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Der Staat als VorbildUngeheuer ohne Zähne

Kommentar von Jan-Paul Koopmann

Ist der Staat ein schlechtes Vorbild, weil er die vom Bürger eingeforderte Grundsteuererklärung nun selbst verschludert? Kann sein, ist aber auch egal.

Hier wohnen ungefähr 50 unfreiwillige Hilfs­ar­bei­te­r:in­nen des Finanzamts Foto: Martin Schutt/dpa

E s stimmt schon: Der Gedanke liegt nahe, dem Staat seine beim Grundsteuerdesaster gehörig verpatzte Vorbildfunktion unter die Nase zu reiben. Besonders klug ist es aber nicht. Denn es sieht höchstens ein bisschen witzig aus, wie Finanzministerien, -ämter und Kommunen private Grund­be­sit­ze­r:in­nen erst monatelang wegen der Grundsteuererklärungen auf Trab gehalten haben – um dann kurz vor Fristende im Januar für staatseigene Liegenschaften weiteren Aufschub auszuhandeln. Weil das alles viel zu kompliziert und aufwendig sei.

Das Land Bremen etwa hat gerade mal zwei Drittel eingereicht. Auch Baden-Württemberg, Hamburg, Schleswig-Holstein und Sachsen hängen hinterher. Selbst der Bund als Vorbild der Vorbilder kriegt es nicht geregelt und fasst zurzeit die Abgabe im Herbst ins Auge: September, oder so. Mal gucken.

Wer’s nicht mitbekommen hat: Die Höhe der Grundsteuern soll neu berechnet werden, wofür allerlei Daten ins System müssen. Genauer gesagt: an anderer Stelle ins System, denn vorliegen tun sie längst: Grundstücksgrößen, Nutzflächen der Gebäude, Lage, Flurstück, Grundbuchblatt … das alles ist dem Staat durchaus bekannt, muss jetzt aber eben von einer Tabelle in die andere, wofür man – weil es wie gesagt nervt wie Sau – die Bürgerinnen und Bürger in die Pflicht nahm.

Vorstellen kann man sich das wie die Volkszählung in der Bibel, nur eben digital und etwas absurder, weil Volk und Quadratmeter eben längst durchgezählt waren. Das „Wie weiter“ hängt dann vom jeweiligen Land ab, dreht sich hier um „Bodenrichtwert“, dort ums „Wohnlagemodell“ – oder beispielsweise in Niedersachsen ums „Flächen-Lage-Modell“, was dem Auswürfeln vielleicht noch am nächsten kommt. Vielleicht auch nicht, ist ganz egal.

Und natürlich ist es hochgradig peinlich, dass der Staat beim eigenen Grund und Boden nicht in die Pötte kam. Aber „Vorbildfunktion“, wie sie unter Grund­ei­gen­tü­me­r:in­nen im Plausch am frisch vermessenen Gartenzaun heißt – und bisweilen auch in Redaktionskonferenzen der taz? Von wegen „ausgerechnet Dings müsste doch bums!“.

Ein ideeller Gesamtkindergärtner

Diese Vorstellung vom Staat als ideellen Gesamtkindergärtner überzeugt nicht und macht auch ein bisschen betroffen. Was ist nur geworden aus den Monstern alter Zeiten: dem Leviathan, wie Thomas Hobbes den absolutistischen Staat beschrieb – oder Behemoth, Franz Neumanns institutionalisiertes Chaos im faschistischen deutschen Unstaat. „Ein schlechtes Vorbild“ kann dagegen nur abstinken.

Der Staat spricht die Sprache der Gewalt, eine andere kennt er nicht – erst recht nicht die der Pädagogik. Andererseits passt es schon. Schließlich fällt auch die Gängelung säumiger Grund­­­ei­gen­­tü­me­r:in­nen tatsächlich verhältnismäßig harmlos aus. So hatte das Handelsblatt im Interesse seiner Kernklientel neulich mal nachgefragt, was nun eigentlich passiere, wenn wer die Frist verstreichen lasse. Die Antwort: Erstmal nichts. Ab Sommer gehen vielleicht Mahnungen raus, oder mal sehen.

Vielleicht ist der Leviabehemoth träge geworden. Sicher spielt auch eine Rolle, dass es ausnahmsweise die besitzende Klasse ist, nach der er hier die Klauen ausstreckt. Erst mal jedenfalls. Denn sollten die Zahlen je erfasst sein, geht’s ja ans Bezahlen, wofür natürlich die Mie­te­r:in­nen zuständig sein werden. Und dann dröhnt vielleicht wieder ein urtümlich-brachiales Brüllen aus der depperten Maske des schlechten Vorbilds.

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Redakteur und CvD
Jahrgang 1982, schreibt aus dem Bremer Hinterland über Kultur und Gesellschaft mit Schwerpunkten auf Theater, Pop & schlechter Laune.
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11 Kommentare

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  • Merkwürdiger Kommentar. Also soll der Staat mit Gewalt und Repression agieren?

  • Ich habe versucht zu schummeln, kleinere Flächen angegeben. Wurde im neuen Bescheid vom Amt korrigiert ! ! ! Alle geforderten Daten sind bei den Ämtern schon vorhanden. Jeder Eigentümer hat ja schon einen Grundsteuerbescheid und zahlt! Es ist wieder die schlecht organisierte, träge, das haben wir schon immer so gemacht, Verwaltung.

  • Wird meiner Meinung nach gerade absichtlich verschludert weil die resultierenden Mieterhöhungen in den Ballungszentren jetzt langsam offensichtlich werden. Als der Staat und die Kommunen diese neue Geldquelle anzapfen wollten, war von den Preissteigerungen der letzten Zeit ja noch keine Rede.



