter Kunert, der in Kaisborstel bei Itzehoe zwischen den beiden deutschen Meeren lebt, und die taz-Leserin Nora Paschke, die gerne nach Sylt fährt und dort beim Aldi einkauft. Den ganzen Streit lesen Sie in der taz.am wochenende vom 21./22. Juni 2014.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt