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Der Dyke* March und der NahostkonfliktNochmal zusammengerauft und sehr bemüht

Der Dyke* March tritt dieses Jahr mit neuen Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen an. Doch auch die ringen mit Israels Krieg in Gaza und Antisemitismusvorwürfen.

Zertrampelte Palästina­solidarität beim Dyke* March im letzten Jahr Foto: Fritz Engel/archiv agentur zen

Berlin taz | Am 24. April 1993 wird in Washington D.C. der Dyke* March geboren. Am Abend vor der großen, kommerziellen Pride-Parade findet hier zum ersten Mal ein Protest statt, der anders sein will: lesbisch, frei von Kommerz, explizit antifaschistisch. „Es ist Zeit für einen entschlossenen lesbischen Kampf“, heißt es damals in einem Manifest. Seit 2013 findet der Dyke* March auch hierzulande jährlich am Vorabend des Christopher Street Day statt.

So weit, so gut – wäre da nicht der Nahostkonflikt, der wie bei so vielen anderen Berliner Bündnissen seit dem 7. Oktober auch an der Dyke*-Community nicht spurlos vorbeigeht. Im Juni 2025 dann die Nachricht: „Wir, das Dyke* March Berlin Orga-Team, werden 2025 den Dyke* March aus gesundheitlichen und organisatorischen Gründen nicht durchführen.“

Was war passiert? Der Schnelldurchlauf: Letztes Jahr eskalierte schon im Vorfeld des Dyke* Marchs ein Soli-Abend in der Bar Möbel Olfe, bei dem Be­su­che­r:in­nen eine Regenbogenflagge mit Davidstern ausbreiteten. Zuvor war auf einem Einladungsflyer für den Abend unter anderem mit Rot eingefärbten umgedrehten Dreiecken geworben worden. Ein umstrittenes Symbol, das auch von der Hamas zur Feindmarkierung genutzt wird. Eine grobe Bilanz des Dyke* March 2024 könnte in etwa so lauten: „Yallah Intifada“-Gesänge, teils gewaltsame Festnahmen von Palästina-Ak­ti­vis­t:in­nen und reichlich Kritik an den Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen – nicht nur von jüdischen Queers.

Doch angesichts des Höchststands an queerfeindlicher Gewalt in Berlin war für mehrere Dutzend Mitglieder der queeren Community klar: Dass dieses Jahr kein Dyke* March stattfindet, ist keine Option – vielmehr sei die Organisation von Ersatz eine „kollektive Verantwortung“. Und tatsächlich bildete sich kurz nach der Absage des ursprünglichen Orga-Teams ein Zusammenschluss namens Community Dyke* March, der fortan die Demo-Orga übernahm.

Schon mal provisorisch entschuldigt sich die Gruppe

Mit dem Orga-Team der letzten Jahre gab es laut eigener Aussage weder eine Übergabe noch Kontakt oder Austausch. Vergangene Dynamiken im Zusammenhang mit Nahost aufzuarbeiten sei nicht die Aufgabe des neuen Orga-Teams, dazu fehle auch der Einblick in interne Entscheidungen aus dem letzten Jahr, erklärt der neue Community-Zusammenschluss.

In ihrem Selbstverständnis findet sich sowohl die Solidarität mit Flinta*, die in „Palästina unter Apartheid und systematischer Auslöschung“ leiden, als auch eine Positionierung gegen „Antisemitismus – Hass gegen jüdische Menschen“. Gegenüber der taz betont das Team: „Jüdische Flinta* sollen auf dem Community Dyke* March sichtbar und sicher sein können.“

Nur knappe fünf Wochen hatte der Zusammenschluss Zeit, um einen sicheren und inklusiven Protest zu organisieren. Zu den Herausforderungen gehören „massiver Zeitmangel“ und „begrenzte Ressourcen“, so die Gruppe. Aus dem gleichen Grund sei nur eine schriftliche Beantwortung von Interviewfragen möglich.

Schon mal provisorisch entschuldigt sich die Gruppe: „In dieser unglaublich knappen Zeit ist es uns nicht in der Breite gelungen, konkrete Anforderungen zur jüdischen Sicherheit umzusetzen.“ Das gelte auch für die Sicherheit propalästinensischer Aktivist:innen. „Das tut uns sehr leid“, so die Gruppe. Der Community Dyke* March sei dennoch der „Versuch, einen Raum für radikale Solidarität zu schaffen, in dem alle Dykes* einen Platz haben – auch jene, die sonst ausgeschlossen, übergangen oder exotisiert werden.“

„Tiefe Spuren“ hinterlassen

Die Initiative Dykes, Women and Queers Against Antisemitism, die sich nach dem Zwischenfall letztes Jahr in der Möbel Olfe zusammenfand, vermisst derweil einen Dialog zwischen der Community Dyke* March-Orga und jüdischen Queers. „Auch wir Jü­d:in­nen leben in einer Welt zwischen Homohass und Transfeindlichkeit“, sagt eine Elia Finke, die ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen will. Antisemitische Vorfälle wie das Beschimpfen jüdischer Queers als „Zionistenschweine“ im letzten Jahr hätten „tiefe Spuren“ hinterlassen, immer mehr jüdische Queers erlebten Vereinzelung und Traumatisierung.

Darum habe die Initiative in diesem Jahr auf ein explizites Sicherheitskonzept bei antisemitischen Angriffen gehofft. Doch das sei unglaubwürdig, etwa, weil Antworten auf konkrete Fragen der Initiative fehlten – beispielsweise, ob das umgedrehte rote Dreieck am Freitag verwendet wird. „Propalästinensisch zu sein, würde für uns auch bedeuten, für eine Befreiung der palästinensischen Frauen von der Hamas einzustehen“, sagt Finke.

Rote Dreiecke sind auf der Demo dieses Jahr unerwünscht – genauso wie Davidsterne

Ein Instagram-Kommentar des Community-Teams, demzufolge das Dreieck auch als Symbol des Widerstands gelten könne, ist mittlerweile gelöscht. Am Donnerstag veröffentlichte die Gruppe ein Statement, laut dem bei der Demo auf rote Dreiecke verzichtet werden soll. Das gelte auch für den Davidstern – dieser könne, weil er auch in der israelischen Nationalflagge auftauche, für Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen eine „tiefe Verletzung“ darstellen. „Wir sind kein homogenes Orga-Team. Wir kommen aus unterschiedlichen politischen Kontexten, haben teils widersprüchliche Perspektiven und führen intensive Diskussionen – auch zu Israel und Palästina“, schreibt die Orga-Gruppe der taz.

Auf der Demo sind Nationalflaggen generell verboten. Einzige Ausnahme: die palästinensische Flagge, da sie für jahrzehntelangen „antiimperialistischen Widerstand“ und ein „Recht auf Selbstbestimmung“ stehe, schreibt das Orga-Team auf Instagram. Israelflaggen sind damit nicht erlaubt. Nach Kritik aus beiden Richtungen spezifizierten die Gruppe: Nicht Zio­nis­t:in­nen im Allgemeinen, sondern nur „rechte und revisionistische“ zionistische Positionen seien nicht willkommen. Ebenso dieses Jahr nicht eingeladen: cis-Männer.

Bei aller Hau-Ruck-Orga und den Szene-Reibungen – in einem Punkt herrscht seit Beginn der kurzfristigen Orga Klarheit: Trans*­feind­li­che und -exkludierende Ideologien werden auf der Demo nicht geduldet. Dazu schreibt das Team der taz: „Wer Dykes* stärken will, muss alle Dykes* meinen.“

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