Der Staat und die Ehe: Nicht mehr zeitgemäß
Der Staat sollte sich aus intimem Lebensbereichen raushalten. Hunderte Normen in unserem Bürgerlichen Gesetzbuch gehören ersatzlos gestrichen.

A chtung, jetzt wird es unromantisch, aber progressiv: Heiraten ist irgendwie „normal“. Tatsächlich haben aber die allermeisten mehr oder weniger Verliebten absolut keine Ahnung, was die Eheschließung als der meist wichtigste Vertrag im Leben für rechtliche Auswirkungen hat. Egal, es ist normal. Über die rechtlichen Folgen zu Zugewinngemeinschaft, ehelicher Wohnung, gesetzlicher Vertretungsmacht füreinander und vieles mehr weiß vor dem Standesamt kaum eine der Vertragsparteien Bescheid. Wer eingebürgert werden will, muss sich mit deutscher Kultur auskennen, aber wer heiratet, muss nicht erfassen, welcher Schritt dadurch gegangen wird.
Sollten wir nicht intensiver darüber nachdenken, ob die Eheschließung insgesamt noch zeitgemäß ist? Das Konstrukt stammt aus einer Zeit, in der es um die finanzielle Absicherung oft im Austausch für Hingabe ging, aber in der modernen Gesellschaft ist das nicht mehr vorrangig. Als Zeichen lebenslanger Liebe und Verbundenheit ist die Ehe auch kaum noch geeignet, angesichts von nahezu hälftiger Scheidungsquote.
Vielleicht ist es gerade die rechtliche Bindung, die Druck ausübt. Warum überhaupt ein Rechtskonstrukt bestehen muss, ist ohnehin fraglich. Es ist doch eigentlich nicht die Aufgabe des Staates, mit einem Vertragstypus in intime Lebensbereiche einzuwirken, aber genau das geschieht. Niemand wird gezwungen zu heiraten, aber der gesellschaftliche Druck infolge gesetzlicher Vorgaben ist faktisch da. Ebenso muss hinterfragt werden, warum der Staat im Steuersystem Unverheiratete benachteiligt.
Der Staat sollte sich aus diesem intimen Lebensbereich heraushalten. Ersatzlos sollten hunderte Normen in unserem Bürgerlichen Gesetzbuch gestrichen werden. Schockiert? Erst wenn in neuen Dimensionen gedacht wird, kann sich eine Gesellschaft entfalten, kann das reifen, was Menschen (möglicherweise) wirklich ersehnen und nicht nur abschauen, nämlich ein individuelles Leben ohne Zwänge, weder staatlich noch gesellschaftlich noch monetär.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin