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Der HausbesuchSie war ein Draußenkind

27 Jahre war Monika Ziebeil Telefonistin im Virchow-Krankenhaus in Berlin. Als sie ein betrunkener Kollege schlug, hat sie gekündigt.

Monika Ziebeil in ihrer Wohnung in Reinickendorf – sie war die jüngste von vier Geschwistern Foto: Stefanie Loos

Sie ist Berlinerin. Und sie will, wie Friedrich der Große es einst sagte, nach ihrer Façon selig werden.

Draußen: Verlassen wirkt die Wohnstraße in Reinickendorf im Norden Berlins. Das liegt am Nieselregen. Und am Shutdown. Eigentlich hätte, wer die Straße hochginge, ein schönes Ausflugsziel: den Schäfersee mit Café am Ufer. Nur ist derzeit alles zu.

Drinnen: Monika Ziebeil findet, die besten Farben für Sofas, Teppiche, Möbel seien Beige und Braun. Nippes und Fotos sind wichtigstes Dekor. Das neueste Stück in ihrer Stube ist der Fernsehsessel, auf dem sie die schmerzenden Füße hochlegen kann. Die Farbe Rot mag sie auch. Die weißen Küchenschränke, bei Quelle hat sie sie vor fast 30 Jahren gekauft, sind rot verziert.

Keine rosigen Zeiten: Seit 20 Jahren wohnt Monika Ziebeil in den eineinhalb Zimmern. Sie hat fast ihr ganzes Leben in dem Bezirk gelebt, hier ist sie vier Monate nach Kriegsende geboren. Als Jüngste von vier. Die Wildeste. „Ich war wie ein Junge.“ Weil sie und ihr Bruder im Hungerjahr 1946 fast gestorben wären, man sie im Krankenhaus nicht behalten wollte, „hier sterben schon genug Kinder“, hätten die Ärzte gesagt, war entschieden worden, dass der Junge zur Mutter und die Kleine zur Großmutter kommt. Diese lebte in einer zugigen Laube, zog aber auf jedem Fleckchen Grün Gemüse und Obst und päppelte nicht nur „die Kleene“ damit auf, sondern versorgte alle Verwandten. Von da an war Ziebeil ein Draußenkind.

Seit 20 Jahren wohnt Monika Ziebeil in einer kleinen Wohnung in diesem Haus Foto: Stefanie Loos

Berlin nach dem Krieg: Kinder gucken mit großen Augen auf die Welt und stellen sie nicht in Frage. Die kaputte Stadt, die Armut, Kinder werten das nicht. Einzig die oft erzählten Geschichten der Erwachsenen klingen bedrohlich. Dass die Großmutter, als die Russen in Berlin einmarschierten, ein Schild auf Russisch ans Gartentor hängte: „Achtung, Typhus“. Sie konnte die Sprache ein wenig. Offenbar hatten die Soldaten Mitleid und gingen wieder. Dass zudem Frauen versteckt waren in der Laube, die so vor Vergewaltigung geschützt wurden, wird auch erzählt. Und dann tauchten da noch die gebrochenen Männer auf. Ihr Vater einer von ihnen. Er starb schon 1948.

Überhaupt Vater: Unklar ist sowieso, ob dieser Mann ihr Vater war. Alles spricht dagegen. Er habe sie ignoriert, wenn nicht gar verachtet. Sie sah anders aus als ihre blonden Geschwister, sie war schwarzhaarig mit prägnanter Nase. „‚Zigeunersche‘ hat meine Oma oft zu mir gesagt.“ Und dann tauchte an ihren Geburtstagen und Weihnachten immer ein Mann auf, „der Jakubasch, ein schöner Mensch“, und habe nur sie beschenkt. Die Mutter hätte ihre Herkunft kennen müssen, nie jedoch sprach sie darüber.

