Demonstrationen und Corona: Vorbildlicher Regelverstoß
Grünen-Abgeordneter Kössler: Teilnehmende an einer Demonstration gegen die Bedingungen im Flüchtlingslager Moria Ende April sollen straffrei bleiben.
Laut Antwort der Senatsinnenverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage Kösslers, die der taz vorliegt, hatte „die Polizei stadtweit 16 Gruppen Radfahrender mit insgesamt 222 Teilnehmenden festgestellt, die gegen die zu diesem Zeitpunkt geltende SarsCoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung (EindmaßnV) verstießen“. Von allen wurden die Personalien aufgenommen. Laut Innenverwaltung leistete niemand gegen die Polizei Widerstand.
Die DemonstrantInnen, die ihren Protest unter dem Motto „#leavenoonebehind“ durch Sticker auf dem Rücken („Moria evakuieren“) oder am Rad befestigte Schilder kenntlich machten, verhielten sich auch sonst vorbildlich: Verstöße gegen das Abstandsgebot seien der Polizei nicht bekannt geworden, so Staatssekretär Torsten Akmann; auch seien die Teilnehmenden „überwiegend mit einem angelegten Mund-Nase-Schutz“ angetroffen worden.
Dagegen bestreitet die Polizei, dass sie Teilnehmende eingekesselt habe. „Eine gleichzeitige Ingewahrsamnahme mehrerer Personen“ habe nicht stattgefunden, teilt Akmann dem Grünen-Abgeordneten mit. Kössler hat da von TeilnehmerInnen anderes erfahren: „Es gab mehrere Kessel, über Stunden. Offiziell war es eine sehr, sehr langsame Personalienaufnahme.“ Die Personalausweise seien eingesammelt worden, die Menschen hätten dann lange auf deren Rückgabe warten müssen.
„Haben sich Gedanken gemacht“
Seine Forderung nach Straffreiheit begründet Kössler gegenüber der taz mit dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit: „Dass die Teilnehmenden gegen die Verordnung verstoßen haben, war nicht ihr erklärtes Ziel wie etwa bei den sogenannten Hygiene-Demos. Sie haben die Infektionsgefahr durchaus gesehen und alles getan, um diese zu minimieren. Die haben sich da wirklich Gedanken gemacht.“
Die Beschränkung der Versammlungsfreiheit, die erst Anfang Mai wieder gelockert wurde, bewertet Kössler im Nachhinein als „zu restriktiv“. Er sage nicht, dass die Einschränkungen grundsätzlich falsch gewesen seien, „aber es war härter, als es sein musste. Es ist eben ein learning by doing für die Politik.“
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