Die Wahrheit: Der Streitesel Gottes
Wer ist eigentlich Ekkehart Reimer, diese wahrscheinlich größte Koryphäe des katholischen Kulturkampfes gegen alles Linksradikale im Lande?
Heidelberg, an einem schwülen Sommertag im Juli anno 2025. Eine erbarmungslose Mittagshitze liegt über dem Kopfsteinpflaster der Altstadt, während aus einem offenen Fenster im vierten Stock der Ruprecht-Karls-Universität dichter Weihrauch quillt. Hier wirkt Prof. Dr. Ekkehart Reimer, einer der renommiertesten Rechtswissenschaftler Deutschlands.
Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden ist der 55-jährige Jurist zuletzt als katholischer Aktivist, der auch schon mal gezielt anderer Leute Wikipedia-Artikel „bearbeitet“ – wie im Fall seiner Kollegin, der designierten Verfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf.
Reimer ist kein gewöhnlicher Katholik. Er ist überzeugt, dass Gott selbst eine Rechtsordnung sei, aber der deutsche Staat diese göttliche Ordnung systematisch ignoriere. Es sei seine heilige Pflicht, das zu ändern. Wenn nötig durch Wikipedia-Ergänzungen. Und, nicht zuletzt, mit der Unterstützung fragwürdiger Parteien und Plattformen.
Geboren wurde Ekkehart Reimer am 2. November 1969 in Bonn als Sohn eines Küsters und einer Floristin mit Marien-erscheinungen. Seine früheste Erinnerung ist der Schmerz von heißem Kerzenwachs auf nackter Haut. Sein Taufpate war ein pensionierter Domherr mit Hörrohr.
Plüschtier mit Rosenkranz
Bereits mit vier Jahren verfasste der junge Ekkehart eine Eingabe an den Vatikan, in der er die Seligsprechung seines Stoffesels „Pater Bommel“ forderte; mit der Begründung, das Plüschtier bete täglich mit ihm den Rosenkranz – auf Latein. Die Antwort des Heiligen Offiziums war höflich, aber ablehnend.
Auch im Kindergarten fiel eine gewisse „Hochbegabung“ auf: Während andere Kinder noch mit Playmobil-Figuren spielten, rekonstruierte der kleine Ekkehart aus Lego ein vatikanisches Konzil – mit Abstimmungen (rote Steine), Dogmen (blaue) und Exkommunikationen (grüne). Er wählte sich selbst zum Papst und exkommunizierte seine Kita-Freundin Franziska, weil sie behauptete, eine Schwangerschaft dauere „nur“ neun Monate.
Als Messdiener war er unter seinen Pfarrern gefürchtet: Statt pflichtgemäß die abgegriffenen Gebetszettel aus dem Kirchenschiff zu fegen, dozierte er in der Sakristei über das Subsidiaritätsprinzip des Kirchenrechts. Mit fünfzehn verfasste er eine weitere Eingabe an Rom. Diesmal mit der Forderung, das Bußsakrament künftig auf Altgriechisch abzuhalten – „zur spirituellen Vertiefung“. In der Schule zog er sich oft zurück, nicht aus Schüchternheit, sondern weil er täglich bis zu sechs Stunden auf der Schultoilette betete – „wegen der besseren Akustik“.
Nach seinem Abitur am Bonner Collegium Josephinum begann er ab 1991 in Heidelberg und München Kirchenstaatsrecht zu studieren, ergänzt um Nebenfächer wie Inquisition und Exorzismus. Seine juristische Haltung war von Beginn an geprägt durch eine Mischung aus mystischer Frömmigkeit und dogmatischer Rigidität. In seiner Habilitation „Lex divina – Elemente einer theonom begründeten Verfassungsordnung“ vertrat der inzwischen als „Jurist Gottes“ auftretende Reimer die These, dass das Grundgesetz „in entscheidenden Punkten der Offenbarung widerspreche“. Stattdessen plädierte er für eine Verfassung, die sich „an der Hausordnung Gottes“ orientiere.
Adam ohne Eva
Auch später fiel Reimer auf. An Karfreitag ging er als Adam ohne Eva über die Heidelberger Neckarbrücke. Im Hörsaal unterbrach er Vorlesungen, um lateinische Antiphonen zu singen. Einmal wurde er dabei beobachtet, wie er Gesetzestexte mit Weihwasser besprengte – zur „Entdämonisierung des BGB“. Zuletzt editierte er unter Klarnamen den Wikipedia-Artikel besagter Kollegin, der er unterstellte, sie plädiere für Abtreibungen „bis zum zwölften Schwangerschaftsmonat“ (sic).
Heute lebt Professor Dr. Reimer in einer umgebauten Autobahnkirche, wo er täglich um drei Uhr morgens aufsteht, um sich selbst eine Messe zu lesen; Nachbarn hören dann regelmäßig gregorianische Gesänge aus dem Glockenturm steigen. Besucher beschreiben seine Klause als spartanisch, aber befremdlich: Kruzifixe an jeder Wand, lateinische Bibelzitate auf dem Boden, ein Beichtstuhl im Wohnzimmer. Überall Stoffesel.
In seiner Freizeit verfasst Reimer Leserbriefe an Christ & Welt, der Beilage der Zeit: oft mehrseitige Traktate, die zwischen kirchlichem Steuerrecht, mittelalterlicher Dogmatik und staatsrechtlichem Furor oszillieren. Keiner wurde bisher veröffentlicht.
Bleibt die Frage: Wie katholisch ist Reimer wirklich? Manche Kollegen belächeln ihn als religiösen Eiferer, andere bewundern seinen radikalen Klerikalismus. Ein Glaubensbruder, der ihn gut von Kirchentagen kennt, meint: „Ich glaube, wenn man den Ekkehart nur mal ließe, würde er aus dem Bundeskanzler- ein Bundeskatechetenamt machen.“ Aber – und das betont Ekkehart Reimer immer wieder in seinen „wissenschaftlichen“ Schriften: „Man könnte auch aus einem Stoffesel einen Verfassungsrichter machen.“
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