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Der Fall Claas Relotius und JournalismusDas Problem der Geschichten

Claas Relotius ist Produkt eines journalistischen Zeitgeistes, der Schönschreiben feiert. Und Recherche und Quellen-Transparenz vernachlässigt.

„Der Spiegel“ ist ein Hort der Wahrheit, Relotius ein Nestbeschmutzer. War es wirklich so? Foto: dpa

„Hört mal auf mit eurer Kischologie“, soll der langjährige US-Korrespondent der Zeit, Thomas Kleine-Brockhoff, vor 20 Jahren zu Kollegen gesagt haben. Kischologie bezieht sich auf den Egon-Erwin-Kisch-Preis, den wichtigsten Preis für schreibende Journalisten in Deutschland, der heute Nannen-Preis heißt. Der Begriff sollte also all jene verspotten, die Texte vor allem dafür schreiben, Preise zu gewinnen, die Schönschreiber.

Ullrich Fichtner, künftiger Chefredakteur des Spiegels, erwähnt dieses Zitat am Mittwoch in einem Gespräch mit Journalisten. Er versucht damit zu erklären, was sich nur schwer erklären lässt: Wie konnte ein Reporter des Hauses, Claas Relotius, Edelfeder, Mehrfach-Preisträger, herausragendes Jungtalent, den Spiegel und wohl auch andere Medien über Jahre täuschen? Der Spiegel hatte den Betrug am Mittwoch öffentlich gemacht.

Relotius, der vor allem aus dem Ausland berichtete, hat in mindestens 14 seiner insgesamt knapp 60 für den Spiegel verfassten Texte Passagen erfunden. Er hat Protagonisten erdacht, hat ihnen Biografien angedichtet, hat sich Szenen und Zitate ausgedacht. Nachdem ein Kollege ihm hinterherrecherchiert und seine Ressortleiterin ihn zur Rede gestellt hatte, gab Relotius den Betrug zu. Er hat mittlerweile gekündigt.

Es ist einer der größten Betrugsfälle im deutschsprachigen Journalismus. Die Spiegel-Redaktion ist geschockt, viele Kollegen in anderen Häusern sind es auch. Die AfD jubelt, weil sie glaubt, nun den Beweis für die verhasste „Lügenpresse“ zu haben. Der Imageschaden des Magazins und der ganzen Branche dürfte enorm sein.

Wie konnte das passieren?

Um das zu erklären, muss man gar nicht nur im Spiegel graben. Man muss sich einmal anschauen, welche Kriterien heute für journalistische Brillanz gelten, was an Journalistenschulen gelehrt wird und welchen Stellenwert Journalistenpreise haben. Das Portal journalistenpreise.de listet rund 500 Preise auf, die aktuell vergeben werden. Nicht alle sind gleichermaßen angesehen. Aber die Zahl zeigt, dass sie heute eine Währung darstellen. Und die Redaktionen – auch die taz – bejubeln sich gern selbst.

Der Begriff Geschichte ist eben sehr nah an „Märchen“, es scheint verführerisch, hier und da ein bisschen auszuschmücken

Der Spiegel hat, wie andere große Blätter auch, Standards gesetzt, wie heute journalistische Texte erzählt werden. Porträts und Reportagen leben von einer möglichst großen Nähe. Vom Nacherzählen, Nachfühlen, von Emotionalität und Details. An Journalistenschulen lernt der Nachwuchs, dass Reportagen beim Leser „Kino im Kopf“ erzeugen sollen, dass ein guter Text starke „Protagonisten“ braucht und einen „Konflikt“, dass die „Dramaturgie“ des Textes wichtig ist. Man lernt, die Texte nicht Artikel zu nennen, sondern „Geschichten“. Journalistenschüler belegen „Storytelling“-Seminare, als schrieben sie für Netflix.

Das ist zum einen berechtigt, denn die Wirklichkeit ist komplex. Damit komplizierte Recherchen lesbar werden, müssen sie gut erzählt sein. Die „Football Leaks“, also die Skandale rund um Korruption im Fußball, die der Spiegel recherchiert hat, wurden vor allem deswegen von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen, weil sie sich personalisieren ließen, weil darin auch vorkam, wie der Starfußballer Cristiano Ronaldo 2009 eine Frau vergewaltigt und Schweigegeld gezahlt haben soll.

Die Inszenierung von Reportagen ist aber auch Teil des Problems. Der Begriff „Geschichte“ ist eben sehr nah an „Märchen“, es scheint verführerisch, hier und da ein bisschen auszuschmücken. Ein Detail zu erwähnen, das die Stimmung unterstreicht, ein Zitat so zu biegen, dass es stärker wird. Relotius soll, so schreibt es der künftige Spiegel-Chefredakteur Fichtner, gern bei der Musik dick aufgetragen haben: Ein einsames Kind singt ein trauriges Lied, Sträflinge singen im Waschraum Popsongs. Stimmte nur meist nicht.

Kultur der Unfehlbarkeit und Intransparenz

Es gab in den letzten Jahren immer wieder kleinere und größere Unwägbarkeiten bei Spiegel-Texten. Da war zum Beispiel, einer der größeren, René Pfister, der 2010 einen Text über Horst Seehofer schrieb. Der Text beginnt mit einer ausführlichen Beschreibung von Seehofers Modelleisenbahn. Pfister bekam dafür 2011 den schon angesprochenen Henri-Nannen-Preis. Als er die Auszeichnung entgegennahm, kam heraus, dass Pfister nie in Seehofers Keller gewesen war. Er habe lediglich Eindrücke Dritter zusammengeschrieben. Im Text hatte er das aber nicht kenntlich gemacht, der Nannen-Preis wurde ihm später aberkannt. Pfister leitet heute das Hauptstadtbüro des Spiegels.

Dazu kommt Intransparenz: Im März dieses Jahres veröffentlichte der Spiegel einen Text über eine Frau, die im Berliner Techno-Club Berghain gestorben war, nachdem sie Drogen genommen hatte. Darin kam auch der Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) zu Wort, mit Zitaten, die nahelegten, für Lederer seien Tote ein etwas hässlicher, aber zu tolerierender Nebeneffekt einer bunten Partykultur.

Lederer reagierte empört. Er sah sich getäuscht, weil er, wie er twitterte, mit dem Reporter Alexander Osang nie über die Tote gesprochen habe. Stattdessen habe er mit dem Reporter allgemein über die Clubkultur der Stadt gesprochen. Später meldete sich auch ein im Text zitierter Polizeibeamter auf dem Medienblog Übermedien und behauptete, mit Osang nur im Hintergrund gesprochen zu haben, aber dennoch ungefragt zitiert worden zu sein. Auf taz-Nachfrage wollte sich Osang damals nicht dazu äußern.

Ähnlich lief es auch im Mai dieses Jahres. Da veröffentlichte der Spiegel einen Text über den damaligen Fernsehfilmchef des WDR, dem mehrere Frauen sexuelle Übergriffe vorwarfen. Der Text brachte die #MeToo-Affäre im WDR erst richtig ins Rollen. Der Fernsehfilmchef beschwerte sich, er sei vom Spiegel nicht fair mit den Vorwürfen konfrontiert worden. Auf damalige taz-Nachfrage wollte eine der Autorinnen des Spiegel-Textes nicht antworten. Heute begründen die Autorinnen das mit einem laufenden Rechtsstreit.

All diese Fälle sind sehr unterschiedlich und nicht vergleichbar mit einem Reporter, der sich über Jahre Protagonisten und ganze Textpassagen ausgedacht hat. Der, so wie es aussieht, vermutlich Unwahres nicht nur im Spiegel, sondern auch bei Zeit Online und im Magazin der Neuen Zürcher Zeitung untergebracht hat. Aber sie zeigen eine bestimmte journalistische Kultur der Unfehlbarkeit und der Intransparenz. Die gute Geschichte, die richtige Zuspitzung oder die steile These scheint im Zweifel manchmal wichtiger zu sein als Fakten und journalistische Fairness.

Quellen offenlegen

Und das nicht nur beim Spiegel. Es sei hier nur kurz erinnert an Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung. Er schrieb 2012 ein Porträt über Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Prantl beschrieb detailliert, wie Voßkuhle in seiner Küche Gäste bekocht, wie Voßkuhle selbst das Dressing anrührt. Prantl schrieb, als sei er dabei gewesen. War er aber nicht. Er war damals nicht in Voßkuhles Küche.

Das Stilmittel der „szenischen Rekonstruktion“ dessen, was „hinter verschlossenen Türen passiert“, sei im „politischen Journalismus“ legitim, sagte der stellvertretende Spiegel-Chefredakteur Dirk Kurbjuweit am Mittwoch im Zusammenhang mit Relotius. Man müsse aber dieses Verfahren und die Quellen offenlegen.

Auch der Spiegel-Text, der den Fall Relotius rekonstruiert, bedient sich solch szenischer Rekonstruktionen. Er liest sich wie ein Krimi, ist geschrieben in dem Stil, mit dem Relotius groß geworden ist. Der Kollege, der ihn zu Fall gebracht habe, sei wochenlang „durch die Hölle“ gegangen, durch „tiefe Täler“. Relotius, so beginnt der Text, sei kurz vor dem Ende seiner Karriere „Glanz und Elend“ noch „einmal ganz nah“ gekommen. Relotius sei „ein journalistisches Idol seiner Generation“, und das lässt sich natürlich nicht leicht widerlegen, denn man kann die Generation ja nicht mal eben anrufen und nachfragen, ob das stimmt. Der Text strotzt nur so vor Pathos. Am Ende bleibt hängen: Der Spiegel ist ein Hort der Wahrheit, Relotius ein Nestbeschmutzer. Selbstkritik räumt der Autor des Textes und künftige Spiegel-Chefredakteur Ullrich Fichtner kaum ein.

Dabei stünde sie dem Spiegel gut. Das Magazin hat über viele Jahre seine Kernkompetenz, die Recherche, vernachlässigt. So empfinden es zumindest die Rechercheure im Haus. 1999 startete der Verlag Spiegel Reporter, ein Magazin für Reportagen, Essays, Interviews, geschrieben und geführt von brillanten Autoren. Es war der Versuch des Spiegels, in der Liga der großen Geschichtenerzähler mitzuspielen. Er scheiterte, nach nur 18 Ausgaben wurde das Heft 2001 eingestellt, die Reporter vom Mutterhaus übernommen und das Ressort „Gesellschaft und Reportage“ gegründet. Personell gehört es heute zwar eher zu den kleineren, dafür war es lange das mit dem höchsten Anteil an Redakteuren mit besonderen Privilegien.

Das zeigt der Innovationsbericht, den einige Mitarbeiter 2015 erstellt haben. Die Geschichtenerzähler beim Spiegel, intern werden sie „Märchenfraktion“ genannt, bekamen auch personell über die Jahre mehr Einfluss. Klaus Brinkbäumer, der im Sommer abgesetzte Chefredakteur, stand für das große Erzählen. Auch Ullrich Fichtner gehört zur Reporterfraktion. So sei über Jahre das Schönschreiben hausintern mehr prämiert worden als die Recherche, bemängeln einige im Haus. Dafür gab es Journalistenpreise – aber mit dem Fall Relotius jetzt vielleicht auch die Quittung.

Größer als der Fall Kummer

Steffen Klusmann, der künftige Chefredakteur, erklärte am Mittwoch, dass noch unklar sei, ob der Betrug von Relotius personelle Konsequenzen haben wird. Ob also etwa die Ressortleiter, die Relotius eingestellt und gestützt haben, werden gehen müssen.

Der Fall Relotius weckt Erinnerungen an Tom Kummer, den freien Reporter, der im Jahr 2000 damit aufflog, Interviews mit Hollywood-Promis gefälscht zu haben. Er veröffentlichte die zum Teil komplett erfundenen Gespräche im SZ-Magazin und im Magazin des Schweizer Tages-Anzeigers. Die damaligen Chefredakteure des SZ-Magazins mussten gehen, es wurde einer der größten Fälschungsskandale im deutschsprachigen Journalismus.

Der Fall Relotius ist noch größer als der Fall Kummer. Kummer hat Promi-Gespräche gefälscht, er hat betrogen in einer Welt, in der die Fassade sowieso oft heller leuchtet als die Wahrheit. In der Glanz und Glamour oft mehr zählen als Tatsachen.

Relotius hat Geschichten gefälscht, in denen es um Leben und Tod geht. Um Kriege, um Menschheitsverbrechen, um politisches Zeitgeschehen, um das Elend von Kindern. Er hat manipuliert, was wir über Kriege und Krisen wissen und denken, wie wir uns die oft elende Wirklichkeit vorstellen.

Die Frage ist nun, was aus Relotius folgen wird. Der Spiegel setzt eine Kommission ein, die seine Texte durchleuchten soll und Strategien erarbeiten soll, die solche Fälle künftig verhindern können.

Aber was passiert mit der Branche? Führt der Fall Relotius, wie es jetzt einige vermuten, wirklich zu mehr Demut im Journalismus? Zu weniger großen Reporter-Egos, zu weniger Journalistenpreisen, zu weniger Kischologie?

Nach den Skandalen um Kummer, Voßkuhle und Seehofer änderte sich in der journalistischen Kultur wenig.

Offenlegung: Von August bis September 2008 war Claas Relotius Praktikant der taz in Hamburg. Aus dieser Zeit finden sich im Archiv unter seinem Namen zehn Texte. Dazu kommt eine Buchbesprechung im Jahr 2011. Die Beiträge werden geprüft.

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24 Kommentare

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  • Kommentar entfernt. Bitte bleiben Sie sachlich.

  • Nicht alle Berichte zum Thema habe ich gelesen, einige nur überflogen, - es gab bei jemanden aus einem Preiskommitee bedenken weil eine nahezu identische Story zuvor einen Preis in den USA gewonnen hatte. (citation needed) - Wieso hat er da keinen Telefonhörer in die Hand genommen? Wieso war die Sache für ihn erledigt damit, dass er keinen Preis dafür verliehen hat? Wer war das noch mal? - es gab Ungereimtheiten die von einem Spiegel TV Team genannt wurden (citation needed) - es gab Quellen die sich beim Spiegel gemeldet haben, dieser Kleinstadt (auch Martenstein hat da einen Punkt gemacht) - es gab Moreno, dem gedroht wurde (Martenstein) alles ignoriert. Das ist nicht nur das System Spiegel, sondern der Journalismus in Deutschland, was für eine selbstgerechte Drecksbande die sich gerne in der Elbphilharmonie feiert und selbstbeweihräuchert, die Ossis haben einen Begriff dafür gefunden. Wenn Nazis recht haben - zum kotzen. Was tun? Sämtlichen Journalisten ins Gesicht spuken hilft ja auch nicht weiter. Bisher gibt es anscheinend keine hinreichenden Selbstkorrekturmechanismen im Journalismus. Öfters so in einem Subsystem, - dann muss der Gesetzgeber nachhelfen- , wie beim Sport mit Doping - wobei der Journalismus ja sich selbst gerne eine Kontrollfunktion zuschreibt, jenseits der Unterhaltungsfunktion. Ist der Journalismus ähnlich mit Lügen verseucht wie der Sport mit Doping?

  • Der Relotius hat sich wohl gedacht, das machen doch alle so.

    - Prantl bei der Süddeutschen,

    - "Pfister leitet heute das Hauptstadtbüro des Spiegels."

    Der designierte Chefredakteur Steffen Klusmann vom Spiegel verspricht: "Wir ziehen unsere Lehren"

    da hat man eine Hypothese wie das ausgehen wird mit der Aufklärung, siehe Pfister.

    - die beiden Leute die die Hand über ihn gehalten haben sind immer noch beim Spiegel, wenn auch mit ruhenden Verträgen.

    sehr schön auch, Tom Farmer im taz- Kommentar:

    "Fichtner arbeitet doch die Geschichte im gleichen Stil auf wie man auch die Reportagenpreise gewinnt." - Genau.

    Fichtner war Relotius Chef, - ehemals "der künftige Spiegel-Chefredakteur" - man kann da ein bisschen durcheinander kommen. - der Relotius hat genauso geschrieben wie der Chef und wie es (dem) gefällt, Relotius, schlau und ehrgeizig weiss was ankommt.

    In seinem Text beklagt Fichtner, wie der Kerl das "ertragen konnte ohne vor Scham aus dem Saal zu laufen." bei den ganzen Preisverleihungen,

    "Sie haben Claas Relotius vier Deutsche Reporterpreise eingetragen, den Peter Scholl-Latour-Preis, den Konrad-Duden-, den Kindernothilfe-, den Katholischen und den Coburger Medienpreis. Er wurde zum CNN-"Journalist of the Year" gekürt, er wurde geehrt mit demReemtsma Liberty Award, dem European Press Prize, er landete auf der Forbes-Liste der "30 under 30 - Europe: Media" - und man fragt sich, wie er die Elogen der Laudatoren ertragen konnte, ohne vor Scham aus dem Saal zu laufen.

    Viele Leser werden sich fragen was ist das für eine Bande von inkompetenten Scheisshaufen ist von denen niemand etwas gemerkt hat (oder haben will) - und diese Leute wollen anderen Leuten erzählen was ist?

    Nicht alle Berichte zum Thema habe ich gelesen, einige nur überflogen,

    - es gab bei jemanden aus einem Preiskommitee bedenken weil eine nahezu identische Story zuvor einen Preis in den USA gewonnen hatte. (citation needed) - Wieso hat er da keinen Telefonhörer in die Hand genomme

  • Erfundene Passagen in 60 Artikeln, nicht schön, aber offenbar nichts Wichtiges dabei. Bei einem Studentenradio sollte ich mal unbedingt mitquissen, obwohl die CFD wusste, dass ich die Lösung kenne. Ich hab‘s dann so ins Micro gesagt. Es endete mit meinem faktischen Rausschmiss.

  • Es ist doch dieser Mechanismus, dass literarisch geschriebene Phantasiegeschichten als journalistisch-solide Hintergrundreportagen ausgegeben werden.

    Und das geht so seit Jahren. Ich vermute, dass Claas besonders dreist war, vielleicht auch deswegen besonders erfolgreich. Er schaffte in kurzer Zeit, was anderen verwehrt blieb. Aber eben mit Phanatasie und Lüge - das wird auch ohne ihn weiter so gehen beim Spiegel.

    Weil das Magazin mit allen Mitteln um Leser buhlt. Dieser Stil war noch vor 20 oder 30 Jahren auf den Feuillton oder den Reiseteil beschränkt. Wer in ein Archiv geht und alte Spiegel-Geschichten von 20 oder 30 Jahren liest, der merkt, dass sich der sprachliche Stil stark geändert hat.

    Und von wegen Fakten, Fakten an die Leser denken - es geht eben nicht um Fakten, sondern um Perspektiven, um Übergänge, Sprachbilder und da geht eben einer mal in den Keller ohne wirklich da zu sein, kocht mit jemanden, der ihn dazu auch nicht einlädt oder einladen würde. Die Nähe, die es im Spiegel oftmals gibt, gibt es wahrscheinlich gar nicht.

  • Gut analysiert und auf den Punkt!



    Dass sich was ändern muss ist doch evident! Allein wie der Spiegel mit der eigenen Story umgeht lässt doch tief blicken!



    Fichtner arbeitet doch die Geschichte im gleichen Stil auf wie man auch die Reportagenpreise gewinnt. Emotional, subversiv, spannungsgeladen.. soll das wohl sein, da wo harte Fakten und ein klare Entschuldigung notwendig wären.



    Den soeben reklamierten Punkt selbst ad absurdum geführt:



    www.spiegel.de/kul...fen-a-1244579.html

  • Warum nur fällt hierzu keinem Karl Kraus ein ? - Sinngemäß: Feuilleton ist der Versuch, auf einer Glatze Locken zu drehen.



    Ich kann das peinliche, auf Preise u. Auszeichnungen spekulierende Geschreibsel der Lockendreher Osang und Konsorten schon lange nicht mehr lesen.

  • Besten Dank für diesen wirklich hervorragenden Artikel - vielleicht vor allem deswegen, weil er auch meine Meinung widerspiegelt. Ich hatte mir bei der Football-Leaks-Ausgabe des Spiegels mal etwas ausführlicher die Zeit genommen, durchzublättern, und war über den Artikel, der online unter www.spiegel.de/plu...-0000-000160489415 zu finden ist, wirklich erbost. Hatten Überschrift und Vorspann noch mein Interesse geweckt, zeigt meiner Meinung nach das Intro ganz klar, was falsch läuft: Wir brauchen keine unnötig aufgeblähten und Artikel mit belanglosem Geschwafel. Reportagen sollen keine Romane sein. Man kann Szenarien, Emotionen etc. beschreiben, aber dass es Humbug ist, dass in einer Abtreibungsklinik den ganzen Tag das gleich Lied läuft und dass es genau 15 Stufen in den Keller sind, sollte jedem klar sein.

    Letztendlich bewegt sich das in Richtung Springer-Niveau: Jeder weiß seit Jahrzehnten, dass die "Bild" hier und da Sachen dazudichtet, ausschmückt und es mit der Realität nicht so genau nimmt. Und bei diesem Intro war mir beim Lesen eigentlich klar: Das ist aufgesetzt und wahrscheinlich ganz genauso 1:1 nicht passiert - das ist schmückendes Beiwerk - und es sind streng genommen Lügen, die einem Leser aufgetischt werden.

    Vielleicht ist es auch ein Problem des Honorars: Je mehr Text abgeliefert wird, umso mehr Geld gibt es, und vielleicht führen die inzwischen niedrigen Bezahlungen im Print dazu, dass man auch Artikel wie o.g. Beispiel von 1 Seite auf 3 Seiten streckt. Auch, um eine Ausgabe voll zu bekommen.

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Also wenn ich das richtig verstanden habe, passen Schönschreiben und Wahrschreiben nicht zusammen. Jemand der schön schreibt, kann nicht auch gleichzeitig die Wahrheit sagen und der, der der gut recherchiert und eine wahre Begebenheit mit echten Personen und realem Dekor schreibt, kann das nur in einer sperrigen unleserlichen unverständlichen Sprache tun. Demnach hätte Martin Heidegger also wirklich den Stein des Weisen gefunden.

    • @82236 (Profil gelöscht):

      Das ist eine absurde Ableitung aus diesem Artikel. Der Punkt ist leider so, dass diese literarischen Hintergrundreportagen an den Fakten scheitern. Und oftmals gab und gibt es diese Personen gar nicht oder ein Politiker bat eben nicht in den Keller oder kochte mit ihm ... Die Phantasie siegt über die Informationen in form einer schönen Schreibe.

    • @82236 (Profil gelöscht):

      Nö. Alles zu Sein & Zeit.

      Tucho "Wie an einer Säule …&



      &



      “Prosa seit Friedrich Nitzsche"



      & dennoch - & dazu sein



      “Ohne Musik - wäre das Leben ein Irrtum" - gilt auch&grade für Journis

      kurz - “Es fehlt am Worteaneinanderreih-Gewissen!"



      Werner Enke ”Zur Sache Schätzchen"



      Genau Genau.

      Soweit mal;)



      &



      (ps Heideggers Martel - die Finger im Hosenstall des Seiensten des Seins - öh



      Abbrechen*¿* Mach Bosse.



      Nee Nee - Lot mi an Lann'! Liggers.;))

  • Dass es Menschen gibt, die für ihre Karriere lügen und tricksen, ist eine alte Weisheit. Nun har es mal den Spiegel erwischt, bei anderen fände man sicher auch ein Haar in der Suppe.

    Schlimmer ist das Heer freier Journalisten, die nur schreiben, was man ihnen auch abkauft. Wes Brot ich esse, des Lied ich singe. Da sind wir schon im Bereich der Meinungsmache, die in allen Medien um sich greift.

    • @finches:

      Und das lasten sie dem "Heer freier Journalisten" an? Oder denjenigen, die die Bedindungen, unter denen dies arbeiten rsp. ökonomisch produzieren muss, festsetzen?

  • Seltsam, im Sommer habe ich mich von spiegel.de verabschiedet. Letzten Monat dann nach jahrelangem Überlegen und intensiver Branchenbeobachtung TAZ-Genosssenschsftsanteile gezeichnet.



    Obwohl ich die TAZ nur online lese. Weil ich nichtsdestotrotz glaube, daß Qualitätsjournalismus existiert.



    Und unterstützt gehört.



    Ohne jeglichen Zynismus: Ich hoffe, die aktuellen Entwicklungen bestätigen die Richtigkeit meines Handelns...;-)

  • Vielleicht liegt im Gechichtenerzählen ja das eigentliche Problem. Journalismus ist etwas anderes als Marketing. Es geht nicht um Emotionen sondern um klare Darstellung dessen was ist.



    Die allgegemwärtige Aufladung von Themen mit Emotionen macht es ja mittlerweile unmöglich, noch sachlich - sprich nüchtern - die verschiedenen Perspektiven eines Themas zu erörtern.

    Lasst mal das Storytelling weg und fokussiert endlich mal wieder auf die Grundlagen.

    • @J_CGN:

      Grundlagen unseres Berufs sind die Nachrichten. Das ist aber umfangsgemäß qua definitionem ein recht überschaubares Format. Einordnung, Hintergrund, auch Kommentar, Feature, Essay, Reportage...so legitim und schlüssig Ihre Forderung erscheint, so sehr stellt sie leider die Vielfalt journalistischer Formate in Frage.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Es gibt - wie meist im Leben - verschiedene Optionen um mit einer Situation umzugehen.

    Wenn ich das Gelesene richtig verstehe, so ist der 'Fall Relotius' in meinen Augen weder der spezieller subjektiver Verfehlungen noch Anlass zur Diskreditierung eines ganzen Berufszweiges, des Journalismus.

    Gerne bekenne ich (ohne je einen Artikel von Relotius gelesen zu haben), dass ich für Schönschreiben sehr empfänglich bin. Sowohl bei Anderen als bei mir selbst. In diesen unschönen Zeiten wenig verwunderlich.

    Ich kenne die Geschichte des Journalismus nicht gut genug, um gesichert sagen zu können, ab wann sich das Schönschreiben ausgebreitet hat. In Sachen Recherche und Quellen-Transparenz verfüge auch ich über Defizite.

    Und ich finde dies noch nicht einmal besonders schlimm. Für Menschen, die die Sprache lieben und als Wortrastellis virtuos mit ihr umzugehen wissen, kann das Schreiben leicht zu einem Selbstläufer werden. Ich feiere gerne Menschen, die diese Kunst beherrschen.

    Für mich sind deshalb Aspekte von SPIEGEL-Kritik absolute Marginalien. Entscheidend vor allem: welche Wünsche und Bedürfnisse bedient Schönschreiben auf Seiten der Leser.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Wichtiger wäre vllt. hier auch, den Begriff der Transparenz in den Fokus zu rücken - szenische Rekonstruktion ist ja nicht das Problem an sich. Sondern eine mangelnde Transparenz dabei oder der schiere Selbstzweck - und das Schielen auf dafür winkende Preise.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Mal a weng Wasser in Ihren sauren mittelhessischen

      “Waas - haben Sie die Süddeutsche schon durch?“



      “Ach was! Blätter ich doch nur an!



      Versatzstücke alles. Lohnt doch nicht!“



      A Café - eine Journalistenlehrerin - Zürich - Köln - D-dorf - HH. “Die wollen nur - Versatzstücke. Wenn ich ihnen sage - so könne man keine lesbaren Artikel schreiben - zucken sie die Schultern!“

      kurz - So geht das.



      Aber - wer weiß schon noch.



      Wer J.M.M. war*¿* - Newahr. Normal.



      Er ja H.R.: “…Weißt du eigentlich“, hat mich mal mein Freund Jupp gefragt, „warum ich so ein ehrlicher Mensch bin?“

      „Ich weiß es nicht. Warum bist du so ein ehrlicher Mensch?“

      „Weil man zum Lügen ein gutes Gedächtnis braucht. Und ich kann mir doch nichts merken.“

      Und um das zu beweisen, packte er sich ein Stück Notenblatt aufs Cembalo und spielte etwas Bach. Nach dem Bach sagte ich, um meine Beeindrucktheit zu verbergen: „Kannst du das auch rückwärts?“ Jupp sagte, völlig zu Recht: „Blödmann“ und spielte es rückwärts.

      „Na?“

      „Ja.“

      „Klingt wirklich genauso gut wie vorwärts. Komm, wir gehen einen zischen.…

      …Und mein Freund Jupp? Mein Freund Jupp ist seit einiger Zeit tot (behauptet er zumindest) und heißt mit vollem Namen Josef Müller-Marein und ist Miterfinder der Zeitung, die Sie, ja, Sie in Händen halten. Woher ich das weiß? Blicken Sie mal auf zur Hügelkette. Wir sind Ihnen nämlich die ganze Zeit gefolgt.“



      www.zeit.de/1990/0...wohlt-poohs-corner



      “Danke Harry - hol schon mal den Wagen aus der Lindenstraße!“;))

      Ende des Vorstehenden …servíce.;)

  • Das alte Spiegel-Gebäude war ein hässlicher schwarzgrauer Nutzbau, die Kantine war optisch so schlimm orange , dass sie schon wieder Kult war. Augstein sen. wollte alles so lassen. Das Haus. Die Kantine. Die arrogante Redakion. Den Druck in S/W.

    Es kam anders. Fette Architektur. Wichtigtuerei überall. Die Möbel der alten Kantine an der Decke des neuen "transparenten Hauses" . (Hipsterhumor. Haha). Jetzt halt noch dazu Hipster-Reporter mit Hipsterdenke und Hipsterstories.

    Fünfeurozwanzich. Jede Woche.



    Dafür? Nö.

  • medium.com/@michel...-town-d92f3e0e01a7

    In einem Artikel über die Kleinstadt Fergus Falls in Minnesota hat Relotius unglaublich viel gefälscht. Und zwar nicht nach dem Motto "Der hat das gesagt, ich war dabei", was schwer nachprüfbar ist. Im fraglichen Artikel stimmte fast nichts, angefangen beim Trump-Wahlergebnis 2016 über das lokale Kinoprogramm bis zur nicht vorhandenen Aussicht auf ein Kohlekraftwerk (im wesentlichen mangels Fenstern in diese Richtung in der angeblich beschriebenen Lokalität.) Der Link beschreibt das detailliert.

    Mir kann keiner mehr erzählen, dass es beim Spiegel eine funktionierende Qualitätskontrolle gibt.

    • 7G
      73176 (Profil gelöscht)
      @Huck :

      Nun sein Sie mal nicht so kleinlich ... Ein Georg Restle würde Sie in Ihrem "Neutralitätswahn" erstmal zurechtweisen und Ihnen ein bisschen Nachhilfe in "wertorientiertem" Journalismus geben ...! Abgesehen von Ihrer monatlichen Kollekte quasi umsonst.

  • "Nach den Skandalen um Kummer, Voßkuhle und Seehofer änderte sich in der journalistischen Kultur wenig."

    "Der Spiegel" und Claas Relotius haben es geschafft in den USA bei "Breitbart" zu "trenden". Dieses Thema steht also gleichberechtigt neben Berichten über den möglichen Shutdown und den Truppenabzug aus Syrien. Und was tut "Breitbart"? Sie berichten fair, ausgewogen und der Wahrheit entsprechend.

    Dieses Privileg würde "der Spiegel", letztlich verantwortlich für die ganze "Relotius Sauerei", den Kollegen von "Breitbart" niemals zugestehen; ganz im Gegenteil: nicht nur im Spiegel wird immer und immer wieder und ohne jeglichen Beleg behauptet, "Breitbart" sei eine irgendwie "rechtsaußen Fake News Schleuder".

    Die gesamte journalistische Kultur ist am A****. Nicht nur beim "Spiegel" und nicht nur in Deutschland.

  • Wie meinen*¿* Nö*¡*

    Liggers. - “Claas Relotius ist Produkt eines journalistischen Zeitgeistes,



    der sich & Versatzstückeschreiben feiert. Und Recherche und Quellen-Transparenz vernachlässigt.“ Wollnichwoll & Gellewelle.*!*

    No! Sodrum wird‘n Schuh draus. Newahr.



    Normal. Dat mähtste so fix - aber Nix. •



    Njorp & So geht das.

    EndeGelände