Die besten Farben für Sofas, Teppiche und Möbel seien Beige und Braun, Nippes und Fotos sind wichtig Foto: Stefanie Loos

Trümmer überall: Aber Ziebeil macht kein Gewese um die Umstände. Spricht sie vom Vater, meint sie den, der in der Geburtsurkunde steht. Den, von dem man sagt, dass er verhärmt war, dass er ihre ältere Schwester oft grundlos in die Kohlenkammer sperrte. Ohnehin ging es nach dem Krieg darum, sich aus den Trümmern hochzuarbeiten. Die Verluste zu verkraften, sämtliche Brüder der Mutter tot. Da hat man nicht so auf Kinder geachtet. „Ich bin wild aufgewachsen. In der Schule war ich schwach. Niemand kümmerte sich.“ Nach der Schule macht sie eine Lehre als Verkäuferin. Mit Jungs hat sie es nicht so. Und Rock ’n’ Roll, Elvis Presley, Twist? „Nicht mein Ding.“ Allerdings toupiert sie ihre Haare, wie man es damals tat.

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Die Hilfsbereite: „Man hat sich nach dem Krieg unterstützt“, sagt sie. Das sei ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Bis heute. Eine Zeit lang sollte sie zwei alte Tanten pflegen. „Das überforderte mich aber.“ Sie nimmt dann eine Stelle in einem Kurheim für Berliner Arbeitermänner in Bad Oeynhausen als Hausmädchen an. 500 D-Mark und Kost und Logis. 200 D-Mark schickt sie jeden Monat der Mutter. „Die hatte nichts. Meine Schwestern haben sie auch unterstützt.“

Der Mann: Sie fand es nicht komisch, dass sie an Männern kein großes Interesse hatte. Einmal sei sie mit Kolleginnen in Bad Oeynhausen tanzen gegangen und ständig aufgefordert worden, habe aber abgelehnt. „Bitte, du musst mit einem tanzen, sonst werden die ungemütlich“, hätten die Freundinnen gesagt. „Die lauern uns nachher auf, ‚bist wohl was Besseres, hältst uns für Dorftrottel‘, sie schubsen und bedrängen einen“, warnten sie. „Ich hatte trotzdem keine Lust.“ Hinter ihr saß ein Mann, Bernd hieß er, „das wird allmählich gefährlich, Sie müssen mit jemandem tanzen“, soll er gesagt haben. „Da habe ich mit ihm getanzt. Er hat mich nicht bedrängt.“ Sie lässt sich auf ihn ein. Und wird schwanger.

Zurück nach Berlin: Der Mann will sie heiraten, sobald er geschieden ist. Er organisiert eine Wohnung für sie in Düsseldorf. Kurz bevor er den Mietvertrag unterschreibt, lehnt sie ab. „Das lass mal bleiben“, sagte sie. „Ich wollte das nicht.“ Weil ihre Mutter nicht nach Bad Oeynhausen kommen will, um auf das Kind aufzupassen, „die hätten uns sogar eine Wohnung gestellt im Kurhaus“, geht sie zurück nach Berlin. Zieht mit ihrer Mutter zusammen, kriegt, da ist sie 22, den Sohn und fängt wieder an zu arbeiten, erst als Verkäuferin, ab 1978 für 27 Jahre als Telefonistin im Krankenhaus. Im Kegelclub hatte man ihr von der Stelle erzählt. Als das Kind noch klein ist, holt sie es manchmal aus der Krippe und geht mit ihm zurück zur Arbeit. Das Kind sei pflegeleicht gewesen. „Den konntest du wo hinsetzen, und da ist er sitzen geblieben.“

Die Neigung: Dass sie mehr auf Frauen steht, habe sie schon als Mädchen gewusst, hat es aber für sich behalten, solange der Sohn klein war. Als er 18 ist, gibt sie eine Annonce auf „in einer Zeitschrift, die für solche Sachen offen war“. Mona antwortet. Sie treffen sich am Kurt-Schumacher-Platz. „Gleich am ersten Abend bin ich mit ihr mit. Zahnbürste und Unterwäsche hatte ich dabei.“ Sie könne doch nicht gleich mitgehen, habe Mona gesagt. Sie meinte es nicht sehr ernst. Ziebeil hat sich dann geoutet. „Mutter, ich muss dir was sagen, ich habe jemanden kennengelernt, eine Frau. Mit ihr will ich zusammen sein.“ Da soll die Mutter geantwortet haben: „Hast ja recht, musst keine dreckigen Männerunterhosen waschen.“

