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Der Nutzen des Gutachtens

Der Verfassungsschutz hat die AfD als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft. Damit könnte auch der Antrag auf ein Parteiverbot begründet werden

Von Christian Rath

Das Verfassungsschutzgutach­ten zur Einstufung der AfD wird große Auswirkungen auf die Diskussion über ein AfD-Parteiverbot haben. Versuche von CDU-Politikern, beide Fragestellungen inhaltlich zu trennen, überzeugen nicht.

Anfang Mai gab das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bekannt, dass es die AfD-Bundespartei als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft hat. Wenige Tage später setzte das BfV zwar die Einstufung bis zu einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Köln vorläufig aus, ohne aber seine Einordnung inhaltlich zurückzunehmen. Vor wenigen Tagen wurde nun sein 1.108 Seiten umfassendes Gutachten durch einen Leak bekannt. Welche Bedeutung hat es für die Diskussion eines AfD-Verbots?

„Das sind zwei völlig verschiedene Dinge“, sagte ­Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) jüngst im taz-Interview und machte damit besonders prägnant deutlich, wie die CDU versucht, die Diskussion über ein AfD-Verbot abzuwürgen. „Die Latte für ein Verbot liegt weit höher“, so Schuster. Erforderlich sei auch „ein kämpferisch-aggressives Vorgehen, in Wort und Tat, um demokratische Organe zu beseitigen. Also planvolle Umsturzfantasien, die kämpferisch-aggressiv umgesetzt werden sollen.“ So etwas lasse sich bei der AfD aber nicht so einfach belegen, argumentierte er.

Nun hat das Bundesverfassungsgericht in zwei Entscheidungen zur NPD 2017 und 2024 deutlich gemacht, welche Maßstäbe für ein Parteiverbot gelten. Danach reichen verfassungswidrige Ziele nicht aus. Das Grundgesetz sanktioniere nicht Ideen und Überzeugungen, kenne keine Gesinnungsverbote und erzwinge keine Werteloyalität. Erforderlich sei vielmehr, dass eine Partei über das Bekennen ihrer verfassungsfeindlichen Ziele hi­naus die Grenze zum „Bekämpfen“ der freiheitlichen demokratischen Grundordnung überschreite. Es müsse also eine „aktiv kämpferische Haltung“ eingenommen werden.

Die Schwelle hierfür setzt das Bundesverfassungsgericht aber sehr niedrig an. Eine Partei ziele darauf ab, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, wenn sie im Sinne dieser Ziele „planvoll“ handele. Eine Partei könne auch dann verfassungswidrig sein, wenn sie ihre verfassungsfeindlichen Ziele ausschließlich mit legalen Mitteln und unter Ausschluss jeglicher Gewaltanwendung verfolge. Erforderlich sind laut Bundesverfassungsgericht ein „strategisches Konzept“, wie die Partei die Ziele erreichen will, und „konkrete Aktivitäten“ zur Umsetzung der Ziele. Ausreichend seien hier „regelmäßige Veranstaltungen“, „Öffentlichkeitsarbeit“ und die „Teilnahme an Wahlen“.

Die Fragestellungen von Hochstufung und Verbot liegen sehr eng beieinander

Anders als Schuster behauptet, geht es dem Bundesverfassungsgericht auch nicht nur um „Umsturzfantasien“ und die Beseitigung demokratischer Organe. Vielmehr ist der Begriff der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ weiter gefasst. Gemeint sind damit die drei zentralen Schutzgüter Demokratie, Rechtsstaat und Menschenwürde. Gegen die Menschenwürde verstößt laut Bundesverfassungsgericht auch ein „ethnischer Volksbegriff“ mit der Vorstellung vom deutschen Volk als „Abstammungsgemeinschaft“, zu der eingebürgerte Deutsche nicht gehörten. Vor allem Letzteres wirft das Verfassungsschutzgutachten der AfD vor.

Bei der Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch und dem Stellen eines Verbotsantrags gehe es auch nicht „um zwei völlig verschiedene Dinge“, wie Schuster behauptet. Vielmehr liegen beide Fragestellungen sehr eng beieinander. Bei der Einstufung geht es um „Bestrebungen“. Das sind laut Verfassungsschutzgesetz „ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen“ eines Personenzusammenschlusses. Das ist in etwa dasselbe wie das vom Bundesverfassungsgericht geforderte „planvolle Handeln“ einer Partei zur Erreichung verfassungswidriger Ziele.

Das Verfassungsschutzgutachten ist also durchaus geeignet, die Erfolgsaussichten eines AfD-Verbots zu diskutieren. ­Unsicherheiten über den Ausgang werden aber verbleiben, denn das Bundesverfassungs­gericht ist weder an die Einschätzungen des Geheimdiensts ­gebunden noch an nachfolgende Urteile der Verwaltungsgerichte.

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