    Bei unseren 2 Wohnungen in Berlin liegt die kommende Steigerung der Grundsteuer wahrscheinlich so bei knapp 200% natürlich nur bis Berlin wie bereits angekündigt die Hebesätze in 2025 nochmal erhöht. Zum Glück ist die Grundsteuer ja voll umlagefähig. Auf meine Mieter kommt also wieder eine Erhöhung der Nebenkosten zu. Wahrscheinlich gibt es dann bald wieder eine Kampagne gegen Miethaie von der Politik um hier semantisch für Ausgleich zu sorgen.

  • 6G
    659554 (Profil gelöscht)

    Ja, der Staat ist kein Vorbild. Deshalb muss man ihm auch Beine machen, oder es zumindest versuchen. Siehe Letzte Generation z.B.

  • Leider hat der Artikel einen sachlichen Fehler: Einige der Daten sind dem Staat nun mal eben nicht bekannt. Insbesondere die Wohn- und Nutzfläche der Häuser. Das wissen manchmal nicht mal die Leute, denen die Häuser gehören. Ich habe in meinem Umfeld viele Leute erlebt, die weder Flächen noch Baujahre ihrer Häuser kanten. Das kann bei alten Häusern die in x-ter Generation im Familienbesitz sind und ebenso oft umgebaut wurden, schnell vorkommen. Die anderen Daten werden übrigens den Steuerpflichtigen in recht übersichtlichen Portalen zur Verfügung gestellt. Grundflächen von Grundstücken sind fast nie das Problem.

    • @Jürgen Meyer:

      Auch Wohn- und Nutzfläche ist dem Staat bekannt; im "Westen" mit Daten anfang der 1960er, im "Osten" von 1935.



      Da das eh verglichen werden muss, hätten die Finanzämter die Eingabemasken (online) mit allen Daten, die vorhanden sind, füttern können (da stand nix) und die Eigentümer*innen hätten korrigiert/ergänzt.



      Ebenso in papierener Form, weil es soll tatsächlich noch einige Leute geben, die kein I-Net haben.



      Die Eingabemaske ist auch Schrott, wenn irgendwo ne Null eingegeben wird, isses ein Fehler, kein Eintrag ist da die Wahlmöglichkeit.



      Daß es noch nach BL verschiedene Berechnungsmodelle gibt, die wohl auch noch geändert werden, kommt noch erschwerend dazu.



      Und mal eben so kurz vorm Stichtag den Hebesatz anheben wird wohl ned nur hier die Kommune gemacht haben.



      Irgendwelche staatliche Vertreter*innen, die mensch hätte fragen können, Infoveranstaltungen o.ä. gibts auch ned.

    • @Jürgen Meyer:

      Dann kann man ja mal im Einzelfall nachfragen, oder ?

  • Ich bin sicher, dass sich da jemand mal wieder eine goldene Nase verdient.



    Die Software auf Finanzamtsseite hat sich sicher nicht von selbst programmiert (ChatGPT hin oder her)

    Mit fällt gerade ein: Wieviel Umsatz hat die "Steuerberatende Zunft" wohl mit den Steuererklärungen verdient ? Ich bin sicher dass man das nicht weiß und auch nicht wissen will.

    Ich finde es einfach unglaublich, dass Niemand, Keiner, kein Abgeordneter, kein Minister, kein leitender Beamter auf die Idee gekommen ist die eigenen Datenbestände zu durchforsten.

    Kein Wunder, dass sich gewisse Lichtgestalten gegen eine transparente Gesetzgebung (Stichwort: Gesetzesfußabdruck) wehren wie ein Coronaleugner gegen den Pieks.

  • Ich verstehe nicht, woher das mit dem Vorbild kommen soll, das habe ich bisher von niemandem so gehört. "Der Staat spricht die Sprache der Gewalt, eine andere kennt er nicht" steht völlig richtig im Artikel. Das war's auch schon.

    • @Wurstprofessor:

      Gegenfrage: Woher kommt die Vorstellung dass wir einen Staat haben der a la Ludwig XIV einfach alles mit Gewalt durchdrückt und selbst macht was er lustig ist?

      Ich finde es selbstverständlich dass in einer modernen, demokratischen Republik der Staat sich zuallererst an seine eigenen Regeln zu halten hat und eben nicht Willkürherrschaft mit Gewalt paart.

      • @M.Liberus:

        So schlimm ist es ja (noch) nicht. Aber es ist auch keine 80 Jahre her, da war "nnser" Staat viel schlimmer als alles ja dagewesene. Aber die Tendenz ist doch klar erkennbar, dieser Generalsipens für die eigenen Grundstücke ist doch nur ein letztes Beispiel. Sie erinnern sich vielleicht, daß "der Staat" sich allen Ernstes vom Mindestlohn ausnehmen wollte? Oder an das "Bürgerentlastungsgesetz", dessen eigentlicher Zweck das Aushöhlen des Datenschutzes und Ermächtigung der Behörden war? Oder 2017 das Gesetz gegen "Sozialbetrug", das einseitig etliche Antragsfristen usw. verkürzte? Wie Unternehmen gehetzt werden für Beschäftigungspraktiken, die im öffentlichen Bereich als unvermeidlich dargestellt werden? Wie die meisten kleinen Prozesse gegen hintertupfinger Bauamtswillkür usw. ist. ausgehen? Man könnte beliebig weitermachen - ohne überhaupt auf staatliches Verhalten in den grßen Themen der Zeit zu sprechen zu kommen.