Das Anderssein: Mona ist Ziebeils große Liebe. Sie ziehen zusammen. Mit ihr verreist sie. Mit ihr geht sie aus. In „Die 2“. Lieber noch ins „Pour Elle“. Berliner Frauenbars der 70er, 80er, 90er Jahre, die es nicht mehr gibt. Eines Abends sieht sie ihre Nichte im Pour Elle. „‚Bienchen‘, hab ich durch den Raum gerufen. Eine Überraschung.“ Aber doch auch nicht so überraschend. Irgendwie liege das Anderssein in der Familie. Da waren ihre zwei Großtanten – gut, über die habe man nur hinter deren Rücken so geredet. „Und dann der Onkel Kurt, der Bruder meiner Mutter. Der ist aber jung an Krebs gestorben.“ Jetzt also ihre Nichte. „Ein Neffe auch noch. Moni, ich bin schwul, hat er zu mir gesagt.“ Flugbegleiter ist er.

Der Knall: Fünf Jahre dauert die Beziehung mit Mona. Dann passiert Schlimmes. Ziebeil hat eine Operation im Krankenhaus. „Ich war noch nicht dort angekommen, stand schon Leni bei Mona vor der Tür.“ Leni war Ziebeils beste Freundin. Und die fängt was mit Mona an. Ziebeil ist am Boden. „Dass ausgerechnet Leni mir die Mona wegnimmt.“ Sie hat Jahre gebraucht, um darüber wegzukommen. Heute sagt sie: „Wahrscheinlich wäre es sowieso nicht gut gegangen. Mona hat viel getrunken.“ Entgrenzt soll sie gewesen sein. Vulgär mitunter. „Da habe ich manchmal aufpassen müssen, dass ich nicht mitgerissen werde.“ Irgendwann habe Ziebeil den beiden verziehen.

Intoleranz: Lesbisch sein in ihrem Milieu – es hört sich an, als wäre es einfach. Ist es aber nicht. Nach der Wende werden das Virchow-Krankenhaus und die Charité zusammengelegt. „Mit den neuen Kollegen und den Rationalisierungen veränderte sich das Betriebsklima.“ Ein Ostkollege sei über sie hergezogen, habe sie beschimpft, sich über das Lesbische mokiert, habe sie sogar geschlagen. „Der war ziemlich betrunken.“ Eine Entschuldigung ist das nicht. Der Kollege wird zwar versetzt, aber Ziebeil kündigt trotzdem. Mit Abfindung. Nur findet sie danach keinen neuen Job. Mit 60 geht sie in Rente, „mit 33 Prozent Abschlag“. Heute putzt sie nebenher, um einigermaßen über die Runden zu kommen.

Glück: „Mich nach Mona auf eine neue Liebe einlassen, das konnte ich nicht.“ Aber Ziebeil hat Freundinnen. Helga und noch eine Helga und Erika. Nach und nach werden alle krank. Sie betreut sie, manche bis zum Tod. Auch Mona, die Krebs bekam, unterstützte sie. Heute hilft sie ihrer Nichte, ihrem Sohn, ihrer Schwester. Die Arbeit in deren Garten erfüllt sie mit Freude. Denn eigentlich wäre sie gerne Gärtnerin geworden.

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3 Kommentare

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  • Diese Art von Stories sind eine der besten Seiten des Jornalismus! Mal einen Einblick in das Leben andere bekommen ist einfach faszinierend. Danke!

  • Ja stimme ich zu - und auch so schön berlin-melanchonisch.



    Würde Fr Ziebeil gerne ins Cafe Mevera einladen, nach Corona dann...

  • Was eine spannende Lebensgeschichte! bewundernswert!